Bochum. Marcell Engel ist Tatortreiniger - nicht immer hat er dabei mit dem Tod zu tun. Was er in Bochum erlebt hat und was ihn bei der Arbeit motiviert.
True Crime, also wahre Geschichten über Verbrechen, wird immer beliebter. Egal ob Podcasts, Dokumentationen oder Serien - mittlerweile gibt es viele Möglichkeiten sich über wahre Fälle zu informieren. Marcell Engel steckt da oft mittendrin. Der 49-Jährige arbeitet als Tatortreiniger und ist auch in Bochum unterwegs.
Aber nicht in jedem Fall sei Engel in seinem Beruf mit dem Tod konfrontiert. „Oft sind es auch die Tatorte des Lebens, die wir reinigen“, sagt der 49-Jährige. Damit meint er zum Beispiel Messi-Wohnungen, Autounfälle oder gewaltsame Angriffe ohne ein Todesopfer. „Wir sind immer die Letzten am Tatort.“ Wenn alle Ermittlungen abgeschlossen sind, komme er mit seinen Kollegen, um alle Spuren zu beseitigen.
„In Bochum und Umgebung sind wir eigentlich fast täglich unterwegs“
Mit seiner Firma Akut SOS Clean ist Engel in ganz Deutschland sowie international vertreten. Auch Kollegen in Indien oder Kolumbien habe er. Eine feste Station des Unternehmens befindet sich in Bochum. Er selbst habe schon mehrere Aufträge in der Stadt gemacht: „In Bochum und Umgebung sind wir eigentlich fast täglich unterwegs.“
Ein Fall aus Bochum lässt dem 49-Jährigen noch heute die Haare zu Berge stehen. Der Auftrag: Leichenfund in einer Wohnung mit circa sechs Wochen Liegedauer – „völliges Standardszenario“. Zwischen zwei und acht Stunden dauert eine solche Tatortreinigung. Der erste Schritt: Grundreinigung. Das heißt den Leichenfundort reinigen, die Kleidung der Verstorbenen entfernen und die Biomasse zusammenschieben.
Wegen der elektrischen Rollläden, die unten waren und des nicht vorhandenen Stroms in der Wohnung war es dunkel. Daher nutzte Engel eine Taschenlampe. „Ich knie über dem Leichenfundort und plötzlich streift mich etwas am Bein“, erinnert er sich: „Da bin ich nicht nur fast aus dem Schutzanzug rausgesprungen, sondern auch aus meiner eigenen Haut.“ Es handelte sich um die Katze der Verstorbenen, von der niemand wusste. „Die hat sich natürlich auch erschreckt und ist weggerannt. Da waren wir erstmal zwei Stunden unterwegs, um die Katze wieder einzufangen.“
Fälle beschäftigen Tatortreiniger auch nach Feierabend
Die Fälle gehen nicht spurlos an dem 49-Jährigen vorbei. Zwar sei er mit der Zeit abgestumpft und sehe die Tatorte zunächst sachlich, dennoch gebe es immer Fälle, die ihn beschäftigen: „Wenn Menschen zum Beispiel dem Tod geweiht sind durch eine todbringende Krankheit“, erinnert sich der Tatortreiniger an einen Fall in Bochum. Dort sei er zweimal bei einer Kundin gewesen. Das erste Mal, um Spuren ihrer Krankheit zu beseitigen, das zweite Mal, als sie verstarb. Und: „Alles was mit Kindern zu tun, hat, hinterlässt eine Narbe auf der Seele.“
Es sei wichtig, einen Ausgleich zu schaffen, denn der Beruf ist sehr belastend. „Jeder muss seinen Weg finden, um damit umzugehen. Ich nenne das Gedankenhygiene“, sagt Engel. Er meditiere beispielsweise mindestens einmal täglich. Auch Gespräche mit seinen Liebsten helfen dem Tatortreiniger sich abzulenken.
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Der Weg in den Beruf: Vom KFZ-Mechatroniker zum Tatortreiniger
Engel arbeitet inzwischen seit 28 Jahren in diesem Beruf, auch wenn es nicht immer sein Berufswunsch war. Er ist gelernter KFZ-Mechatroniker und hat sich mit 20 Jahren mit einem Abschleppunternehmen selbstständig gemacht und unter anderem Autos angekauft, repariert und wieder verkauft. Nach einiger Zeit habe ihn eine Versicherung angerufen, mit der Bitte einen Wagen abzuschleppen. Aber: Jemand habe sich darin erschossen. „Das erste Mal mit dem Tod zu tun zu haben, fand ich extrem spannend“, erinnert sich Engel.
Der heutige Tatortreiniger habe den Auftrag angenommen und wollte das Auto reinigen, um es dann weiter verkaufen zu können. Da war sein Interesse geweckt: „Ich hatte überlegt, wie ich mit diesem Geschäftsmodell weiterhin Geld verdienen kann.“ Mit Mitte 20 habe er dann deutschlandweit Tatorte- und Leichenfundorte gereinigt und seine eigene Firma „Akut SOS Clean“ gegründet.
Tatortreiniger: Das „Geschenk des Todes“ treibt ihn an
Was Engel Kraft gibt, ist die Dankbarkeit derjenigen, denen er helfen konnte. Oftmals seien das die Angehörigen der Opfer, die seine Arbeit wertschätzen. Der Beruf sei für Engel eine Bestimmung.
Für ihn sei aber auch das fast tägliche „Geschenk des Todes“ der größte Impuls, auch noch nach fast drei Jahrzehnten in dem Beruf zu arbeiten. Das klinge zwar zunächst verrückt, dennoch gebe es ihm die Möglichkeit, Demut zu empfinden und es ihm immer wieder ins Gedächtnis zu rufen: „Nichts ist selbstverständlich, alles um uns herum verändert sich stündlich oder auch sekündlich und das müssen wir annehmen.“
Tatortreiniger hat eigenen Podcast und ist auf Tour
Über seine Erlebnisse an Tatorten spricht Marcell Engel in seinem eigenen Podcast „Todesursache“. In diesem berichtet er aus eigener Erinnerung „nach bestem Wissen und Gewissen“ über Fälle aus der Vergangenheit, redet mit Gesprächspartnern oder nimmt ein Mikrofon mit zu einem Tatort und berichtet „live“ von dort.
Auch auf Bühnentour ist Engel mit seinem Programm „Tatort Leben – Was wir von den Toten lernen können“. Interessierte können das Buch „Die 7 Prinzipien des Tatortreinigers“ von Engel lesen. In diesem geht es um Hintergründe von Gewalt und Zerstörung, aus denen er persönliche Erkenntnisse entwickelt hat.