Bochum. In Bochum fing Sozda Abdulkader aus Syrien neu an. „Ich liebe es, wenn man was schafft“, sagt die Bauingenieurin. Baustelle – und Einbürgerung.

Im Rückblick klingt es so einfach, so, als sei sie durch ihr Leben geflutscht. Frau Abdulkader, erzählen Sie uns? „Ich habe Bauingenieur studiert, bin nach Deutschland gekommen, habe Deutsch gelernt, studiert und viele Praktika gemacht“, sagt die 30-Jährige. Und - der Krieg? Die Flucht? Die Rückstufung ihres syrischen Abschlusses von Diplom auf Bachelor? „Das war nicht leicht“, sagt sie: „Aber es zählt, was jetzt ist.“ Man ahnt es spätestens jetzt: Aufhebens um ihre Person liegt ihr nicht. Frau Abdulkader wird Deutsche.

Sie ist eine von einigen zehntausend Flüchtlingen aus Syrien, deren befristeter Schutzstatus ausläuft, den sie jetzt umwandeln können in eine dauerhafte Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis oder sogar in eine Einbürgerung. Ihre Zahl wächst: Weil sie seit sechs, fünf, vier Jahren legal in Deutschland sind, sich nichts zuschulden kommen ließen, Deutsch sprechen, eine Wohnung haben. Von Herbst an wird die Bauingenieurin keine Karte mehr brauchen, die ihr bescheinigt, dass sie überhaupt hier sein darf.

Zum Glück hat ihr Büroarbeitsplatz auch noch eine Niederlassung draußen

Nach fast sechs Jahren hier sagt Abdulkader: „Es wird einem auch in Deutschland nichts geschenkt. Wie in Syrien.“
Nach fast sechs Jahren hier sagt Abdulkader: „Es wird einem auch in Deutschland nichts geschenkt. Wie in Syrien.“ © Funke Foto Service | Jakob Studnar

Und Sozda Abdulkader erfüllt eine weitere Voraussetzung: Sie hat einen festen Arbeitsplatz. „Sozda“, ihr Vorname, er heißt: Versprechen. Ihr Arbeitsplatz ist ein Büro des Wohnungsunternehmens „Vonovia“ in Bochum-Wattenscheid. Im Organigramm heißt er „Projektleitung Team West 2 Modernisierung Bochum“, aber das versteht ja kein Mensch, Verzeihung. Zeitpläne für Baustellen entwerfen, Rechnungen prüfen und freigeben, solche Sachen. Gott sei dank hat ihr Arbeitsplatz aber auch noch eine zweite Niederlassung: draußen.

Auf den wechselnden Baustellen, die sie betreut. „Ich liebe es, wenn man was schafft. Wenn die Flure fertig sind, wenn die neuen Balkone stehen. Wenn die Menschen sich freuen, dann bin ich glücklich.“ Gestern erst hat sie Mietern in Essen Schlüssel in die Briefkästen geworfen: Die Menschen durften wieder raus auf die Balkone.

„Die Diversität der Mitarbeiter ermöglicht eine bessere Betreuung der Mieter“

Bei ihrem Arbeitgeber Vonovia arbeiten inzwischen 33 Flüchtlinge. „Wo jemand herkommt, spielt für uns keine Rolle“, sagt Unternehmenssprecherin Silke Hoock. Und auf einer Firmenseite heißt es: „Die Diversität der Mitarbeiter . . . trägt zur Stärkung von Vonovia bei, fördert die Kundenbetreuung und ermöglicht eine bessere Betreuung der Mieter, z. B. in ihrer Muttersprache.“ Insgesamt sind bei dem DAX-Konzern Menschen aus 74 Ländern beschäftigt, damit kriegt man eine ganze Menge Mietersprachen abgedeckt. Vom verbreiteten Mangel an Arbeitskräften mal ganz abgesehen.

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Natürlich ist Abdulkader nicht durchs Leben geflutscht. Die sechsmonatige Flucht, über die sie nicht gerne spricht. Die ersten Unterkünfte. Deutsch zu lernen. Die vielen Bewerbungen. „Ich kann nur sagen, dass man nie aufgeben soll.“ In Syrien gebe es das Klischee, in Deutschland sei „alles einfach, alles fällt so leicht. Aber es wird einem auch in Deutschland nichts geschenkt. Wie in Syrien.“

Studie: Jeder zweite Flüchtling hat bezahlte Arbeit, der seit 2013 nach Deutschland kam

In dem überfülltn Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos leben derzeit 12.700 Menschen, darunter auch syrische Flüchtlinge wie diese Familie aus der Stadt Herat.
In dem überfülltn Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos leben derzeit 12.700 Menschen, darunter auch syrische Flüchtlinge wie diese Familie aus der Stadt Herat. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Das bildet sich auch in den Zahlen zur Arbeitsmarktintegration ab. Nach einer Studie des „Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung“ ist etwa jeder zweite berufstätig, der seit 2013 als Flüchtling nach Deutschland kam, über alle Nationen und Herkunftsländer hinweg: 68 Prozent- in Voll- oder Teilzeit, 17 Prozent in Ausbildung, 12 Prozent geringfügig beschäftigt und drei Prozent in einem bezahlten Praktikum.

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Die Integration am Arbeitsmarkt, so das Institut, habe sich sogar beschleunigt, wegen niedriger Arbeitslosigkeit und hohen Wachstums. Richtig ist aber auch: Die Erhebung wurde kurz vor Corona ausgewertet -- und viele Flüchtlinge leben auch nach Jahren noch immer von Sozialleistungen oder Tagelohn.

Im November läuft die Aufenthaltserlaubnis von Sozda Abdulkader aus, aber bis dahin wird sie Deutsche sein. Den Einbürgerungstest etwa hat sie gerade bestanden. Multiple Choice an 33 von 310 möglichen Fragen wie: „Was bedeutet das Recht auf Freizügigkeit?“ Nein, Antwort d (“Man kann sich in der Öffentlichkeit leicht bekleidet bewegen“) ist nicht richtig. Wir kennen die Fragen nicht, die ihr gestellt wurden, aber wir wissen: Frau Abdulkader hat 33 von 33 Fragen richtig beantwortet. Sozda ist ein Versprechen.