Bochum. Bochum gehen die Fachkräfte aus. Bis 2030 gehen 22 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Rente. Deutlich weniger rücken nach.

„Monteure gesucht“, steht auf den weißen Kastenwagen, mit denen Handwerker des Wohnungsunternehmens Vonovia unterwegs sind. „Wir suchen Dich“, heißt es auf Plakaten, mit denen die Bäckerei Schmidtmeier in den Schaufenstern ihrer Filialen nach Personal sucht. Der Malerbetrieb Mohr hat sogar mit Plakaten auf großen Werbetafeln und der Parole „Farbe bekennen“ nach Azubis gesucht. Immer öfter gehen Bochums Unternehmen bei ihrer Suche nach Beschäftigten in die Offensive. Ihnen gehen die Fachkräfte aus.

32.000 Fachkräfte gehen in Bochum in Rente

Bis 2030 scheiden bundesweit 22 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten aus dem Berufsleben aus. Etwa 32.000 Frauen und Männer der Babyboomer-Generation gehen in dieser Zeit in Bochum in Rente oder Pension. Nach 1006 Personen im Vorjahr und knapp 2000 in diesem Jahr nimmt ihre Zahl nach Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit von Jahr zu Jahr zu. Und: Es rücken zu wenige Menschen nach.

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittleres Ruhrgebiet geht davon aus, dass bis 2030 fast zwei Drittel der angebotenen Ausbildungsplätze gar nicht mehr besetzt werden. „Die Lage am Arbeitsmarkt spitzt sich zu, das ist leider nicht mehr zu beschönigen“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Michael Bergmann. Die Kammer werde neben der Organisation der dualen Ausbildung daher künftig stärker die Weiterqualifizierung von Fachkräften in Angriff nehmen.

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Mitarbeiterbindung wird immer wichtiger

„In der Maschinen- und Betriebstechnik kann schon heute jede vierte Stelle nicht mehr adäquat besetzt werden“, so Bergmann. Vor allem Meister und Fachwirte fehlen. „Eine Lösung ist aus unserer Sicht die einfache Formel: Mitarbeiterbindung ist das neue Recruiting.“ Darauf müssen sich auch die Firmen einstellen. Es ist eines der Themen beim Fachkräftetag der IHK am Donnerstag.

Längst hat der personelle Engpass so gut wie alle Branchen erfasst, wie der Blick auf die Jobbörse der Arbeitsagentur Bochum verrät: Vonovia sucht jemanden fürs Qualitätsmanagement, St. Vinzenz nach einer Erzieherin, das Akademische Förderungswerk einen Nachhaltigkeitsbeauftragten, Hardeck einen Verkäufer und und und. Die Liste will schier nicht enden. 4738 Jobs in Bochum sind momentan unbesetzt. Nicht für alle wird eine Fachkraft gesucht. Für viele allerdings schon.

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Lage spitzt sich in einigen Branchen zu

„Wir brauchen Fachkräfte ohne Ende“, sagt Vonovia-Pressesprecherin Silke Hoock. Ob auf den Monteurfahrzeugen, auf der Homepage, in Stellenanzeigen und auf Jobbörsen. Das Wohnungsunternehmen lässt nichts unversucht, um potenzielle künftige Mitarbeiter darüber zu informieren.

„Weiche Faktoren“ werden immer wichtiger

Sogenannte „weiche Faktoren“, wie moderne Arbeitsplätze, flexible Arbeitszeiten, Gesundheitsvorsorge und diverse Vergünstigungen spielen bei der Jobsuche und -vergabe eine immer größere Rolle. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sind die Beschäftigten von mitarbeiterorientierten Betrieben zufriedener und engagierter als andere. Auch schauen sie sich weniger nach neuen Arbeitgebern um.

Das Wohnungsunternehmen Vonovia hat dazu bereits ein eigenes Programm aufgelegt: „Hand aufs Werk“. Es verspricht Beschäftigten nicht nur „Mehrwerte“ wie geregelte Arbeitszeiten und Gewinnbeteiligung, sondern auch „wertvolle Extras“ wie E-Bike-Leasing, Kooperationen mit Fitnessstudios und die günstige Miete attraktiver Ferienwohnungen.

Auch Azubis erhalten mehr als Fachwissen und eine Ausbildungsvergütung. Die Liste der Vergünstigungen reicht von Diensthandy über Prämien für erfolgreiche Prüfungen bis zur Übernahme von Kosten für Schulbücher.

In einigen Bereichen droht sich die Lage besonders zuzuspitzen. Bis 2030 kann jede zweite Stelle der beruflich fortgebildeten Mechatroniker, Automatisierungstechniker sowie in Forschung und Technik nicht qualifiziert besetzt werden“, sagt die IHK voraus. Das hat Folgen für Betriebe und Kunden. Schon jetzt dauert es mitunter ziemlich lange, bis Monteure zur Reparatur der Heizung herauskommen oder Dachdecker einen Reparaturauftrag übernehmen können. Es fehlen Leute.

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Kampf um die Köpfe ist entbrannt

Der Kampf um die Köpfe ist längst entbrannt. Bei der IHK ist davon die Rede, dass viele Arbeitgeber sich mittlerweile überbieten, was „Goodies“ und Leistungsanreize betrifft. Und: Es wächst die Bereitschaft, Azubis zu übernehmen, die ihren Ursprungsbetrieb verlassen haben.

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Eine gute Bezahlung spielt beim Einstellungsgespräch immer noch eine große Rolle. Längst wissen Geschäftsführer und Personaler, wie wichtig Bewerbern und Beschäftigen aber auch gute Arbeitsbedingungen und flexible Arbeitszeiten sind. Das gilt ganz besonders für Berufseinsteiger: Work-Life-Balance, der Einklang von Arbeits- und Privatleben, hat für die Generation Alpha eine große Bedeutung. Jugendliche suchen nach sinnstiftenden Tätigkeiten, sie schauen auf das ökologische und nachhaltige Engagement eines Unternehmens. Und: Studien zeigten, so die IHK, dass die Vorstellungen der jungen Generation „diametral zum eher starren dualen Ausbildungssystem stehen“. Das alles erfordert ein Umdenken bei Arbeitgebern, Kammern und Verbänden.

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