Bochum. Die Erfolge sind groß, die Zuschauerzahlen weniger rosig: Da liebäugelt Intendant Johan Simons mit einer Verlängerung am Schauspielhaus Bochum.
Unter dem Dach im fünften Stock des Schauspielhauses fühlt sich Johan Simons (76) am wohlsten: Den alten Malersaal nutzt er regelmäßig für Proben, aktuell für „Die Brüder Karamasow“. Im WAZ-Gespräch blickt er zurück auf eine aufregende Spielzeit und erzählt erstmals ganz offen, gern noch ein paar Jahre als Intendant in Bochum dranhängen zu wollen.
Die Premiere von „Macbeth“ wurde Mitte Mai mit einem Jubel bedacht, den man hier schon lange nicht mehr gehört hat. Das Schauspielhaus war ausverkauft, das Publikum spendete zehn Minuten stehende Ovationen. Sie standen unten auf der Bühne. Was ging Ihnen da durch den Kopf?
Johan Simons: Über den Applaus habe ich mich riesig gefreut, ich hatte Gänsehaut. Schon während der Vorstellung dachte ich: Wow, das wird gut, weil das Publikum total dabei war. Das spürte man einfach. Ich bin bei den Premieren immer mit im Saal wie der Kapitän, der als letzter das Schiff verlässt. Diesmal war mir klar: Shakespeare in Bochum, das funktioniert.
Über 2026 hinaus: Johan Simons möchte Intendant in Bochum bleiben
Haben Sie auch gedacht: Nach fünf Jahren sind wir endlich in Bochum angekommen?
Was heißt angekommen? Wenn es bedeutet, dass die Leute uns mögen, dann war das ja schon vorher der Fall. Etwa bei „Hamlet“ Mitte 2019, bevor uns Corona den Stecker zog. Angekommen sind wir auch mit einem Stück wie „Mit anderen Augen“, auf das ich sehr stolz bin, weil es ein klares Konzept und eine hohe Qualität hat. Selbst „Die Hermannsschlacht“, die leider nicht durchweg gut lief, hat doch wichtige Hinweise darauf gebracht, welchen Humor die Menschen mögen und welchen nicht. Wer viel probiert, muss auch mal scheitern dürfen.
Dabei sind die Zuschauerzahlen alles andere als rosig. In dieser Spielzeit, die erstmals wieder ohne Corona-Beschränkungen stattfand, waren es 126.000 Besucherinnen und Besucher. Das sind über 55.000 weniger als im Interimsjahr von Olaf Kröck. Anselm Weber brachte es zum Schluss auf über 200.000. Auch die Abo-Zahlen schwächeln. Macht Ihnen das keine Sorgen?
Ich kann nur sagen, dass wir beständig und hart daran arbeiten, das Publikum zu begeistern. Alle Theater hatten es nach der Pandemie sehr schwer, aber wir befinden uns auf einem guten Weg. Wir könnten auch ein gefälligeres Programm machen, das nur noch aus Liederabenden und irgendwelcher Comedy besteht, aber das ist nicht mein Auftrag. Ich bin mir sicher, wenn wir unseren breiter aufgestellten Spielplan noch weiter ausbauen, werden die Besucherzahlen auch wieder steigen.
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Das Große Haus ist gut gefüllt, die Kammerspiele weniger
Auffällig ist: Die Inszenierungen im Großen Haus laufen gut, während es die kleinen Produktionen in den Kammerspielen beim Publikum oft schwer haben.
Ja, das stimmt. In den Kammerspielen wollen wir auch mal Experimente wagen und neue Formen ausprobieren. Ein Stück wie „Underworlds“ war vielleicht nicht der große Renner an der Theaterkasse, trotzdem brauchen wie solche Produktionen. Wir glauben an die Kunst und wollen darauf nicht verzichten.
Dagegen besitzt das Schauspielhaus mittlerweile ein Ensemble, um das uns manche Theater beneiden dürften.
Darf ich das sagen? Ich bin unendlich stolz auf mein Ensemble! Das sind so fantastische Menschen, die wunderbar harmonieren. Wenn man allein überlegt, dass wir mit Sandra Hüller einen der größten Theater- und Filmstars unserer Zeit in unseren Reihen haben. Anne Rietmeijer und Gina Haller sind zu den Nachwuchsschauspielerinnen des Jahres gewählt worden, Steven Scharf hat den Nestroy-Preis für sein Spiel in „Woyzeck“ erhalten. Dominik Dos-Reis ist erst vor wenigen Wochen mit dem Alfred-Kerr-Darstellerpreis geehrt worden. Da müssten die Zuschauer eigentlich in Dreierreihen vor der Theaterkasse stehen.
Aufführungen außerhalb des Theaters fallen erstmal aus
Schade ist hingegen, dass das Schauspielhaus nicht weiter hinaus in die Stadt geht. Das Fußballstück „Nicht wie ihr“ in den Vereinsheimen und „Hoffen und Sehnen“ auf dem Vorplatz haben doch gut funktioniert. Warum nicht?
Das ist eine reine Geld- und Personalfrage. Zusammen mit dem Oval Office betreiben wir vier Bühnen, das ist echt eine Menge. Aber ich verspreche, dass wir diese Pläne nicht aufgegeben haben. In der übernächsten Spielzeit wird es wieder eine Produktion im Stadtraum geben.
Werden Sie neben Ihrer Arbeit in Bochum in der kommenden Spielzeit wieder an anderen Theatern arbeiten?
Ja, ich inszeniere „Dantons Tod“ am Wiener Burgtheater und „Das Leben ein Traum“ am Thalia-Theater in Hamburg. Dazu „Die Brüder Karamasow“ und „Die kahle Sängerin“ bei uns.
Simons inszeniert in der kommenden Spielzeit in Bochum, Hamburg und Wien
Das sind vier Inszenierungen in einem Jahr! Da würde mancher Jungregisseur an seine Grenzen stoßen. Sie werden im September 77 Jahre alt.
Die Leute sagen immer: Du machst zu viel, aber für mich ist es nicht zu viel. Ich liebe es einfach, morgens in den Probenraum zu kommen und wie ein Maler Stück für Stück ein neues Gemälde zusammenzusetzen. Wenn ich längere Zeit nichts tue, dann wird mir langweilig. Dann stehe ich morgens um halb sieben auf und fange an zu kochen, was ich übrigens sehr gerne tue.
Ihr Vertrag als Intendant läuft bis Mitte 2026. Denken Sie schon an die Zeit danach?
Ehrlich gesagt: ja!
Sie stünden einer möglichen Verlängerung über 2026 hinaus also offen gegenüber?
Sehr offen sogar. Ich habe noch genug Energie. Dieses Ensemble und das ganze Haus sind eine solch starke Gemeinschaft geworden. Wir haben noch viel zu erzählen.