Bochum. Erneut beginnt in Bochum der Betrugsprozess um Coronatests von Medican. Das Geständnis des Angeklagten ist nichtig. Er will wohl Freispruch.

Eigentlich schien der Betrugsfall um die Coronatest-Firma Medican am 24. Juni 2022 nach sechsmonatigem Prozess vor dem Landgericht Bochum komplett geklärt: sechs Jahre Haft für den ehemaligen Chef (51) der Firma wegen Abrechnungen von Tests, die völlig frei erfunden waren. Schaden: mehr als 24 Millionen Euro. Doch seit Montag (19. Februar) steht der Wattenscheider Unternehmer erneut vor dem Landgericht – wegen haargenau derselben Sache. Und diesmal scheint das Ziel der Verteidigung wohl mehr oder weniger auf einen Freispruch hinauszulaufen. Die Staatsanwaltschaft wird wohl eisern dagegenhalten.

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Geleitet wird der neue Prozess von der 2. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Bochum unter Vorsitz von Markus van den Hövel (Bildmitte).
Geleitet wird der neue Prozess von der 2. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Bochum unter Vorsitz von Markus van den Hövel (Bildmitte). © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Der Fall hatte bundesweit für Beachtung gesorgt. Im Mai 2021, auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie, flog nach Presse-Recherchen auf, dass die Firma Medican bei der Kassenärztlichen Vereinigung massenhaft Bürgertests abgerechnet haben soll, die in Wahrheit gar nicht durchgeführt wurden. Der damalige Chef kam ein Jahr in U-Haft und wurde von der 6. Wirtschaftsstrafkammer zu sechs Jahren Haft verurteilt. Neben frei erfundenen Tests stellte das Gericht auch überhöhte Abrechnungen von realen Tests fest. „Er handelte mit einer Selbstbedienungsmentalität, die ihresgleichen sucht“, sagte Richter Michael Rehaag damals.

Zuvor hatte der Angeklagte im Rahmen eines Deals mit der Justiz ein umfassendes Geständnis abgelegt: „Ich war im Chaos versunken.“ Er habe eine fiktive Anzahl von durchgeführten Tests angegeben, „ohne zu wissen, wie viele tatsächlich erfolgt sind“. Er habe „erheblich mehr“ abgerechnet – ungefähr eine Million. „Ich möchte mich in aller Form entschuldigen. Ich werde jeden Cent zurückzahlen.“ Unmittelbar danach kam er aus der U-Haft vorläufig frei, wenn auch nur unter Meldeauflagen.

Bochumer Richter: Erstes Urteil ist jetzt „komplett aus der Welt“

Dieses Geständnis ist mittlerweile aber nichtig. Denn nach dem Urteil hat er trotzdem Revision eingelegt – und damit Erfolg gehabt. Wegen eines Verfahrensfehlers hob der Bundesgerichtshof (BGH) Mitte 2023 das Bochumer Urteil auf und ordnete an, dass der Fall von anderen Bochumer Richtern ganz neu verhandelt werden muss. Das Urteil mit den sechs Jahren Haft ist jetzt „komplett aus der Welt“, wie Richter Markus van den Hövel am Montag sagte. Er leitet die 2. Wirtschaftsstrafkammer, die nun zwölf weitere Termine bis 13. Mai eingeplant hat.

Er hätte damals alles unterschrieben, um aus der U-Haft zu kommen.
Strafverteidiger Björn Gercke über das frühere Geständnis des Angeklagten

Der BGH hatte beanstandet, dass das Bochumer Gericht ein nicht öffentliches Gespräch mit einem Verteidiger in einer Sitzungspause über einen möglichen Deal und ein mögliches Geständnis nicht hinreichend protokolliert habe, weshalb der Angeklagte nicht vollständig informiert gewesen sei. Er hätte sich sonst möglicherweise effektiver verteidigen können. Es sei nicht auszuschließen, dass er sich unter Druck gesetzt gefühlt habe, ein Geständnis abzulegen.

Und genau das bestätigte zum Auftakt des nun zweiten Prozesses Verteidiger Björn Gercke aus Köln, einer von insgesamt drei neuen Verteidigern des Ex-Medican-Chefs. Seine beiden aus dem ersten Prozess sind raus.

Verteidiger: Angeklagter war damals „überfordert“

Gercke sagte, dass sein Mandant „damals alles unterschrieben hätte, um aus der U-Haft zu kommen und zu seiner Familie zurückzukehren“. Das Geständnis habe er nur abgelegt, „weil er nicht mehr konnte“.

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Gercke stellte auch grundsätzlich in Zweifel, ob sich sein Mandant damals überhaupt strafbar gemacht habe, weil er überhaupt nicht habe vorsätzlich betrügen oder täuschen wollen. Der Angeklagte sei vielmehr „überfordert“ gewesen. Auch für die damals beteiligten Behörden seien die Verordnungen zur Corona-Krise und die Abrechnungen der Bürgertests absolutes Neuland gewesen. Möglicherweise habe sein Mandant damals auch nur aus Fahrlässigkeit und Naivität so gehandelt.

Die Richter werden jetzt mit großem Aufwand erneut sehr viele Zeugen befragen und sehr viele Beweise erheben. Der Ausgang scheint völlig offen.