Bochum-Innenstadt. Das Bochumer Ensemble „Hausmarke“ erzählt in dem Stück „Creep“ vom Gefühl der Scham. Dafür finden die engagierten Darsteller staunenswerte Räume.

Der Letzte sein, der im Sportunterricht ausgewählt wird, Binden im Supermarkt kaufen oder in der Umkleidekabine vor dem Spiegel stehen: Im Theaterstück „Creep“ erzählt das freie Theaterensemble „Hausmarke“ von der schmerzhaften Erkenntnis, wie sehr das unangenehme Gefühl des Schämens das Leben regiert.

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Theaterstück spielt in Schönheitsklinik in Bochum

Am Wochenende hat die Gruppe ihr selbstentwickeltes Stück an drei Abenden in der Bochumer Schönheitsklinik Alamouti im historischen Nordbahnhof aufgeführt. Alle Termine waren ausverkauft. Mit einer Mischung aus szenischem Spiel und Performance nähern sich die Schauspielerinnen und Schauspieler dem Thema Scham, entwickelt auch aus persönlichen Erfahrungen.

Kafkas „Verwandlung“ ist das nächste Projekt

Die Gruppe „Hausmarke“ ist ein intergenerationelles, freies Ensemble von Theaterschaffenden aus dem Ruhrgebiet unter der Regie von Sandra Anklam (50), Fachbereichsleiterin für Theater an der Akademie für kulturelle Bildung.

Für „Creep“ hat sie die Komposition übernommen und den Schauspielerinnen und Schauspielern Spielstrukturen angeboten. Entwickelt wurden die Szenen von den Darstellern selbst. Für die kommende Produktion, eine Interpretation von Kafkas „Verwandlung“, sucht man derzeit große Wohnzimmer.

Die ungewöhnliche Location ist dabei Teil des metaphorischen Überbaus: „Es sind Orte, an denen das Stück verortet ist“, so Christian Oberberg (59), Darsteller und langjähriges Gruppenmitglied. Zuvor wurde es bereits in einem Fitnessstudio und einem Swingerclub gezeigt. Das Ensemble ist dafür bekannt, eine Beziehung zwischen Ort und Stück herzustellen. In der Vergangenheit hatte es sich beispielsweise auf Friedhöfen spielerisch dem Thema Tod genähert.

Es gibt viele Formen von Scham

Das Thema Körperlichkeit ist in „Creep“ besonders dominant: Auch wenn es viele Formen von Scham gibt, hat dieses die Gruppenmitglieder besonders bewegt. Das Ergebnis ist eine Mischung aus persönlichen Geschichten und universellen Situationen, die am Samstagabend auf dem Flur der Schönheitsklinik zu sehen ist. Gewaltfantasien gegenüber dem Chef oder das Gefühl, eine Belastung für andere zu sein.

Im historischen Nordbahnhof brachte das Theater Hausmarke die Performance „Creep - Eine Versuchsanordnung zum Phänomen Scham
Im historischen Nordbahnhof brachte das Theater Hausmarke die Performance „Creep - Eine Versuchsanordnung zum Phänomen Scham" zur Aufführung. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Die Figuren stellen (stellvertretend für die Gesellschaft) einer jungen Frau die Frage, was sie bei einem sexuellen Übergriff trug. Ob sie es nicht provoziert hätte? Und so wird gerade aus der Intimität der Spielweise deutlich, dass das Gefühl von Scham trotz aller Privatheit gesellschaftlich verortet ist.

Von grausamen Kinderspielen bis zur Gebrechlichkeit im Alter

„Creep“ öffnet damit das Spannungsfeld zwischen Privatem und Politik. Die etwa einstündige Aufführung spannt nicht nur einen weiten inhaltlichen Bogen, sondern porträtiert auch den menschlichen Lebensweg von grausamen Kinderspielen bis zur Gebrechlichkeit im Alter. Das bemerkt auch Besucherin Svenja Schuphaus (47): Sie findet Stück „großartig“, weil sie sich selbst bei vielen Themen angesprochen fühlt.

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Bei aller schmerzhaften Tiefe beantwortet das Stück aber nicht alle Fragen. Beispielsweise, ob manche Scham vielleicht gerechtfertigt ist, oder wie man sich von ihr befreit. Es bietet keine einfachen Lösungen an und fordert das Publikum damit auch heraus.

Am Ende wird ein Song von Radiohead umgedichtet

Dass aber Hoffnung besteht, wird am Ende deutlich: Bei einem fulminanten musikalischen Höhepunkt finden die Figuren ausgerechnet in einem „Vulvaworkshop“ zur Versöhnung mit sich selbst, während sich die Darsteller Handspiegel zwischen die Beine halten. Und zum ersten Mal wird es in der Schönheitsklinik richtig laut, wenn das Ensemble den Song „Creep“ der Band Radiohead umdichtet und feststellt, dass wir eben doch alle irgendwie dazu gehören und mit dem Gefühl von Scham alles andere als allein sind.