Bochum. Die Polizei wartet, die Security verfolgt sie. Bei einer Kunstaktion in Bochum bricht Redaktuerin Carolin Rau nachts in ein Museum ein – legal.
Stellen Sie sich diese Situation vor: „Heute ist die Alarmanlage deaktiviert. Das Kunstmuseum steht unter Polizeischutz. Sie können zwischen drei ungewohnten Zugängen wählen, um in das Gebäude zu gelangen. Dabei sind Sie auf sich allein gestellt. Ausgestattet mit einer Taschenlampe können Sie sich im Ausstellungsbereich frei bewegen. Hierfür haben Sie 30 Minuten Zeit. Um die Exponate zu schützen, wurden Sicherheitskräfte engagiert, die Ihnen im Inneren des Hauses folgen.“
Um 19 Uhr mache ich mich auf den Weg von unserer Redaktion in der Bochumer Innenstadt zum Hauptbahnhof. Ich bin nervös, habe ein mulmiges Gefühl. Ist es wirklich eine gute Idee, in ein Museum einzubrechen? Es handelt sich um eine Kunstaktion, ist legal – klar. Trotzdem fühlt es sich erstaunlich real an, als ich wie verabredet 15 Minuten später in den großen, weißen Transporter steige, der soeben vor mir gehalten hat.
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Einbruch ins Bochumer Kunstmuseum – über die unsichtbare Tür
Künstlerin Hannah Hofmann öffnet die Tür, bittet mich, mich zu setzen. Sie schildert mir das Szenario. Schließlich fragt Sie: „Welchen Hintereingang ins Museum möchten Sie wählen?“ Den einfachsten, der mich direkt in die zweite Etage des Museums bringt? Die unsichtbare Tür? Oder den schwierigeren Weg durch den Garten des Museums? Ich überlege kurz und entscheide mich für Variante zwei.
„Schnallen Sie sich bitte an. Wir fahren nun los. Die Fahrt verbringen wir schweigend“, sagt Hofmann daraufhin, setzt sich vorne auf den Beifahrersitz. Der Fahrer startet den Wagen, über den Südring erreichen wir auf kurzem Umweg die Schiller-Straße. Wir halten an, Hannah Hofmann zeigt mir Fotos, die beschreiben, wie ich das rund 200 Meter entfernte Kunstmuseum über den Hintereingang betreten kann.
Zügigen Schrittes durch die verregnete Finsternis
Ganz genau präge ich mir die Bilder ein: den Weg entlang der Straße bis hin zu der unsichtbaren Tür. „Bereit?“, fragt Hofmann und drückt mir die Taschenlampe in die Hand. „Ich glaube schon“, antworte ich. Und laufe los.
Mittlerweile ist es finster, es regnet und ist windig. Ich überquere die Straße, laufe zügig los. Das Kunstmuseum ist umstellt von sechs Polizistinnen und Polizisten in Zivil. Wahr nehme ich diese aber nicht. Der Weg ist leicht zu finden. Vor der unsichtbaren Tür liegt ein Saugnapf mit Türgriff, genauso wie es mir Hoffmann zuvor erklärt hat.
- Nur mit Taschenlampen bewaffnet, können sich Freiwillige Ende März nächtlichen Zugang ins Museum verschaffen. Wie das geht? So haben wir im Vorfeld über die Aktion berichtet.
Ich muss etwas Kraft aufwenden, um ihn festzudrücken. Ich atme tief ein und aus – und ziehe. Die Tür öffnet sich leicht. Im Inneren des Museums ist es dunkel. Im Spalier stehen Sicherheitsmänner, mit dem Rücken zu mir. Wie viele es sind? Keine Ahnung. Ihre Westen reflektieren meine Taschenlampe.
Einen Moment halte ich inne, frage mich: Passiert jetzt was? Noch im Transporter habe ich Hannah Hofmann gefragt, ob ich im Museum eine Mission zu erfüllen habe? Ihre Antwort: „Was Sie aus den 30 Minuten machen, bleibt ganz Ihnen überlassen.“
Die Security im Nacken: „Sobald Sie sich umdrehen, endet die Aufführung“,
Ich laufe weiter, spüre dicht in meinem Nacken mindestens zwei der Security-Leute. Sie folgen mir, sobald ich laufe. Sie bleiben stehen, wenn ich stehen bleibe. „Sobald Sie sich umdrehen und ein Blickkontakt entsteht, endet die Aufführung“, diesen Satz hat mir die Künstlerin mit auf den Weg gegeben.
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Ich erkunde das Erdgeschoss des Museums. Um mich herum ist es finster. Ich laufe von hinten auf den Eingangsbereich zu, vorbei am Empfangstresen. Immer wieder blicke ich mich um, entscheide mich dann, weiter nach oben zu gehen. Ich laufe auf den Aufgang zu, gehe zügigen Schrittes nach oben. Zuerst erkunde ich das erste Obergeschoss, über das sich verteilt die Exponate der Gruppenausstellung „Our house is a very very very fine house“ zum 40. Geburtstag des Neubaus befinden.
Nach kurzer Zeit bahne ich meinen Weg weiter, in die zweite Etage. Am Ende des Aufgangs bleibe ich stehen. Mein Blick fällt auf einen Zettel, der über das monumentale Wandmosaik des Künstlers Morgens Andersen informiert. Es befindet sich entlang der Rampe, in seiner Ganzheit könne man es am besten aus der zweiten Etage betrachten, steht da. „Zumindest bei Tageslicht“, denke ich mir.
Kunst betrachten, aus einem ganz anderen Blickwinkel
Aus ein paar Metern Entfernung leuchte ich auf die Wand, betrachte das Kunstwerk Stück für Stück und nicht im Ganzen. Um mich herum ist es still, nur vereinzelt dringen die Geräusche der Straße zu mir hervor. Ich fühle mich, als wäre ich ganz allein im Museum, nachts, nur mit meiner Taschenlampe in der Hand. Wie viel Zeit inzwischen vergangen ist, zehn Minuten oder 20? Schließlich gehe ich weiter. Statt Stille höre ich nun wieder die Schritte.
Sie folgen mir, durch die Bibliothek, in den Bereich, in dem die ständige Sammlung ausgestellt ist. Raum für Raum bewege ich mich fort, bleibe immer wieder stehen. Ich lese, was auf den kleinen Zetteln an der Wand und neben den Werken steht. Ich lasse die Bilder aus diesem besonderen Blickwinkel auf mich wirken. Löste es anfänglich Beklommenheit aus, die Security im Nacken zu spüren, gewöhne ich mich immer mehr an sie.
Ich habe das Gefühl, dass die 30 Minuten bald um sein könnten, begebe mich wieder in die erste Etage. Will mich noch einmal ruhiger dort umsehen. Plötzlich ertönt ein lautes Klingeln hinter mir, ein Wecker. Einer der Security-Leute gibt sich mir zu erkennen, er signalisiert, dass ich ihm nach draußen folgen solle. Ich verlasse das Museum, durch den Haupteingang.
Ich überquere die Straße, wie zuvor besprochen begebe ich mich in das Haus der Kortum-Gesellschaft am Eingang des Stadtparks. Dort erwartet mich Künstler Sven Lindholm, der das Projekt „Keep the Cat in at Night“ zusammen mit Hannah Hofmann initiiert hat. Mit etwa zehn anderen Menschen sitzt er um einen Tisch, blickt auf die Bewegtbilder vor ihm: die Überwachungszentrale.
Inszenierung setzt sich mit aktueller Spannungslage in der Gesellschaft aus
Lindholm bietet mir etwas zu trinken an. Während ich noch über die Geschehnisse in den vergangenen 30 Minuten nachdenke, kommen wir ins Gespräch. „Man fragt sich im Voraus natürlich: Funktioniert alles?“, berichtet er. Zahlreiche Menschen sind an der Initiierung beteiligt, so etwas im Voraus zu proben – quasi unmöglich.
In der aktuellen gesellschaftlichen Debatte werde dem Thema Sicherheit so viel Gewicht verliehen wie kaum je zuvor, dafür würden Nachrichten über Kriege, Umweltkatastrophen und politische Umwälzungen sorgen. Das Künstler-Duo möchte sich mit der aktuellen Arbeit mit dieser Spannungslage auseinandersetzen.
„Interessant ist der Aspekt der Gleichzeitigkeit“, sagt Lindholm. Zum einen löse die Security in der Inszenierung ein Gefühl von Sicherheit aus, zum anderen Unbehagen. Das kann ich nachvollziehen: Sobald ich mich bewegt habe, wurde ich von den zehn Männern verfolgt. Gleichzeitig konnte ich sie steuern, sie zum Stehen bringen, wann immer ich genau das getan habe.
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500 bis 600 Interessierte für Kunst-Inzenierung in Bochum
Das Interesse, Teil dieser Kunstaktion zu sein, war im Vorfeld riesig. Menschen aus Hamburg oder Berlin hätten sich gemeldet, es habe eine Nachfrage von 500 bis 600 Personen gegeben. Ich frage mich: Wird es das Ganze nochmal geben? „Mal schauen“, sagt Lindholm, er schließt das nicht aus.
Während ich auf die Überwachungsbildschirme blicke, höre ich von oben jemanden sagen: „Die Zielperson hat den Transporter verlassen und ist auf dem Weg zum Museum.“ Die nächste Teilnehmerin startet mit ihrem Einbruch in das Kunstmuseum.