Bochum. Kurz vor Kriegsende in Bochum 1945 wurden vier australische Flieger von Deutschen gelyncht. Es gab zwei Todesstrafen. Ein Bochumer recherchierte.

In den letzten Kriegswochen, am Mittag des 24. März 1945, steigen sieben junge Australier (20 bis 25) an der ostenglischen Küste in einen viermotorigen großen Bomber. Ihr Ziel: das Ruhrgebiet, Bochum. Der Flug wird zur Katastrophe auf allen Seiten. Auch für die jungen Flieger, denn vier von ihnen werden in Altenbochum und Laer von Deutschen gelyncht. Was zwei Täter später mit dem Leben bezahlen mussten.

Das Drama zeigt exemplarisch den Wahnsinn des Krieges und die Vermischung von Töten und Befreien, von Opfer und Täter, von Verzweiflung und Rache.

Flak-Abwehr aus Bochum schießt den britischen Bomber ab

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Ziel der Crew sind Industrieanlagen in Bochum-Werne und Langendreer. Die Maschine wird aber von einer Flak-Abwehr getroffen und stürzt in die Tiefe. Sechs Flieger schaffen es, rechtzeitig mit dem Fallschirm abzuspringen; der siebte stirbt im Wrack bei Witten-Herbede.

Die Überlebenden landen verstreut auf den Feldern in Altenbochum, Werne und Laer. Dort erwartet sie die „Volksempörung“, wie die Nazis es formulierten. Das Genfer Abkommen von 1929, das auch die Nazis unterschrieben hatten, verbot, Kriegsgefangene zu ermorden. Daran halten sich einige Nazis, deren Städte nun teilweise in Trümmern liegen, nicht mehr.

Der Bochumer Rentner Alfons Zimmer, jahrzehntelang Pastoralreferent in der JVA Krümmede und sehr an der Geschichte Bochums interessiert, hat die grausamen Ereignisse damals, zweieinhalb Wochen vor Ende der Kriegshandlungen in Bochum, recherchiert. „Die Fälle sind nach dem großen Schweigen der ersten Nachkriegsjahre nie mehr an die Oberfläche gekommen“, sagt er.

Bochumer NSDAP-Mann erschießt drei Flieger

Alfons Zimmer (Mitte) erzählte Schülerinnen und Schülern des Berufskollegs für Heilerziehungspflege von den Ereignissen um die Lynchmorde an britischen Fliegern im 2. Weltkrieg. In der Nähe des heutigen Standorts der Schule an der Dannenbaumstraße lag einer der Tatorte. Von links: Max Stampfer, Markus Röska, Alfons Zimmer, Hannah Fichtel und Asraa Rmihat. Die Porträts zeigen die ermordeten Flieger.
Alfons Zimmer (Mitte) erzählte Schülerinnen und Schülern des Berufskollegs für Heilerziehungspflege von den Ereignissen um die Lynchmorde an britischen Fliegern im 2. Weltkrieg. In der Nähe des heutigen Standorts der Schule an der Dannenbaumstraße lag einer der Tatorte. Von links: Max Stampfer, Markus Röska, Alfons Zimmer, Hannah Fichtel und Asraa Rmihat. Die Porträts zeigen die ermordeten Flieger. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Vier der sechs gelandeten Flieger haben nicht mehr lange zu leben. Einer kommt gegen 16 Uhr am Zwangsarbeiterlager für russische Kriegsgefangene an der Zeche Dannenbaum runter. Eine aufgewühlte Menschenmenge fällt über ihn her. Ein NSDAP-Ortsgruppenleiter eilt herbei, will den Australier zur Polizei bringen, wie es auch seine Pflicht gewesen wäre. Doch es kommt anders. Der Flieger wird mit Stöcken und Gewehrkolben schwer misshandelt. Der NSDAP-Mann erschießt ihn am Ende.

Gegen Abend werden zwei weitere Flieger zum Dannenbaumlager gebracht. Auch sie werden, auf einem Feld in Laer, gelyncht und erschossen. Der NSDAP-Mörder nutzt dafür eine Maschinenpistole.

Ein vierter Flieger landet verletzt auf dem Gelände eines Bauernhofes an der Havkenscheider Straße. Von einem Oberwachtmeister der Flak wird er mit einem Gewehrkolben bewusstlos geschlagen. Wieder versammelt sich eine erregte Menschenmenge. „Schlagt den Hund tot!“ rufen einige. Andere wollen ihn zur Polizei und ins Lazarett bringen. Doch die Rache obsiegt. Auf freiem Feld wird er von zwei Zivilisten mit einem Hammer erschlagen, nachdem zuvor ihre Pistolen versagt hatten. Die Schädeldecke wird zertrümmert.

Zwei britische Flieger bleiben vom Lynchen verschont

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Der fünfte und der sechste Flieger bleiben vom Lynchmord verschont und kommen in Krankenhäuser. Einer von ihnen wird aber dennoch geschlagen und getreten und verdankt sein Leben wohl nur einem uniformierten Mitglied der NS-Organisation „Todt“ (O.T.), der schützend dazwischengeht (O.T. war eine paramilitärische Bautruppe der Nazis).

Alle vier Gelynchten werden auf dem Hauptfriedhof in Bochum verscharrt, später exhumiert und auf einem britischen Ehrenfriedhof in Kleve bestattet.

Die siegreichen Briten machen den Flieger-Mördern den Prozess. Das britische Militärtribunal tagt im Oktober 1946 im Polizeipräsidium an der Uhlandstraße. Der NSDAP-Mann wird zum Tode durch Erschießen verurteilt. Die Vollstreckung erfolgt 1947 in Werl. Sein Verteidiger bittet vor dem Urteil laut einem Pressebericht um Milde, „da man den zersetzenden Einfluss der Nazipropaganda, die starke Erregung der Volksmenge und die ungeheure Spannung in jenen turbulenten Tagen kurz vor dem Zusammenbruch nicht übersehen dürfe“.

Bochumer zum Tode durch den Strang verurteilt

Nazis wollten Lynchmorde nicht bestrafen

In einer Verfügung eines NS-Gauleiters hieß es 1945: „Sämtliche Jabo-Piloten (Jagdbomber, Anm. d. Red.), die abgeschossen werden, sind grundsätzlich der Volksempörung nicht zu entziehen. Ich erwarte von allen Dienststellen der Polizei, dass sie sich nicht als Beschützer dieser Gangstertypen zur Verfügung stellen.“ Reichsminister Martin Bormann äußerte sich ähnlich.

Bei der Recherche wurde Zimmer von Traugott Vitz (ehem. Pfarrer in Essen) unterstützt. Er habe 389 Flieger-Morde im Deutschen Reich nachgewiesen.

Die Ereignisse damals am Dannenbaum-Lager hat der Bochumer Alfons Zimmer am 15. März mit Schülerinnen und Schülern des Berufskollegs für heilerziehungspflegerische Berufe an der Dannenbaumstraße 63 besprochen. Die Schule ist im ehemaligen Verwaltungsgebäude der Zeche Dannenbaum untergebracht.

Der Haupttäter bei dem Hammer-Mord wird im Juni, ebenfalls im Polizeipräsidium, zum Tode durch den Strang verurteilt. Vor den Militärrichtern bereut er die Tat und schildert laut Gerichtsbericht „die schweren Schicksalsschläge, von denen er und seine Familie während des Krieges heimgesucht wurden“.

Der zweite Hammer-Täter von Laer wird zu 20 Jahren Haft verurteilt.

Ermordet wurde damals auch ein Bochumer Oberfeuerwehrmann (46). Er hatte einen Flieger-Mord kritisiert: „Der hat auch nur seine Pflicht getan.“ Ein Gestapo-Mann erschoss ihn hinterrücks. Der Gestapo-Mörder bekam in den 50er Jahren am Landgericht Bochum, auch wegen vieler weiterer Tötungsdelikte, sieben Jahren Haft.

Für Alfons Zimmer waren die Flieger „Widerstandskämpfer“. „Die Schrecken des Bombenkrieges stecken den Alten noch in den Gliedern. Man kann nicht erwarten, dass sie mit Dankbarkeit an die alliierten Flieger denken. Wenn das Kriegsende aber nicht nur eine Niederlage war, sondern auch eine Befreiung, dann gehört zur Wahrheit, dass die Alliierten die Befreier waren. Die bekämpften Hitler.“