Bochum. Dem Angeklagten im mutmaßlichen Betrugsfall um massenhaft fingierte Coronatests droht erneut eine lange Haftstrafe. Was der Richter dazu sagt.
Mit klaren Worten hat der Vorsitzende Richter am Montag im zweiten Bochumer Medican-Prozess dem Angeklagten mitgeteilt, wie die 2. Wirtschaftsstrafkammer die vorläufige Beweislage sieht. Das werden der Angeklagte und seine drei Verteidiger nicht gern gehört haben.
Im Prozess geht es um mutmaßlich frei erfundende Abrechnungen der Bochumer Coronatest-Firma Medican im März und April 2021: Der damalige Chef, der Angeklagte, soll sich von der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) mehr als 24 Millionen Euro erschlichen haben, indem er fast eine Million Tests zu viel in Rechnung gestellt habe: Sie seien gar nicht durchgeführt worden, weil sie zuvor gar nicht an Medican geliefert worden seien.
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Richter Markus van den Hövel betonte an diesem zweiten Prozesstag zwar ausdrücklich, dass die Einschätzung eine vorläufige sei und nur auf der Aktenlage basiere; sie sei „kein Präjudiz“ für das spätere Urteil. Dennoch kam die Kammer zu einem recht eindeutigen Bild. Sollten im zweiten Prozess nicht fundamentale neue Erkenntnisse ans Licht kommen, folge sie „1:1“ den Tatsachen-Feststellungen, die bereits eine andere Bochumer Wirtschaftsstrafkammer im Juni 2022 getroffen habe. Damals wurde der Angeklagte zu sechs Jahren Haft wegen Betruges verurteilt.
Bundesgerichtshof hob das erste Bochumer Urteil auf
Der Angeklagte hatte gegen das erste Urteil trotz eines späten Geständnisses Revision eingelegt und Erfolg gehabt: Der Bundesgerichtshof (BGH) verwies den Fall wegen eines Rechtsfehlers an eine andere Bochumer Strafkammer zurück.
Dieser Rechtsfehler könnte jetzt im zweiten Prozess ausgeräumt werden, so dass eine erneute Verurteilung zu mehreren Jahren Haft denkbar ist. Aus BGH-Sicht liegt der Rechtsfehler darin, dass sich der Angeklagte wegen einer unzureichenden Protokollierung eines Gesprächs zwischen Richter und Verteidiger außerhalb der Sitzung unter Druck gesetzt gefühlt haben könnte, ein Geständnis abzulegen. Nach dem Geständnis war er nach einem Jahr U-Haft freigekommen.
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Richter van den Hövel („Hier ist Ruhrgebiet, hier wird offen geredet“) rechnete vor, dass den Akten zufolge die Firma Medican im März 2021 von diversen Lieferanten 134.500 Tests bekommen, aber 408.137 Tests abgerechnet habe. Im April 2021 seien 596.381 Tests geliefert und 1.262.305 bei der KVWL in Rechnung gestellt worden. „Warum?“, fragte der Richter mit kräftiger Stimme in Richtung der Anklagebank.
Zudem gibt es zwei weitere Vorwürfe: Der Angeklagte soll massenhaft Tests nicht nur frei erfunden, sondern die einzelnen auch überhöht abgerechnet haben: Laut Anklage habe er 15 statt zwölf Euro pro Test kassiert, weil er ärztliche Leistungen geltend gemacht habe, obwohl gar kein Arzt dabei gewesen sei. Zudem soll er zu hohe Sachkosten abgerechnet haben. Auch in diesen Punkten könnte die Kammer nach Aktenlage den Feststellungen aus dem ersten Urteil folgen, hieß es.
Medican-Nachfolger stellt Insolvenzantrag
Bekannt wurde jetzt aber, dass die Nachfolgefirma von Medican vor wenigen Tagen einen Insolvenzantrag gestellt hat. Es geht um die Rückforderungen der KVWL in Höhe von 36 Millionen Euro.
Rund 16 Millionen Euro aus den Medican-Beständen hatte die Staatsanwaltschaft bereits 2021 beschlagnahmt.
Angeklagter hat bisher geschwiegen
Die Verteidiger wollen am nächsten Prozesstag (25. März) einen umfangreichen Beweisantrag stellen. Zum Prozessauftakt vor zwei Wochen hatten sie eine Erklärung abgegeben, die wohl mehr oder weniger auf einen Freispruch hinauszulaufen scheint. Der Angeklagte hat bisher geschwiegen.
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