Bochum. Die Pflege eines Demenzkranken daheim ist extrem belastend. Dennoch nehmen die Angehörigen noch zu selten die zahlreichen Hilfsangebote vor Ort wahr, berichtet die Alzheimer-Gesellschaft Bochum.

Guste S. ist eifersüchtig. „Diese Schlampe muss weg!“, schreit die 87-Jährige immer wieder ihren Sohn an. Der ist verzweifelt. „Diese Schlampe“: Das ist seine Frau Erna, die sich seit drei Jahren liebe- und aufopferungsvoll um seine Mutter kümmert. Doch Guste S. glaubt, mit ihrem Sohn verheiratet zu sein. Sie schimpft. Sie schlägt. Erna ist die Nebenbuhlerin. Erna muss weg. Obwohl die alles für sie tut. Der ganz normale Wahnsinn im Zusammenleben mit Demenzkranken.

6700 Patienten (davon 70 Prozent Alzheimer) weist die Statistik für Bochum aus. Das wahre Ausmaß dürfte deutlich größer sein. Als gesichert gilt: Vier von fünf Erkrankten werden daheim betreut; vom Ehepartner, der Tochter, der Schwiegertochter. Pflegende (Schwieger-)Söhne sind selten. Allen gemein ist die körperliche und seelische Belastung. Oft rund um die Uhr, sieben Tage pro Woche. Und das, obwohl die pflegenden Angehörigen selbst nicht mehr die Jüngsten sind. Ihr Durchschnittsalter liegt bei 58. Jeder Vierte ist sogar 75 und älter.

Die Bochumer Alzheimer-Tage rücken ihr Schicksal in diesen Tagen in den Blickpunkt. Denn: „Das Leid der Demenzkranken ist oft auch das Leid der Angehörigen. Sie sind ,der zweite Patient’“, berichtete Psychiaterin Dr. Ute Brüne-Cohrs (LWL-Klinikum) zum Auftakt der Aktionswochen im Kunstmuseum.

Das eigene Leben darf nicht auf der Strecke bleiben

Depressionen, Herz-Kreislauf-Beschwerden, Rücken- und Magenschmerzen, Schlafmangel: Zur Trauer und Ohnmacht ob des Todes auf Raten eines geliebten Menschen gesellen sich massive gesundheitliche Probleme. Sie zu erleiden, fällt um so schwerer, wenn der Alltag von Feindseligkeit, Beschimpfungen bis zu körperlichen Übergriffen geprägt ist. Sich stets klar zu machen, dass es die Krankheit ist, die den Partner, die Mutter, den Vater derart verändert, ist nicht leicht.

Wichtig, mitunter lebenswichtig: Die Helfer müssen selbst Hilfe annehmen. Das passiere immer noch zu selten und zu spät, weiß Dr. Brüne-Cohrs. „Angehörige müssen ihre Grenzen erkennen. Wer Hilfe und Beistand nutzt, hilft, selbst gesund zu bleiben“, ergänzt Dr. Bernd Sczesny, Facharzt für Neurologie. „Das eigene Leben, die eigenen Interessen und Freunde dürfen nicht auf der Strecke bleiben“, warnt er.

Viele Möglichkeiten zur Auszeit

Möglichkeiten zur Auszeit gebe es genug. Betreute Urlaubsreisen, Tages- oder Kurzzeitpflege eröffnen wertvolle Momente der Entspannung, der Ruhe. Ehrenamtliche Demenzbetreuer des Roten Kreuzes (derzeit 18) kommen für einige Stunden am Tag oder in der Nacht ins Haus. Die DRK-Alzheimerhilfe und die Alzheimer-Gesellschaft bieten zudem u.a. Angehörigengruppen, Malen und Musik, eine Gedächtnissprechstunde, Pflegeschulungen oder Tanz-Cafés und helfen bei Antrags- und Widerspruchsverfahren und sonstigem Schriftverkehr mit Kassen oder Behörden.

„Die Pflege eines Demenzkranken überfordert einen einzigen Menschen“, konstatiert Eva-Maria Matip, Diplom-Psychologin bei der DRK-Alzheimerhilfe. „Angehörige sollten deshalb frühzeitig Unterstützung suchen und annehmen, ein Netz knüpfen, das sie schützt und auffängt. In Bochum gibt es vielerlei Hilfsangebote, um Erkrankte zu unterstützen und Familien zu entlasten.“ Alle Betroffenen könnten bei all dem ganz normalen Wahnsinn gewiss sein: „Wir sind bei Ihnen. Sie sind nicht allein!“

Wo es Hilfe gibt

Rat und Tat für Angehörige von Demenzkranken leisten in Bochum u.a. die Alzheimer-Gesellschaft, Universitätsstraße 77, 0234/33 77 72, www.alzheimer-bochum.de, und die DRK-Alzheimerhilfe, An der Holtbrügge 2-8, 0234/94 450, www.kv-bochum-drk.de.