Bottrop. Wie ist die aktuelle Situation in Bottrop fünf Jahre nach dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise? Statistiken und Stadtverwaltung geben Auskunft.

Fünf Jahre ist es am 31. August her, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte: „Wir schaffen das.“ Fünf Jahre liegt der Höhepunkt der Flüchtlingskrise zurück. Um 2015/2016 zählte man in Bottrop in der Woche im Schnitt 50 bis 70 Neuankömmlinge, sagt Sozialamtsleiterin Karen Alexius-Eifert. Teilweise seien es auch 150 bis 200 gewesen.

Die einen blieben, andere gingen, wieder andere kamen über die Jahre neu hinzu. Aktuell leben laut Ausländerbehörde 2745 registrierte Flüchtlinge in Bottrop (Stand 1. Mai). In der Regel nicht erfasst in dieser Zahl sind nachgezogene Familienangehörige.

Neue Zuweisungen von Flüchtlingen gebe es aktuell kaum, „weil wir die Quote erfüllt haben, wir liegen sogar leicht über 100 Prozent“, so Alexius-Eifert. „In diesem Jahr haben wir bislang 16 Personen aufgenommen“, stellte sie Ende Juni fest. Aktuell kommen die Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern: immer noch aus Syrien – daher stammen insgesamt die meisten Flüchtlinge, die in Bottrop leben –, aus dem Irak, aber etwa auch aus Bangladesch, der Mongolei, sogar jemand von den Seychellen.

Zahl der Abschiebungen ist in Bottrop laut Ausländerbehörde überschaubar

Die Zahl der Abschiebungen sei insgesamt überschaubart, meint Bernhard Windmöller, Leiter der Ausländerbehörde. Sechs Flüge waren demnach in 2019 gebucht, drei mussten storniert werden. Zudem:„Gerade im Bereich der Dublin-Rückführung in andere EU-Länder, in die die Flüchtlinge zuerst einreisten, sind die Quoten gering. Sie müssen innerhalb von sechs Monaten zurückgeführt werden, sonst gelten sie bei uns als Asylantragsteller.“ In 2019 seien in 21 Dublin-Fällen Tickets gebucht worden, tatsächlich zurückgegangen seien drei. Teils würden Einzelne aus einer betroffenen Familie untertauchen, teils gebe es etwa Krankmeldungen.

Bei einer Duldung übrigens wird die Abschiebung vorübergehend ausgesetzt, häufig gehe es hier um aus unterschiedlichen Gründen nicht vorliegende Pässe.

Auf der anderen Seite gibt es auch Flüchtlinge, die freiwillig wieder ausreisen. „Was wir steigern konnten, das sind die freiwilligen Rückführungen“, so Windmöller. Dazu beigetragen hätten Beratungen und begleitende Rückführungshilfeprogramme, die gut angenommen würden. Auch Alexius-Eifert sagt: „Die Bereitschaft der Leute ist da, angesichts schlechter Bleibeperspektive – wenn ich zum Beispiel an Menschen aus Südosteuropa denke – lieber diesen Weg zu gehen.“

Soziale Spannbreite vom Analphabeten bis zum Akademiker

Insgesamt umfassen die Flüchtlinge „eine soziale Spannbreite, die größer ist als Bottrop“, erklärt Thomas Schwarzer, Leiter des Referats Migration – Kommunales Integrationszentrum. Diese reiche vom Analphabeten bis zum Akademiker. „Die Privilegiertestens sind die, die der Schulpflicht unterliegen.“ Um diese jungen Leute werde sich quasi automatisch gekümmert. 384 Schüler werden aktuell in Erstförderung, also inklusive Sprachunterricht, an den Bottroper Schulen betreut.

Auf die Flüchtlinge insgesamt gesehen zeige sich laut Schwarzer, „dass der Spracherwerbsprozess wesentlich länger dauert als gedacht. Es reicht nicht, wenn jemand die Alltagssprache beherrscht, es soll ja ein Beruf ausgeübt werden.“ Es sei ein langwirkender Prozess, „man hat am Anfang die Dauer unterschätzt. Wenn ich 18 bin ist die Perspektive ja auch eine andere als mit 52.“ Alexius-Eifert weist darauf hin, dass es für Mütter mit kleinen Kindern schwieriger sei, an Deutschkursen – und übrigens auch an Freizeitangeboten – teilzunehmen. „Da gibt es mittlerweile Strukturen vor Ort, die auch gut angenommen werden, aber das müssen wir weiter im Blick behalten.“

Viele Flüchtlinge wollen möglichst schnell in Arbeit

Schwarzers Einschätzung nach wolle der überwiegende Teil der Menschen lernen und mitwirken. „Schwierig ist zu vermitteln, wie lang die Wege sind. Viele wollen möglichst schnell in Arbeit und landen dann oft in prekären Berufen.“ Das Ausbildungssystem, die Zugänge etwa in Handwerksberufe seien in Deutschland eben anders als in anderen Ländern.

Dabei ist gute Arbeit wichtig für die Perspektive. Mit dem Programm „Durchstarten in Ausbildung und Arbeit“ werden zum Beispiel gezielt die 18- bis 27-Jährigen in Duldung und Gestattung (noch laufendes Asylverfahren) in den Blick genommen, rund 200 an der Zahl. Denn normalerweise hat diese Gruppe wegen ihres unsicheren Aufenthaltsstatus’ nur begrenzt Zugang zu Integrationsangeboten oder gar zum Arbeitsmarkt. „Aber die Menschen sind nun einmal hier. Es wäre schlimmer, sie zu frustrieren, als ihnen die Chance zu geben, etwas Produktives zu tun“, so Alexius-Eifert. Das sei ein wichtiger Ansatz, um im schlimmsten Fall die Bildung von Parallelgesellschaften zu vermeiden.

Eine weitere Herausforderung bleibe, „die Menschen in die Zivilgesellschaft zu bekommen“, sagt Thomas Schwarzer. „Das ist schwieriger für eine Person, die Mitte 50 ist“ – das sei für Kinder etwa anders. Ein großer Gesellschaftsteilhabemotor sei da das Vereinsleben, vor allem der Sport, wo Flüchtlinge ja auch schon aktiv sind.

Was die Integrationsarbeit angeht, fasst Karen Alexius-Eifert die Anstrengungen auf allen Seiten so zusammen: „Wir reden eher über einen Marathon als über einen Sprint.“

Stadt Bottrop betreibt noch acht Gemeinschaftsunterkünfte

„2015 ging es im Herbst richtig los“, blickt Bernhard Windmöller von der Ausländerbehörde zurück. Die Flüchtlinge wurden in zentralen Landeseinrichtungen untergebracht und von dort aus weiterverteilt. „Wir brauchten ja auch erstmal Zeit, um unsere Unterkünfte herzurichten.“ So wurden zum Beispiel der Saalbau oder der Spielraum zu diesen Zwecken umfunktioniert, samt Catering und Sicherheitsdienst.

Diese beiden werden längst nicht mehr gebraucht. Grundsätzlich war eine Zielsetzung der städtischen Verantwortlichen immer, die Menschen möglichst in Wohnungen zu vermitteln. „Eine eigene Wohnung ist ein wichtiger Schritt in Richtung Integration“, sagt Karen Alexius-Eifert. Letztlich sei das aber auch eine finanzielle Frage, ergänzt Stadtsprecher Andreas Pläsken.

Die Unterkünfte sind zu mindestens zwei Dritteln belegt

Aktuell lebt die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge in regulärem Wohnraum – 2019 waren es um die 90 Prozent. Acht städtische Gemeinschaftsunterkünfte mit Eigenversorgung werden aber noch weiter betrieben: im ehemaligen katholischen Stadthaus, in der Siedlung am Borsigweg, an der Stenkhoffstraße, an der Knippenburg, in Körner- und Overbergschule, in Kirchhellen durch die Container am Liboriweg und die Holzhäuser auf der Bredde.

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„Im Schnitt sind diese Unterkünfte zu mindestens zwei Dritteln belegt, manche sind auch ausgelastet“, berichtet Karen Alexius-Eifert. „Es ist nichts, was leer steht oder wir leer ziehen können.“ Sicherlich erfolge die Belegung heute lockerer als vor fünf Jahren. „Beispiel Körnerschule: Da haben wir im Moment 80 Plätze. Zur Not könnten dort 120 Leute untergebracht werden. Aber das ist nicht die Belegung, die wir für die Menschen haben möchten.“ Aktuell gelte aufgrund der Corona-Pandemie zudem: „Personen, die neu dazu kommen, bringen wir grundsätzlich nur einzeln unter.“

Landeseinrichtungen in Bottrop sind bzw. werden aufgegeben

Die beiden Landesunterkünfte in der ehemaligen Tennishalle an der Brakerstraße und in der Dürerschule wurden bereits aufgegeben. Die Huber-Hallen fungieren aktuell noch als Stand-By-Einrichtung, aber das Land habe angekündigt, auch diese aufzugeben.