Bochum. Ausstehende Mietzuschüsse, unsichere Verträge: Bochumer Tageseltern kämpfen mit finanziellen Sorgen und Existenzängsten. Zwei von ihnen erzählen.
Von einer Holzburg können die gefärbten Papierblumen, die von der Decke hängen, und der Miniatur-Esstisch, von dem gespeist werden kann, beobachtet werden: Das Strolchenhaus von Jennifer Hohle ist ein Spielparadies. Täglich betreut die Tagespflegemutter dort fünf Kinder unter drei Jahren. Doch so blumig wie das Raumdesign ist der Alltag nicht immer. Der WAZ-Redaktion erzählt sie gemeinsam mit Sandra (Nachname der Redaktion bekannt), die seit 22 Jahren als Tagesmutter arbeitet, von der mangelnden finanziellen und planerischen Sicherheit in der Kindertagespflege und sagt: „Ich habe Existenzängste.“ Und weiter: „Ich bin eine von denen, die überlegen, nächstes Jahr aufzuhören.“
Bochum: Harte Rahmenbedingungen in der Kindertagespflege
In Bochum gibt es seit Jahren einen Mangel an Kinderbetreuungsplätzen. Ohne Tagespflegeplätze bei Tagesmüttern und -vätern wäre die Situation noch weitaus dramatischer. Jedes sechste Kind unter drei Jahren wird von einer Tagesmutter oder einem Tagesvater betreut. Nach Angaben der Stadt Bochum gibt es in diesem Jahr 133 Tagespflegepersonen weniger als noch im Jahr 2019. Warum hören Tageseltern in Bochum auf?
Auf WAZ-Anfrage erklärt der Stadtsprecher Thomas Sprenger: „In erster Linie beenden Tagespflegepersonen aus Altersgründen ihre Tätigkeit oder weil sich Formen wie ‚selbstgefundene Wunsch-Kindertagespflegepersonen‘ auflösen.“ Bochumer Tagesmütter sehen das anders, die Gründe seien existenzieller: Niedriger Lohn, ausstehende Mietzuschüsse, mangelnde Sicherheit.
Pro Kind erhalten die Tagesmütter aktuell 5,53 Euro pro Stunde von der Kommune. Im vergangenen Jahr wurde der Satz um vier Cent erhöht. „Das war ein Witz.“ Immerhin: Im August soll der Betrag auf über sechs Euro erhöht werden. Zusätzliche Arbeit abseits der Betreuungszeit wie Einkauf, Reinigung, Renovierungen oder Büroarbeit werde von dem Betrag nicht abgedeckt. „Das Geld reicht vorne und hinten nicht“, sagt Jennifer Hohle.
Tagesmütter in Bochum warten auf ihren Mietzuschuss
Zusätzlich bekommen Tagesmütter 50 Prozent Zuschuss für ihr Renten- und Krankenkassenpflegegeld und für die Miete, sofern Räume für die Betreuung angemietet wurden. Auf letzteren warten viele vergeblich. „Das ist ein totales Problem“, sagt Hohle. Der Antrag der 42-Jährigen war bewilligt, doch der Mietzuschuss wurde über drei Monate bis November nicht ausgezahlt. Am Telefon wurde sie mehrfach vertröstet. Der zuständige Sachbearbeiter sei zunächst krank gewesen, dann im Urlaub. „Ich bin die Bestrafte“, findet sie.
Zurzeit zahle sie 1400 Euro Miete für 130 Quadratmeter. Auf ihren Mietzuschuss von 525 Euro sei sie zwingend angewiesen. „Wenn der ausbleibt, tut es weh.“ Eine Überbrückung der anfallenden Kosten sei nur durch einen privaten Puffer möglich gewesen, der eigentlich für die dringend benötigte Waschmaschine vorgesehen war. Erst als sie eine Mahnung an die Stadt geschickt hat, sei das Geld angekommen – am Tag der Fristsetzung.
„Mit drei Monaten Verzögerung habe ich noch Glück gehabt“, betont Hohle. Vielen Tagesmüttern hätten bis heute kein Geld erhalten. Auch Sandra warte noch immer auf eine Nachzahlung von knapp 1000 Euro – und das seit zwei Jahren. „Es kam keine Info, warum ich nicht bezahlt werde.“
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Auf WAZ-Nachfrage bestätigt die Stadt, dass es zu Verzögerungen gekommen sei. Grund dafür: unbesetzte Stellen im Jugendamt und Langzeiterkrankungen. Mittlerweile seien diese besetzt und die Auszahlungen „auf den Stand gebracht“, sagt Pressesprecher Thomas Sprenger, betont aber gleichsam, dass sich die Stadt Bochum freiwillig dazu verpflichtet habe, Mietkostenzuschüsse an die Tagesmütter zu zahlen.
Freie Tagespflegeplätze in Bochum
„Freie Plätze für Kinder unter drei“, steht an dem Fenster von Jennifer Hohles Strolchenhaus. Hohle hat insgesamt fünf Plätze, von denen aktuell ab August noch drei frei sind. Sie sei jedoch darauf angewiesen, alle dauerhaft zu belegen. Unsichere Verträge mit den Eltern und zu wenig Kitaplätze erschweren jedoch die Planung.
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Wie entsteht das Problem? Eltern melden ihre Kinder häufig schon mit wenigen Monaten im Kita-Portal der Stadt an, um einen Kitaplatz zu haben, wenn das Kind mit drei Jahren im Kita-Alter ist. Es kann aber sein, dass Eltern kurzfristig einen Platz bekommen, obwohl das Kind noch unter drei und bei einer Tagesmutter ist.
Die Konsequenz für die Tagesmütter: Die dauerhafte Sorge, dass plötzlich Plätze unbesetzt sind und ihr Erspartes, sofern vorhanden, die Umsatzeinbußen ausgleichen muss. „Das kann ich mir nur einen, maximal zwei Monate leisten“, betont Hohle. Die Stadt plane, das Kita-Portal zu aktualisieren und geht davon aus, dass ein Doppelangebot künftig vermieden wird, sagt der Pressesprecher.
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Auch für viele Eltern kann das nervenaufreibend werden, zumindest wenn sie am Ende ohne Platz dastehen. So gibt es Kinder unter drei mit einem Kitaplatz, die auch bei Tageseltern sein könnten und Kinder über drei ohne einen Platz. Die Kritik der Tagesmütter: Ältere Kinder werden bei Kindergärten nicht priorisiert, viele der jüngeren Kinder seien nicht „kitatauglich“, die Eingewöhnung sei herausfordernd und stressig.
Kinderbetreuung in Bochum: „Wir brauchen Tagesmütter“
„Man fühlt sich da oft alleingelassen“, fasst Jennifer Hohle zusammen. Sandra fügt hinzu: „Ich habe immer Schiss. So wie es läuft, läuft es nicht rund. Auf politischer Ebene muss sich etwas ändern.“
Trotz allem betonen die Tagesmütter: „Wir lieben unsere Arbeit.“ Während Sandra deswegen weiter durchhalten will, überlegt Jennifer Hohle jedoch, das Handtuch zu schmeißen – dabei sei es für sie ihr „Traumjob“. „Mit der psychischen Belastung, dem Stress werde ich nicht alt.“ Für sie ist aber auch klar: „Wir brauchen die Tagesmütter.“