Essen. 75 Jahre nach dem Lynchmord an drei britischen Soldaten kam nun ein Vertreter der Royal British Legion nach Essen: Die Opfer sind unvergessen.
Der Mord ist 75 Jahre her und bis heute gibt es kein bekanntes Grab für die drei Opfer, ihre Namen sind nur Spekulation. Dennoch bleiben die drei britischen Soldaten, die am 13. Dezember 1944 in Essen von einer aufgebrachten Menge getötet wurden, unvergessen. An der Brücke, von der die drei in den Borbecker Mühlenbach gestürzt wurden, erinnert seit einem Jahr eine Tafel an das Geschehen. Hier trafen sich zum Jahrestag ein Deutscher und ein Brite, vereint im Gedenken.
Der eine ist Traugott Vitz, pensionierter Pfarrer und aktiver Forscher, der den Fall recherchiert und die Gedenktafel angeregt hat. Vitz erinnert daran, dass das Bomberkommando der Royal Air Force am 12. Dezember 1944 „mit 540 Maschinen seinen letzten schweren Nachtangriff auf Essen flog“. In kürzester Zeit wurden fast 700 Wohnhäuser zerstört, 463 Menschen kamen allein in jener Nacht ums Leben, fast 200 wurden verletzt und 40 blieben vermisst.
Hauptmann wies an: Greift nicht ein, wenn Zivilisten die Gefangenen angehen
Bei dem für Essen so verheerenden Angriff wurden nur wenige der britischen Maschinen abgeschossen, darunter jener Lancaster-Bomber, von dem sich drei Besatzungsmitglieder mit Fallschirmen retten konnten. Am Morgen des 13. Dezember wurden die Männer von Bürgern auf die Polizeiwache in Essen-West gebracht und dort dem Wehrmachts-Hauptmann Erich Heyer übergeben. Dieser befahl zwei Soldaten, die Gefangenen zur Luftwaffeneinheit am Mülheimer Flughafen zu eskortieren.
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Heyer wies seine Männer allerdings an, nicht einzugreifen, wenn Zivilisten die Gefangenen angehen sollten. Einige Zeugen sagten später aus, Heyer habe die wartenden Bürger sogar aufgehetzt. Bis die Eskorte zum späteren Tatort an der Wickenburgstraße in Frohnhausen gelangte, folgten dem Trupp schon etwa 60 teils sehr aufgebrachte Leute. Einige von ihnen bewarfen die Gefangenen mit Steinen aus dem Gleisbett, schlugen sie mit Gürteln und Stöcken. Es soll auch Stimmen gegeben haben, die riefen: „Schlagt sie nicht!“
Britsche Soldaten wurden von der Brücke gestürzt und erschossen
Doch auf der Brücke über den Mühlenbach eskalierte die Situation: Die drei Soldaten wurden über die Brüstung gestoßen und stürzten etwa zehn Meter tief in den Mühlenbach. Ein Unteroffizier schoss von der Brücke auf die verletzten Männer, sorgte dafür, dass keiner von ihnen überlebte.
Dem Unteroffizier sollte es nach Kriegsende gelingen unterzutauchen, die anderen Täter wurden gefasst und vor ein britisches Militärgericht gestellt: Drei wurden im Dezember 1945 zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, drei zum Tod durch den Strang. Zu Letzteren zählte auch Erich Heyer, der zwar nicht an der Tat beteiligt war, nach Ansicht der Richter aber „die Lunte in Brand gesetzt“ hatte. Als der Essener Staatsanwalt Bernd Schmalhausen den Fall 45 Jahre später wieder aufnehmen wollte, musste er feststellen, dass der damals gesuchte Unteroffizier inzwischen verstorben war.
Die Identität der Opfer ist bis heute nicht sicher geklärt
Ungeklärt blieb in dem Prozess und in den Folgejahren, wer die drei Toten waren: Als „nicht identifiziert“ werden sie in den Akten geführt. Doch Traugott Vitz, der zu vielen Fällen von Lynchmord recherchiert und in engem Kontakt mit britischen Ermittlern steht, gibt die Hoffnung nicht auf, eine Antwort zu finden.
Einen ersten Erfolg scheint es zu geben: Marc Hall, der ein Buch zu dem Fall geschrieben hat, glaubt belegen zu können, dass Sergeant Harry Mawson eines der Mordopfer war. Seine Indizien schienen Harry Mawsons Großneffen Mike Mawson und Kevin McQueeny so plausibel, dass sie im vergangenen Jahr zur Einweihung der Gedenktafel nach Essen reisten: Wir haben immer geglaubt, unser Großonkel sei in der Luft gestorben.“ Nun gebe es einen Erinnerungsort: „Uns bedeutet diese Tafel sehr viel.“
Englisches Buch spürt dem Geschehen von 1944 nach
Im Jahr 2018 erschien das englische Buch „Missing Presumed Murdered: One Raid, Two Trials, Three Lost Airmen“ von Sean Feast und Marc Hall über den Lynchmord in Essen am 13. Dezember 1944. Der Titel bedeutet: „Vermisst, vermutlich ermordet. Ein Überfall, zwei Prozesse, drei verlorene Flieger.“ (Gebunden, 240 Seiten. ISBN-10: 1999812859).
Die Royal British Legion ist ein Verein britischer Veteranen, der im Jahr 1921 gegründet wurde. Sie betreut britische Soldaten und ihre Familien. Sie ist eine vertrauensvolle Kontaktstelle, die ehemaligen Truppenangehörigen, ihren Witwen und Verwandten Hilfe anbietet. Die Royal British Legion in Dortmund kümmert sich seit 24 Jahren um frühere Angehörige der in Deutschland stationierten britischen Streitkräfte.
Gleiches gilt auch für Michael Zambra, den Vorsitzenden der Royal British Legion e.V. in Dortmund. Die Legion kümmert sich um die Truppenangehörigen, um Veteranen – und um die Verstorbenen. „In England wird das Gedenken hochgehalten.“ Am 11. November, dem Remembrance Day, der an das Ende des 1. Weltkrieges erinnere, trage jeder Brite eine Mohnblume im Knopfloch. Längst stehe die rote „Poppy“ für die Opfer beider Weltkriege. Und so hat Zambra ein kleines Kreuz mit einer Mohnblume unter der Gedenktafel an der Essener Brücke angebracht.
Ein kleines Kreuz mit Mohnblume hält die Erinnerung wach
Er sei froh, dass Traugott Vitz ihn eingeladen habe, „dass es Menschen wie ihn gibt, die solche Fälle in Erinnerung bringen“, sagt Zambra. Vitz wiederum freut sich über das kleine Kreuz für die drei Soldaten. Sein Antrieb sei ja nicht gewesen, die Täter in Erinnerung zu bringen: „Mir ging es schon immer darum, dass man der Opfer gedenkt.“