Bochum. 3200 Anträge auf Einbürgerung liegen in Bochum vor. Und werden nur schleppend bearbeitet. Betroffene demonstrieren, schwere Vorwürfe werden laut.

Etwa 150 Menschen haben am Montag vor dem Rathaus in Bochum gegen die lange Wartezeit bei der Bearbeitung von Einbürgerungsanträgen protestiert. Mehr als 3200 Fälle liegen derzeit noch unbearbeitet auf den Schreibtischen des zuständigen Einbürgerungsbüros mit seinen sieben Mitarbeiterinnen. Die Vorwürfe der Demonstranten reichen von Verwaltungsversagen bis hin zum Rassismus.

Einbürgerungsbehörde ist für Antragsteller nicht erreichbar

Etwa ein Jahr dauert das Einbürgerungsverfahren nach Auskunft des zuständigen NRW-Ministeriums. In vielen Städten gehe es sogar deutlich schneller, sagen frustrierte Antragstellerinnen und Antragsteller, die in Bochum die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt haben. Hier dauere es aber mindestens 18 Monate, auch wenn alle notwendigen Unterlagen vorliegen.

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So wie bei Rawan Alkhalil. Die 23-jährige Frau aus Syrien ist vor sieben Jahren nach Deutschland gekommen, studiert Medizin und hat ihren Antrag vor 13 Monaten gestellt. Zwei Wochen nach der Abgabe habe sie ein Aktenzeichen erhalten. Mehr sei seitdem nicht geschehen. Nachfragen würden ignoriert, Sachbearbeiterinnen seien nicht zu erreichen. „Die ignorieren einfach unsere Mails. Auch wenn wir zur Behörde hingehen und klopfen, ist die Tür versperrt, aber man hört Leute in den Büros telefonieren.“

900 Betroffene haben sich zusammengeschlossen

Von großer Frustration ist die Rede auf dem Rathausplatz. Von Schlafstörungen, von Angst und immer wieder davon, dass Deutsche so sicherlich nicht behandelt werden. Nachdem auch ein Gespräch mit Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD) erfolglos geblieben sei, Beschwerden und selbst eine von 170 Betroffenen unterzeichnete Petition an den NRW-Landtag nichts gebracht hätten, bleibe nur die öffentliche Demonstration, so Rawan Alkhalil. 900 Mitglieder habe mittlerweile die Gruppe von Betroffenen, die sich über den Nachrichtendienst Telegram zusammengeschlossen hat.

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Auch Hala Alskaf (l.) und Rawan Alkhalil warten schon lange darauf, dass ihre Einbürgerungsanträge bearbeitet werden. Gemeinsam mit anderen Betroffenen haben sie am Montag vor dem Rathaus in Bochum demonstriert.
Auch Hala Alskaf (l.) und Rawan Alkhalil warten schon lange darauf, dass ihre Einbürgerungsanträge bearbeitet werden. Gemeinsam mit anderen Betroffenen haben sie am Montag vor dem Rathaus in Bochum demonstriert. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

Eine große Antragswelle und die knappe Zahl an geeignetem Personal für die Bearbeitung der Anträge nennt die Stadtverwaltung als Hauptgrund für die lange Wartezeit. Aus Sicht des Oberbürgermeisters ist das eine unbefriedigende Situation. Ja mehr noch. „Was mich betroffen macht, ist, dass der Eindruck entsteht, wir würden diese Menschen nicht willkommen heißen. Das Gegenteil ist der Fall. Ich freue mich über jeden Einbürgerungsantrag.“

Defizite gibt es nicht nur in Bochum

Doch Anträge, so der Eindruck, werden – gelinde gesagt – nur schleppend bearbeitet. Bochum ist dabei offenbar keine Ausnahme. „Es gibt bei den Ausländerbehörden in NRW ganz fundamentalen und strukturellen Verbesserungsbedarf. Die Ämter sind massiv unterbesetzt und überlastet“, sagt Fabian Bonberg vom NRW-Flüchtlingsrat, der seinen Sitz in Bochum hat. Corona und die Flüchtlinge aus der Ukraine hätten die Lage noch verschärft.

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So auch in Bochum. In den vergangenen Monaten sei es gelungen, 1800 Fälle abzuarbeiten und außerdem 3000 Flüchtlinge aus der Ukraine zu registrieren, heißt es bei der Verwaltung. Man bemühe sich um schnelle und gute Lösungen. Tatsächlich sei aber kein Fall wie der andere. Und oft müssten, auch wenn Antragsteller vermeintlich alle Unterlagen eingereicht haben, Erkundigungen bei anderen Behörden eingeholt werden. All das dauere. Allerdings räumt die Stadt auch ein, dass es Defizite gebe. Dazu gehöre etwa die mangelhafte Erreichbarkeit der Einbürgerungsbehörde. Das solle sich ändern. Und auch der Berg unbearbeiteter Akten soll so schnell wie möglich abgearbeitet werden. „Wir werden versuchen, im Laufe des Jahres die offenen Anträge abzuarbeiten und auf den normalen Stand der Bearbeitung zu kommen“, so Stadtsprecher Thomas Sprenger.

Flüchtlingsrat vermisst Willkommenskultur

Das allein reicht aus Sicht des NRW-Flüchtlingsrats nicht aus. Es müsse zu dem schon lange geforderten „Umbau der Ausländerbehörden zu Willkommensbehörden kommen“, so Fabian Bonberg. „Statt auf die viel beschworene Willkommenskultur stößt man auf Gleichgültigkeit, auf Ablehnung, mitunter auch auf Herablassung.“

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Und es passieren Dinge, wie sie Hala Alskaf erlebt hat. Die 26-Jährige hatte am 17. Oktober 2021 ihren Einbürgerungsantrag abgeben – und erfuhr ein Jahr später bei ihrer Nachfrage, dass die Papiere nicht vorliegen würden. Sie seien verloren gegangen. Eine Woche lang habe die junge Frau geweint, erzählt ihre Freundin. Mittlerweile habe sie alle Unterlagen noch einmal eingereicht und hoffe nun, dass sie nicht noch länger als derzeit in Bochum üblich auf ihre Einbürgerung warten müsse.

Stadtgestalter fordert externe Untersuchung

„Aber es ist ja nicht nur die lange Bearbeitungszeit“, heißt es unter den Demonstranten auf dem Rathausplatz. „Es gibt ja mittlerweile nicht einmal mehr Termine, um die Anträge abzugeben.“ Das müsse persönlich geschehen. Sei aber derzeit gar nicht möglich. Tatsächlich, so die Stadt, seien die dafür angebotenen Termine derzeit ausgebucht.

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Aus Sicht von Ratsmitglied Volker Steude (Stadtgestalter) ist das Ganze längst ein Politikum. „Da die unhaltbaren Zustände bereits über Jahren anhalten und die Stadt sie nicht in den Griff bekommt, muss von Organisationsversagen und dysfunktional organisierter Verwaltung gesprochen werden.“ Er fordert personelle Konsequenzen und eine Untersuchung durch ein externes Beratungsunternehmen. Denn: „Das Maß ist voll.“