Bochum. Bei der Bahn wird wieder mal gestreikt. Viele Bochumer und jene, die sich auf den Weg dorthin befinden, interessiert das herzlich wenig.

Die einzige S1 der Stunde fährt pünktlich ab. Naja, zwei Minuten Verspätung hat sie, aber was sind schon zwei Minuten? Die Pendler auf dem Bahnsteig sind Schlimmeres gewohnt, für sie ist das Luxus. Dementsprechend entspannt ist die Stimmung am Hauptbahnhof Essen am ersten Tag des sechstägigen Bahnstreiks.

Zwar peitscht der Wind teils so heftig, dass einige Passagiere bis auf den letzten Drücker auf der Treppe warten, aber das ist bei den Temperaturen der letzten Wochen nichts Neues. Nichts Neues – das trifft es für einige Pendler, die sich um 8:26 Uhr (besser gesagt: um 8:28 Uhr) auf den Weg nach Bochum machen, sehr gut.

Die S1 verkehrt an Streiktagen nur einmal pro Stunde

Schließlich kennen sie das Streik-Prozedere bereits von vor zwei Wochen: Die S1, die auch den Verkehr der Streckensperrung mit regulär vier Fahrten pro Stunde abfängt, verkehrt an Streiktagen nur einmal die Stunde. Um 26 nach, wenn sie denn pünktlich wäre.

Für viele, die zur vollen Stunde in Bochum mit der Arbeit anfangen, mag der Zeitpunkt bestens gewählt sein. Selbst mit einigen Minuten Verspätung sollte die S1 dann vor 8:50 Uhr am Bochumer Hauptbahnhof eintreffen.

„Die Verbindungen sind eh scheiße“

Aber das gilt längst nicht für alle. Häufig hört man, dass Pendler früher losfahren, um rechtzeitig da zu sein. Ein Student, der über Bochum nach Dortmund fährt, ist ganze zwei Stunden eher unterwegs.

Auch zwei Studentinnen der Hochschule Bochum haben sich zeitiger als sonst auf den Weg gemacht. „Wir haben heute eine Abgabe“, erzählt eine von ihnen. Da wollen sie natürlich pünktlich ankommen. Dass ausgerechnet heute gestreikt wird, sei ärgerlich. Aber: „Die Verbindungen sind eh scheiße“, sagt die 20-Jährige.

Entspannung und Ruhe statt Chaos und Empörung in der S1 nach Bochum

Angekommen in der Bahn, breitet sich Stille aus. Das Knistern einer Bäckertüte, hier und da ein Räuspern oder Schniefen – mehr ist nicht zu hören. Viele Pendler sitzen da, starren in die Luft und hängen ihren Gedanken nach. Einige scrollen am Handy, andere arbeiten an ihrem Laptop. Von Chaos und Empörung ist weit und breit keine Spur.

Ganz im Gegenteil: Obwohl die Sitzplätze voller sind als sonst und viele Leute stehen müssen, herrscht beinahe besinnliches Schweigen. Nochmal entspannen, bevor‘s an die Arbeit geht. So wie jeden Morgen eben. Diese ruhige Atmosphäre rührt wohl auch daher, dass die einzige Bahn der Stunde wenigstens einigermaßen pünktlich fährt.

Nur eine Minute Verspätung

Man kennt das ja: Kollektives Augenverdrehen und Gemurmel, wenn über die Lautsprecher der S-Bahn Verspätung angekündigt wird. Doch die Insassen der S1 werden an diesem Morgen verschont, und Stress scheint den meisten fern.

Wie das an Tag sechs des Streiks aussieht, vermag noch keiner zu sagen. Aktuell gilt: Die S1 fährt. Zwar nur einmal pro Stunde und voller als sonst, aber sie fährt. Und holt eine der zwei Minuten Verspätung sogar auf, sodass die Pendler um 8:44 Uhr an Gleis acht aus den Türen schwärmen und ihrer Wege gehen.

Pendler strömen am Bochumer Hauptbahnhof aus der S1 in Richtung Dortmund.
Pendler strömen am Bochumer Hauptbahnhof aus der S1 in Richtung Dortmund. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Notlösung Bahn ist auch keine Lösung

34 Minuten noch bis zur nächsten S1 zurück über Essen in Richtung Solingen. Sie fährt an Streiktagen um 17 nach – das scheinen einige vergessen zu haben. Zwar ist Gleis sieben weitestgehend leer. So leer, wie ein Gleis eben ist, wenn der nächste Zug erst in über einer halben Stunde fährt. Doch ein paar verlorene Seelen sitzen dennoch herum und warten.

Simon Witting aus Bochum hat ausgerechnet heute auf die Bahn gezählt. Normalerweise fahre er mit dem Fahrrad nach Steele. Bei dem Wind dachte er sich am Mittwochmorgen jedoch, die Bahn sei die bessere Option. Bis er am Bahnhof ankam und merkte: Seine Notlösung ist heute auch keine Lösung. „Ich wusste gar nicht, dass die streiken“, lacht er.

Auch Byra Yarina ist am ersten Streiktag eher gestresst. Zwar muss sie nicht zur Arbeit, aber ihre Mutter kommt heute aus der Ukraine. Aufgrund des Streiks möchte sie nicht allein von Essen nach Bochum fahren und Byra hat versprochen, sie in der Nachbarstadt abzuholen.

Diese Texte haben viele Menschen interessiert

Ein Streikmorgen ist geschafft, fünf weitere folgen

Stephen Obika teilt die Entspannung innerhalb der S1 von Essen nach Bochum auch nicht. Er ist frustriert. Normalerweise kann er die Direktverbindung von Bochum nach Köln nehmen, um einen Freund zu besuchen. Heute muss er auf die S-Bahn nach Essen warten, um dort umzusteigen. „Keine einfache Erfahrung“, meint er. Später am Abend müsse er zudem arbeiten – und sei erneut auf die Bahn angewiesen.

Der Bochumer Stephen Obika muss wegen des Streiks einen Umweg nach Köln nehmen.
Der Bochumer Stephen Obika muss wegen des Streiks einen Umweg nach Köln nehmen. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

So sind die Gemüter an diesem Morgen geteilt und auch das ist letztlich: nichts Neues. Ob mit Stress oder Entspannung, die Pendler von und nach Bochum müssen die Situation wohl noch ein paar Tage aushalten. Bis Montagabend soll der Streik anhalten. Die Streckensperrung ist dann noch längst nicht beendet – sie soll noch bis Ende Februar dauern.