Bochum. Erstmals gehört eine Frau bei den Stadtwerken Bochum zur Geschäftsführung. Sie steht vor großen Herausforderungen. Elke Temme im Interview.

Zum ersten Mal in der Unternehmensgeschichte steht eine Frau an der Spitze der Stadtwerke Bochum. Elke Temme (55) hat Anfang des Jahres die Nachfolge von Dietmar Spohn als Geschäftsführerin des Energieunternehmens angetreten. Gemeinsam mit Frank Thiel leitet sie das städtische Tochterunternehmen und ist zuständig für den neu geschaffenen Bereich Transformation. Die gebürtige Wolfsburgerin hat nach 20 Jahren bei RWE/innogy zuletzt als Managerin bei VW gearbeitet. Exakt nach 100 Tagen im Amt hat sie im Gespräch mit dieser Redaktion ihre ersten Eindrücke beschrieben und ihre Ziele formuliert.

Frau Temme, um welchen VfL sorgen Sie sich mehr: um den aus Wolfsburg oder um den aus Bochum?

Elke Temme: Also im Moment klar um den, der hier zu Hause ist. Ich habe das Spiel in Köln gesehen, die letzten Minuten und die Niederlage waren schon bitter. Auch wenn ich in Wolfsburg geboren bin, zu Hause fühle ich mich hier im Ruhrgebiet. Das ist meine Mentalität. Es gibt schönere Städte, ich habe auch schon in Dresden und München gelebt. Aber ich finde, dass, was eine Region wirklich lebenswert macht, sind immer die Menschen. Hier haben die Leute das Herz auf der Zunge. Das ist auch meine Mentalität.

Sie stehen für klare Kante?

Wenn es etwas gibt, das einem nicht gefällt, sollte man darüber sprechen.

VW oder Opel?

Ganz klar VW. Ich bin sehr zufrieden mit meinem ID.7, ich fahre seit sieben, acht Jahren ein Elektroauto. Ich stehe für zwei Themen, Nachhaltigkeit und Diversität. Und ich finde, ich kann nicht das eine predigen und etwas anderes tun. Was gibt es Einfacheres, als etwas zu tun, ohne Komfortverlust, und gleichzeitig einen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten? Dafür ist die Elektromobilität bestens geeignet.

Sie stehen jetzt seit 100 Tagen an der Spitze der Stadtwerke Bochum. Wie sind Sie im Unternehmen und in der Stadt angekommen, welche Eindrücke haben Sie gewonnen?

Ich bin mit sehr offenen Armen empfangen worden, habe tolle Mitarbeiter kennengelernt, es gibt ein gutes Miteinander in der Geschäftsführung. Das alle sind beste Voraussetzungen, um die Mammutaufgaben, die vor uns liegen – Wärmewende, Energiewende, Mobilitätswende – zu bewältigen. Am Anfang steht aus meiner Sicht immer das Team, dann die Aufgabe, dann das Ergebnis. Wir haben in den vergangenen Wochen als Team eine ganze Menge erreicht, zum Beispiel die Strategie weiter konkretisiert, und haben jetzt noch einmal besonders die Nachhaltigkeit im Fokus. Das werden wir dann Ende Mai mit dem Aufsichtsrat besprechen. Dazu gehören Fragen danach, wie wir die Wärmeerzeugung grün bekommen, wo und wie wir die Strom- und Fernwärmenetze ausbauen, mit welcher Technik wir die Transformation angehen, wie wir noch schneller digitalisieren können.

Das heißt dann liegt die Strategie für die nächsten zehn Jahre auf dem Tisch?

Das hängt auch noch von regulatorischen Rahmenbedingungen ab, die erst in den nächsten Monaten entschieden werden. Aber bis 2030 haben wir jetzt genauer geguckt; und natürlich auch darüber hinaus. Wir nehmen enorme Gelder in die Hand, um das Ganze umzusetzen, müssen aber gleichzeitig auch schauen, dass die Versorgung weiterhin sicher und für die Kunden bezahlbar bleibt. Wir müssen viele Parameter im Blick haben. Aber ich glaube, wir haben jetzt einen guten Fahrplan.

Der wie aussieht, etwa beim Ausbau der Fernwärme? Ihr Vorgänger hatte angekündigt, die Pläne dafür würden im Herbst 2023 vorliegen.

Wir sind bei dem Thema ja nur ein Baustein. Bis August werden wir eine gute Vorstellung davon haben, was technisch möglich ist und wo wir die nächsten Jahre die Fernwärme ausbauen werden. Ich sage bewusst, was technisch machbar ist. Es müssen noch einige weitere Faktoren berücksichtigt werden, wie z.B. ob es noch genügend Platz im Untergrund für neue Leitungen gibt und anderes; auch vor dem Hintergrund anderer Themen wie zu Beispiel der Schwammstadt. Und am Ende müssen unsere Lösungen dann auch noch bezahlbar sein. Planungssicherheit werden wir daher erst nach Abschluss der kommunalen Wärmeplanung haben.

Sie sprechen von Mammutaufgaben und davon, dass die Stadtwerke gutes Personal haben. Wird das auch noch morgen und übermorgen so sein, angesichts des Fachkräftemangels, der sich eher verschärfen als entspannen dürfte.

Am Anfang steht aus meiner Sicht immer der Mensch. Habe ich das richtige Personal, ist es ausreichend motiviert, identifiziert es sich mit dem Unternehmen. Natürlich fangen wir jetzt auch an, noch mehr auszubilden, als wir das bislang ohnehin schon tun. Wir gucken an, wie ist die Mitarbeiterzufriedenheit. Und wir beschäftigen uns damit, wo wir uns vielleicht noch verstärken müssen. Grundsätzlich haben wir ein fachlich gutes Team, ein gutes Miteinander und mit 42,4 Jahren auch ein gutes Durchschnittsalter unserer Belegschaft mit derzeit 861 Beschäftigten.

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Sie kommen aus dem Bankwesen, waren bei einem Energieunternehmen, dann bei einem Autokonzern und sind jetzt wieder in der Energiebranche. Heißt das, wer große Aufgaben übernehmen will, der darf keine Berührungsängste haben?

Es sind es mehrere Dinge. Ich habe mich schon immer mit den neuen Themen beschäftigt, das macht mir einfach Spaß. Es gibt Leute, die haben Angst vor Veränderungen. Ich finde es toll, wenn ich Sachen gestalten kann, die einen Sinn ergeben wie die Nachhaltigkeit. Es gibt überhaupt nichts Spannenderes im Moment, als genau diesen Bereich. Ich sage immer, the place to be is energy (frei übersetzt: Die Energiebranche ist diejenigen, in der man arbeiten muss), weil es in diesem Bereich so viele Themen gibt, die wir für eine bessere Zukunft gestalten dürfen. Mich spornt das auf jeden Fall sehr an; auch weil es ein gutes Gefühl ist, zu sagen, ich leiste einen Beitrag zu etwas, das die Welt ein Stück besser macht. Das motiviert mich sehr. Und zum Wechsel: Auch bei VW habe ich in der Sparte Energie gearbeitet. Das ist der Bereich, für den mein Herz brennt; mit allen Facetten, die dazu gehören. Es ist sicher ein Vorteil, dass ich schon viel im Energiebereich gearbeitet habe: ob das Elektromobilität ist, Vertrieb, Erzeugung, Erneuerbare Energien. Das hilft, um etwas in das Unternehmen einzubringen.

Sie sind verantwortlich für den neu geschaffenen Bereich Transformation. Was heißt das konkret? Was werden Sie transformieren mit Ihren Beschäftigten?

Nachhaltigkeit spielt für die neue Stadtwerke-Geschäftsführerin Elke Temme eine wichtige Rolle. Das gilt auch für ihr neu gestaltetes Büro in der 15. Etage. Farbenfroh und nachhaltig sei es eingerichtet, so die 55-Jährige.
Nachhaltigkeit spielt für die neue Stadtwerke-Geschäftsführerin Elke Temme eine wichtige Rolle. Das gilt auch für ihr neu gestaltetes Büro in der 15. Etage. Farbenfroh und nachhaltig sei es eingerichtet, so die 55-Jährige. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Es geht um Nachhaltigkeit mit all seinen Facetten; ökologisch, ökonomisch und sozial. Wir haben die Mammutaufgabe vor uns, die Energie grün zu bekommen, die Wärmenetze und Stromnetze auszubauen, um den erhöhten Bedarf durch Elektromobilität und Wärmepumpen umsetzen zu können und die Elektromobilität voranzubringen. Und das alles so, dass die Versorgungssicherheit gewährleistet ist und es für die Bürger bezahlbar bleibt. Daher spielt auch die Digitalisierung hier eine große Rolle. Es geht im sozialen Bereich aber auch darum, zu gucken, wie inklusiv wir arbeiten, sind auch Leute willkommen, die anders sind. Wir sind in der Stadt schon in vielen sozialen Projekten aktiv. Es ist wichtig, das beizubehalten. Wir haben eine Verantwortung mit Blick auf unser Jahresergebnis und die Rolle, die das etwa für den ÖPNV spielt. Und das alles schaffen wir nur, wenn wir das Team in den Vordergrund rücken und alle Mitarbeiter mitnehmen. Vertrauen spielt dabei eine große Rolle. Ich fühle mich gut aufgestellt. Was ich noch nicht 100-prozentig kenne, das ist die kommunale Welt. Die ist neu für mich. Die Stadtwerke sind ein städtisches Unternehmen, d.h. es gibt einige andere Regeln als sonst in einem Unternehmen. Mal brauche ich vielleicht erst einen Ratsbeschluss, mal ist es etwas anderes. Ich muss die Spielregeln noch kennenlernen.

Was bereitet Ihnen Sorgen?

Es gibt kein Sorgenkind in der Stadtwerke-Gruppe. Wie für alle anderen auch, wird das Thema Fachpersonal immer größer. Dem müssen wir uns stellen. Im Moment sind wir gut aufgestellt und gehen die Transformationsthemen konsequent an.

Diversität haben Sie als wichtigen Faktor genannt. Wie divers sind die Stadtwerke Bochum und wie divers dürfen sie sein?

Wir sind schon ganz gut, aber da geht noch was. Die Stadtwerke haben gut angefangen, dieses Thema aufzugreifen. Frauen in Führungspositionen zum Beispiel ist in den Unternehmenszielen verankert. Die Quote liegt hier bei 27 Prozent; bei einem 25-prozentigen Frauenanteil im Unternehmen ist das schon vernünftig. Aber so wie fast alle anderen Firmen können wir da noch besser werden. Das Potenzial, das dahintersteckt, wird von vielen unterschätzt. Es kann auf jeden Fall helfen, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Aber natürlich ist das nur ein Teil von Diversität.

Für die Mammutaufgabe, von der Sie sprechen, sind die 187 Millionen Euro, die Anfang des Jahres aus dem Erlös des Verkaufs der Stadtwerke-Anteile an der Steag nach Bochum geflossen, sicher wichtig. Was werden Sie konkret mit diesem Geld machen? Und was kostet es, das Fernwärmenetz und das Stromnetz auszubauen und alle die anderen Aufgaben, die nun anstehen?

Die Summen, die wir für die Aufgaben der Energie-, Wärme- und Mobilitätswende benötigen, liegen deutlich über den 187 Millionen Euro. Aber erst einmal entscheidet der Aufsichtsrat über die Ergebnisverwendung …

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Wobei alle Signale doch darauf dahindeuten, dass die Stadtwerke das Geld eben für die großen Transformationsaufgaben verwenden sollen, oder nicht?

Es ist auf jeden Fall das gemeinsame Verständnis da, dass die Verkaufserlöse für Infrastrukturmaßnahmen verwendet werden sollten. Ich glaube, das ist auch gut, denn wir reden schon bis 2030 über große, dreistellige Millionenbeträge hauptsächlich für die Netze sowohl bei der Wärme als auch beim Strom. Wir müssen außerdem bis 2030 mindestens 30 Prozent der Fernwärme grün bekommen, das ist eine gesetzliche Verpflichtung.

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Wie wird die Fernwärme in Bochum grün?

Wir schauen uns verschiedene Möglichkeiten an. . Wir haben gerade einen Vertrag mit Novocarbo abgeschlossen. Dies ist ein Start-Up, das in Bochum seinen bislang größten Carbon Removal Park bauen wird, CO2 aus der Atmosphäre bindet, Pflanzenkohle produziert und regenerative Energie erzeugt. Wir nutzen die Wärme aus der Produktion für unsere Fernwärme. Wir analysieren aber gerade auch weitere Möglichkeiten, z.B. Großwärmepumpe oder Geothermie. Das prüfen wir sehr konkret, auch mit möglichen Standorten. Bis August soll der Plan dafür stehen, da wir für die Transformation der Fernwärmeerzeugung auf Fördermittel des Bundes hoffen.

Grüne Fernwärme ist wichtig, der Stromnetzausbau ist wichtig, die Digitalisierung ist wichtig. Was ist die allerwichtigste Aufgabe der Stadtwerke Bochum?

Das ist zeitlich gestaffelt. Die kommunale Wärmeplanung liegt zwar noch nicht vor. Aber um Wärmeerzeugung können und müssen wir uns schon jetzt kümmern. Die Digitalisierung ist in allen Bereichen von zentraler Bedeutung, wenn man dauerhaft die Kosten im Griff behalten will, aber auch, um so möglichen künftigen Personalengpässen vorzubeugen. Das Thema muss unbedingt mit Nachdruck vorangetrieben werden. Und die vorausschauende Planung insbesondere der Stromnetze ist essenziell.

Welche Rolle spielt der Austausch mit anderen Energieunternehmen; gerade im Ruhrgebiet und vor dem Hintergrund des Vorwurfs, hier herrsche noch zu sehr Kirchturmdenken?

Ich bin überzeugt, dass Zusammenarbeit auf jeden Fall immer richtig ist. Das tun wir ja auch schon. Wir arbeiten eng mit den Dortmunder Stadtwerken zusammen, mit Gelsenwasser sowie im Verbund der Energie- und Wasserversorgung Mittleres Ruhrgebiet mit den Stadtwerken Herne und Witten; bis hin dazu, dass bestimmte Dienstleistungen von dem einen oder von dem anderen wahrgenommen werden, damit wir die Kapazitäten nicht doppelt aufbauen müssen. Für mich ist vor allem die Frage wichtig, wie ich mit Themen umgehe. Da bin ich geprägt durch das Silicon Valley. Dort habe ich viel Zeit während meiner Beschäftigung bei Innogy verbracht. Was mir von damals hängen geblieben ist: Innovationen wurden nicht wie Geheimnisse gehütet, sondern bereitwillig zur Verfügung gestellt. Das habe ich zuerst überhaupt nicht verstanden. Bis ich begriffen habe, dass es um Geben und Nehmen geht, und darum, gemeinsam schneller zu sein. Unsere Wettbewerber sind ja nicht andere Stadtwerke, sondern große überregionale Anbieter. Deshalb, so glaube ich, tun wir gut daran, uns gegenseitig zu unterstützten. Ich muss nicht alles selbst erfinden, sondern kann von der Erfahrung des anderen profitieren; und der andere profitiert von mir.

Die ersten 100 Tage sind vorbei. Was wäre ihnen wichtig, wenn wir in einem Jahr Bilanz ziehen – abgesehen von der Vertrauensbildung?

Wir sind in der Umsetzung der Energie-, Wärme- und Mobilitätswende sowie der Digitalisierung ein gutes Stück weitergekommen. Und wir sind nicht nur beim „was“, sondern auch beim „wie“, der Art und Weise, wie wir an Sachen herangehen, den nächsten Schritt gegangen. Wir brauchen ein digitales Mindset, müssen agil arbeiten. Am Ende macht genau das den Unterschied. Es ist nicht das „Was“, - sondern das „Wie“. Das zu vermitteln, ist nicht immer ganz einfach. Gelingt das aber, wird auch das „Was“ besser, schöner, schneller, effektiver. Davon bin ich überzeugt. Und das ist genau das, was agile, digitale Unternehmen leben. Wenn wir auch da einen Schritt weiterkommen, wäre das viel wert. Aber auch das ist ein Marathon und kein Sprint, wie die gesamte Transformation.

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