. . Nikolaus Leytner verfilmt Robert Seethalers Roman „Der Trafikant“ – und erzählt vom Wien der Nazi-Zeit
So hatte sich Franz Huchel die Großstadt nicht vorgestellt. Als er im Herbst 1937 in Wien aus dem Zug steigt, wird er von Getöse und Gerenne, den Gerüchen und der Teilnahmslosigkeit überwältigt. Wien ist für den 17-Jährigen vom Dorf erst einmal ein Schock. Seine Mutter hat ihn als Lehrling in die Trafik des Weltkriegsveteranen Otto Trsnjek geschickt, und dem will er sich nun nicht mehr widersetzen.
Trsnjeks Trafik, in der es neben Tabak und Zeitungen auch Schreibwaren und pornografische Hefte zu kaufen gibt, ist in Nikolaus Leytners Verfilmung von Robert Seethalers Roman „Der Trafikant“ ein österreichischer Mikrokosmos. All die großen gesellschaftlichen Konflikte der Jahre 1937/38 werden in dem Laden und drumherum ausgetragen. Vor dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Wien weigert sich der überzeugte Antifaschist Otto Trsnjek (Johannes Krisch), der sein rechtes Bein im Ersten Weltkrieg verloren hat, nationalistische Zeitungen zu verkaufen. Stattdessen bedient er stadtbekannte Kommunisten und Juden wie den Professor Sigmund Freud (sehr zurückgenommen: Bruno Ganz), mit dem sich der von Albträumen geplagte Franz (Simon Morzé) anfreundet. Damit gerät er ins Visier der Wiener NS-Sympathisanten, die ihn im März 1938, kurz nach dem „Anschluss“ anzeigen.
Wie Robert Seethalers Roman schwankt auch Nikolaus Leytners Verfilmung lange zwischen Politischem und Privaten. So kreist die Freundschaft zwischen dem liebeskranken Franz und dem alt gewordenen, allmählich resignierenden Psychoanalytiker zunächst um Franz’ schwieriges Verhältnis zum anderen Geschlecht. Doch auch ihre Beziehung bekommt einen politischen Charakter. Wie der aufrechte, sich dem Druck seiner Nachbarn nicht beugende Trsnjek bezieht auch Franz mehr und mehr Stellung. Aus dem Träumer wird ein sanfter Widerständler. Sein Protest mag auf den ersten Blick widersinnig und nutzlos erscheinen. Aber angesichts der Gewalt, mit der die Nationalsozialisten vorgehen, erinnert Franz’ Beharrlichkeit einen daran, dass es Verhältnisse gibt, in denen Auflehnung Bürgerpflicht ist.
Dabei setzt Leytner selbst direkte Übergriffe von Nazis sehr dezent in Szene. Das hat allerdings nichts Verharmlosendes an sich. Sie akzentuiert vielmehr die Selbstverständlichkeit, mit der sich ein großer Teil der österreichischen Bevölkerung zu Komplizen der Nationalsozialisten gemacht haben.