Bochum. Viele Beschäftigte gehen in den Ruhestand, deutlich weniger rücken auf. Auch in Bochum. Können ausländische Fachkräfte die Lücken füllen?

Sie kamen aus Italien, aus Griechenland und der Türkei. Hunderttausende Menschen aus dem Ausland, Gastarbeiter genannt, benötigte der deutsche Arbeitsmarkt in den 1960er und 70er Jahren. Angesichts des wachsenden Fachkräftemangels stellt sich die Frage, ob die Wirtschaft erneut auf Beschäftigte aus dem Ausland angewiesen ist. Auch in Bochum.

Arbeitsmarkt ist auf ausländische Fachkräfte angewiesen

„Ja“, sagt Frank Neukirchen-Füsers, Geschäftsführer der Arbeitsagentur Bochum. „Wir brauchen Fachkräfte aus dem Ausland.“ Bis 2030 gehen 22 Prozent der Frauen und Männer, die jetzt noch sozialversicherungspflichtige Jobs ausüben, in den Ruhestand. In Bochum sind das etwa 32.000 Personen. „Eher sogar mehr“, vermutet der Arbeitsagentur-Chef, „wenn man davon ausgeht, dass etliche Beschäftigte vorzeitig in den Ruhestand gehen.

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Schon jetzt ist klar, dass längst nicht so viele junge Leute nachrücken, um die Personallücke zu füllen, die längst alle Branchen erfasst hat. Bundesweit werde eine Nettozuwanderung von 400.000 Menschen jährlich benötigt. Tatsächlich sind es derzeit aber nur 220.000, weil viele Deutsche, aber auch Ausländer, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß fassen wollten, das Land wieder verlassen.

Arbeitsagentur-Chef mahnt Willkommenskultur an

Diskriminierung in Unternehmen und von Behörden ist einer der Gründe für die Abkehr von Einwanderern, hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in einer Umfrage ermittelt. Agentur-Chef Neukirchen-Füsers weist auf eine mangelnde Willkommenskultur hin und mahnt: „Wir dürfen die Leute nicht alleine lassen.“ Eine „Willkommenskultur zu schaffen“, ist auch aus Sicht der Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittleres Ruhrgebiet zwingend notwendig, wenn Unternehmen erfolgreich ausländische Fachkräfte integrieren wollen.

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Faire Erwerbsmigration

Hüten sollten sich Firmen, die Interesse an ausländischen Fachkräften haben, vor unseriösen Vermittlungsagenturen. „Es gibt einige schwarze Schafe“, sagt Solveig Giesecke vom Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) für den Bereich Pflege und Gesundheit.

Die Verfehlungen reichten von versteckten Kosten über falsche Versprechungen bis hin zu Sanktionen, sollten auswanderungswillige Interessenten doch nicht nach Deutschland kommen. Im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit hat das KDA daher das staatliche Gütesiegel „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“ entwickelt.

Die Nachfrage nach Pflegepersonal ist immens. Aktuell werden laut KDA bundesweit etwa 130.000 Pflegekräfte gesucht. 2030 werden allein in der Altenpflege 182.000 Beschäftigte gesucht, 500.000 Vollzeitkräfte sollen es laut Bertelsmann-Stiftung im gesamten Pflegebereich sein.

Fairness ist auch aus Sicht von Vonovia bei der Anwerbung von Fachkräften im Ausland geboten. Rekrutiert wurden die 17 Kolumbianer, die im September ihre Arbeit beim Wohnungsunternehmen aufgenommen haben, in Bereichen, „in denen in Deutschland ein Engpass und in Kolumbien ein Überschuss an Fachkräften besteht“. Das Unternehmen halte sich an die Standards der fairen Erwerbsmigration.

Bei der Vonovia arbeiten sie daran. Um dem akuten Fachkräftemangel zu begegnen, hat Deutschlands größtes Wohnungsunternehmen mit Sitz in Bochum 13 Elektronikerinnen und Elektroniker sowie vier Gärtnerinnen und Gärtner in Kolumbien angeworben, um sie in Norddeutschland, Berlin und Niedersachsen einzusetzen.

Zentralstelle in Bonn hilft Unternehmen bei der Anwerbung

„Der Bedarf an Fachkräften wird sich in der Immobilienbranche noch weiter verschärfen“, sagt der Vonovia-Generalbevollmächtigte Konstantina Kanellopoulos. Um die Klimaziele zu erreichen, müssten Gebäude saniert und modernisiert werden. „Dazu braucht es viele gute Fachkräfte – vor allem Handwerker. Daher eröffnet die Suche außerhalb der EU eine zusätzliche Perspektive“, so Kanellopoulos. Aus Sicht von Vonovia-Chef Rolf Buch ist das Anwerben von Arbeitskräften im nicht-europäischen Ausland ein „Modell für die deutsche Wirtschaft, den Fachkräftemangel in den Griff zu bekommen“.

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Während Konzerne und große Unternehmen die Kapazitäten haben, sich mitunter selbst intensiv um die Anwerbung im Ausland zu kümmern, ist die eigenständige Suche für Mittelständler und kleine Firmen so gut wie unmöglich. Ihnen hilft nach Auskunft von Bochums Arbeitsagentur-Chef Neukirchen-Füsers die Zentralstelle für Fachkräfte-Einwanderung (ZFE NRW) in Bonn. Der Aufwand für die Unternehmen sei gering. Sie profitieren von den Kontakten der Zentralstelle, die sich etwa eines internationalen Jobportals bedient. Intensive Verbindungen gebe es u.a. nach Mexiko, Brasilien und Kolumbien, nach Tunesien und Ägypten, Indonesien und Philippinen.

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Bochumer Firmen sind interessiert an ausländischen Fachkräften

Möglich geworden ist die Anwerbung durch das 2020 eingeführte Fachkräfteeinwanderungsgesetz. „Das ist ein Riesenfortschritt“ sagt Arbeitsmarktexperte Frank Neukirchen-Füsers. Denn: „Wir brauchen diese Einwanderer.“ Zwei Voraussetzungen gebe es für Interessenten: Sie müssen über eine Berufsbildung verfügen, die in Deutschland anerkannt wird. Und sie müssen ausreichende Sprachkenntnisse nachweisen. „Beides muss noch im jeweiligen Heimatland erledigt werden“, so der Agentur-Chef.

Auch in Bochum wächst das Interesse an ausländischen Fachkräften. Etwa 30 Anfragen pro Monat zählt die Arbeitsagentur. Eine Zahl, die noch steigen dürfte.