Bochum. In „Der Trafikant“ gerät die Welt aus den Fugen. Jetzt kommt der Bestseller ins Prinz-Regent-Theater – mit vielen Ideen, aber einiger Überlänge.
Wir schreiben das Jahr 1938, Österreich steht vor der Machtergreifung durch die Nazis. Zu jener dunklen Stunde verlässt ein junger Mann sein Dorf am Attersee und macht sich auf in die weite Welt: nach Wien! Mit „Der Trafikant“ gelang dem Autor Robert Seethaler 2012 der Durchbruch. Jetzt kommt das Buch auf die Bühne: Im Prinz-Regent-Theater Bochum erwartet die Besucher eine Geschichtsstunde der besonderen Art.
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Bestseller „Der Trafikant“ kommt in Bochum auf die Bühne
Mehrere Dramatisierungen gibt es mittlerweile von dem Roman, eine stammt sogar von dem Autor selbst. Regisseur Hans Dreher entschied sich dennoch für einen ungewöhnlichen Zugriff: Er bringt den Stoff als „szenische Lesung“ auf die Bühne, dehnt diesen Begriff aber unerschrocken aus.
Die nächsten Spieltermine
„Der Trafikant“ ist wieder zu sehen am Mittwoch, 1. März, um 19.30 Uhr sowie am 21., 23. und 28. März im Prinz-Regent-Theater (Prinz-Regent-Straße 50-60). Dauer: ca. zwei Stunden und 15 Minuten ohne Pause.
Karten (18, erm. zehn Euro) gibt es unter 0234 77 11 17 und prinzregenttheater.de
Was tatsächlich als Lesung beginnt (drei Schauspieler stehen an Stehpulten und lesen in verteilten Rollen aus Seethalers Roman), wird im Laufe der Aufführung immer mehr zum veritablen Schauspiel. Da kommen weite Passagen gänzlich ohne die Textbücher aus, die zwar stets in Reichweite liegen, aber kaum noch gebraucht werden. Den Text kennt das Ensemble ohnehin auswendig.
Mit einer Menge Muße und viel, viel Zeit wird die schöne Geschichte vor den Augen der Zuschauer genüsslich ausgebreitet. Helge Salnikau spielt mit großen Augen den 17-jährigen Franz Huchel, der im Sommer eine Lehre bei dem früheren Liebhaber seiner Mutter beginnt. Otto Trsnjek besitzt in Wien eine Trafik (also einen Tabakladen), zu den besten Kunden gehört Sigmund Freud. Während Franz damit beginnt, sich für Zeitungen und Politik zu interessieren („Das Weltgeschehen glitt ihm durch die Hände und unter dem Hintern hinweg“), schließt er Freundschaft mit dem väterlichen Freud. Der souveräne Matthias Hecht gibt den „Deppendoktor“ mit großer Stimme und viel Wärme.
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Karges Bühnenbild aus verschiebbaren Pappkulissen
Franz‘ Welt gerät aus den Fugen, als er sich unglücklich in die sprunghafte Anezka verliebt, die ihm direkt in der ersten Nacht wieder davonläuft. Sina Ebell spielt an diesem Abend mehrere Rollen, doch an der frivolen Böhmin hat sie offensichtlich besonders große Freude. Die Lage spitzt sich dramatisch zu, Trsnjek wird von der Gestapo verhaftet – und die Briefe von Franz an seine Mutter daheim klingen immer trauriger.
Spätestens nach einer halben Stunde verabschiedet sich die Aufführung vom ursprünglichen Konzept einer Lesung komplett und taucht tief ein in die schwer zu Herzen gehende Handlung. Hans Dreher erweist sich erneut als Meister darin, aus sparsamen Mitteln eine Menge herauszuholen. Das karge Bühnenbild von Clara Eigeldinger besteht fast ausschließlich aus verschiebbaren Pappkulissen, der vielfältige Einsatz von Konfettiregen erzeugt darin enorme Wirkung. Anders als im herausragenden „Moby Dick“ bleiben die Videos von Patrick Praschma im Hintergrund diesmal aber eher hübsches Beiwerk.
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Die Handlung wird buchstäblich ausgewalzt
Wenn man der texttreuen Aufführung etwas vorwerfen möchte, dann ist es ihre Überlänge. Die Bewunderung vor dem Roman scheint so groß gewesen zu sein, dass während der Proben niemand so genau auf die Uhr geschaut hat. Am Ende wird „Der Trafikant“ in weit über zwei pausenlosen Stunden buchstäblich ausgewalzt. Trotzdem: Für ihre extralange Darbietung bekommen die Schauspieler auch extralangen Beifall.