Bochum. 6.30 Uhr an einer Kita in Bochum: Eltern stehen Schlange, um heute die Chance auf einen Platz in der Notgruppe zu haben. Wie es dazu kam.

Nina Kallenbach hat in ihrem Kalender Kreuzchen gemacht. Wann konnte sie ihre Tochter im vergangenen Monat in die Kita bringen? Wann nicht? „Im Februar durfte sie an neun Tagen gehen, an zehn nicht“, erzählt die Mutter. Kallenbach arbeitet aktuell nicht, ist in Elternzeit. Andere Eltern hingegen dürfen ihr Kind bringen, wenn beide berufstätig sind. Sie stehen morgens um 6.30 Uhr Schlange, um ab sieben Uhr ihr Kind abgeben zu können. Mit der aktuellen Situation in der „Kita Unterm Himmelszelt“ in Bochum-Eppendorf sind sie alle unglücklich.

An mehr als der Hälfte der Tage gab es in der Kita in Bochum in den vergangenen Monaten eine Notbetreuung.
An mehr als der Hälfte der Tage gab es in der Kita in Bochum in den vergangenen Monaten eine Notbetreuung. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Um fünf Uhr morgens würden manche Eltern ihre Kinder wecken, um schon eine halbe Stunde vor Öffnung vor Ort zu sein. „Nach fünf Minuten stehen dort schon fünf Eltern mit Kindern“, berichtete eine Mutter, die ihren Namen nicht veröffentlicht wissen möchte.

Notbetreuung in einer Kita in Bochum: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst

Im Gespräch und in Schreiben an die WAZ Bochum schildern acht Elternteile, wie die aktuelle Situation sie belastet. Seit Oktober gebe es einen Dauernotbetrieb. Dann dürfen nur diejenigen Kinder kommen, deren Eltern beide berufstätig sind. Allerdings: „Von den 20 Kindern in unserer Gruppe ist das bei zwölf der Fall.“ In der Notbetreuung gebe es aber gut und gerne mal nur fünf freie Plätze. Dann gilt: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.

„Die Freunde meiner Tochter vermissen sie auch schon und fragen, warum sie nicht mehr in den Kindergarten kommt.“
Mutter von einem Kita-Kind aus Bochum

„Das ist natürlich Gift für den Zusammenhalt in der Elternschaft“, gibt Vater Christian Koglin zu bedenken. Am Anfang sei es noch ganz gut gelaufen. Je häufiger es aber Notbetreuung gab und je weniger Plätze, desto größer sei der Konkurrenzkampf geworden, zumindest unter einem Teil der Eltern.

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Viele Eltern wünschen sich ein Rotationssystem, sodass alle Kinder mal kommen dürfen. Eine Mutter schildert: „Ich verstehe ja alle arbeitenden Eltern, die den Platz brauchen. Aber, es kann nicht sein, dass alle anderen Kinder, bei denen ein Elternteil zu Hause ist, nicht mehr in die Kita dürfen. Meine Tochter ist jetzt schon knappe zwei Wochen am Stück zu Hause.“ Um 8 Uhr morgens solle man im Notbetrieb anrufen, ob ein Platz frei ist. Doch da seien eigentlich immer alle schon belegt. „Die Freunde meiner Tochter vermissen sie auch schon und fragen, warum sie nicht mehr in den Kindergarten kommt.“

Am Telefon erfahren die Eltern Morgen für Morgen, ob sie ihre Kinder in die Kita bringen dürfen oder nicht.
Am Telefon erfahren die Eltern Morgen für Morgen, ob sie ihre Kinder in die Kita bringen dürfen oder nicht. © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst

Mittlerweile sorgen sich die Eltern um die Entwicklung ihrer Kinder. „Mein Kind ist seit August angemeldet, ich konnte sie kaum eingewöhnen. Wenn die Kita wieder drei Tage geschlossen ist, fange ich von vorne an“, erklärt Nina Kallenbach. Die Hoffnung, dass sich die Situation in nächster Zeit bessert, sinkt. „Wenn es so bleibt, gibt es Kinder, die langfristig nicht kommen. Dabei sind sie in einer so wichtigen Lebensphase, in der sie in der Kita erste Kompetenzen lernen, Persönlichkeitsstrukturen aufbauen und erste Freundschaften schließen“, so Christian Koglin.

Kita-Träger nennt Personalmangel als Ursache

Doch wie kommt es zu dieser Situation? Der Grund ist wie so häufig Personalmangel. „Der Kirchengemeinde und auch der Kindergartengemeinschaft ist (...) bewusst, dass die Situation eine außerordentliche Belastung für Eltern – wie auch für Mitarbeitende – darstellt“, erklärt Hannah Praetorius, Sprecherin der Evangelischen Kirche in Bochum. Träger der „Kita Unterm Himmelszelt“ ist derzeit noch die Kirchengemeinde Bochum-Südwest, ab dem 1. August 2024 soll sie dann in die Kindergartengemeinschaft der Evangelischen Kirche in Bochum übergehen.

Im Gespräch mit der WAZ schildern die betroffenen Eltern, wie die Lage in der Kita ihrer Kinder aktuell ist.
Im Gespräch mit der WAZ schildern die betroffenen Eltern, wie die Lage in der Kita ihrer Kinder aktuell ist. © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst

Genaue Zahlen, wie häufig in der Kita in den vergangenen Monaten ein Notbetrieb stattfinden musste, liegen laut Praetorius nicht vor. Sie erklärt: „Derzeit sind zwei Stellen in der Kita nicht besetzt. Wenn dann Krankheitsfälle oder Urlaub von Mitarbeitenden hinzukommen, landet die Kita schnell in der Unterbesetzung.“ Könne der gesetzlich vorgeschriebene Betreuungsschlüssel nicht eingehalten werden, komme es zum Notbetrieb.

Erzieherin im Ruhestand hilft aus

Innerhalb der Kita hätten Mitarbeitende bereits ihre Stunden erhöht, um Personallücken zu kompensieren, auch Urlaube seien mehrfach verschoben worden. Praetorius: „Zeitweise hilft eine Erzieherin, die in der Kirchengemeinde wohnt und bereits im Ruhestand ist, mit 20 Stunden pro Woche aus.“ Doch der Fachkräftemangel mache auch vor der evangelischen Kita nicht Halt, eine unbefristete Stellenbeschreibung sei bisher unbesetzt.

Warum zahlen Eltern trotzdem für das Essen?

Auch wenn Eltern ihre Kinder nicht bringen, müssen sie für das Essen bezahlen. Doch warum?

„Die Essensgebühren werden im Rahmen einer Pauschalfinanzierung erhoben. Eine individuelle Abrechnung würde durch den höheren Verwaltungsaufwand zu einer deutlichen Preissteigerung führen“, erklärt Hannah Praetorius, Sprecherin der Evangelische Kirche in Bochum. Es werde jedoch derzeit in Zusammenarbeit mit den Essenslieferanten geprüft, ob flexiblere Lösungen möglich sind.

Der Kita und der Kirchengemeinde sei bewusst, dass es im Notbetrieb keine gerechte Lösung geben könne. Daher würden alle Maßnahmen in der Kita in Absprache mit dem Elternrat getroffen. Es sei natürlich das Ziel, so gerecht wie möglich zu agieren. „Es bleibt jedoch immer eine Abwägung, welche Maßnahme am wenigsten Kinder bzw. Familien trifft.“

Eltern betonen: „Die Erzieherinnen sind super“

Die Familien hoffen, dass sich bald etwas verändert. „Es ist eine emotionale Belastung für Kinder und Eltern“, sagt Nina Kallenbach. Dabei schätzen die Mütter und Väter, das betonen sie ausdrücklich, die Einrichtung sehr: „Die Erzieherinnen sind super, machen einen tollen Job. Wären genug Leute da, würde es wirklich gut laufen.“