Bochum. Mit „Philoktet“ eröffnet das Prinz-Regent-Theater in Bochum die neue Spielzeit. Stürmischer Beifall für drei fabelhafte Schauspielerinnen.
Die alten Griechen scheinen bei den Theatermachern unserer Tage gerade hoch im Kurs zu stehen. Es gibt Aufführungen antiker Tragödien, soweit das Auge reicht: „Alkestis“ im Schauspielhaus, die „Bakchen“ in Dortmund, jetzt „Philoktet“ im Prinz-Regent-Theater. Wer den Grausamkeiten heutiger Zeit auf der Bühne künstlerisch begegnen möchte, zieht dafür gern Sophokles, Euripides & Co. zu Rate, die schon vor Tausenden von Jahren davon zu erzählen wussten.
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Spielzeitauftakt im Prinz-Regent-Theater Bochum
Zum Saisonauftakt im Prinz-Regent-Theater gespielt wird allerdings nicht das Original von Sophokles, sondern die spätere Neudichtung von Heiner Müller aus der Mitte der 1960er Jahre, die sprachlich ein absolutes Fest ist. Allein dem Wohlklang der Müllerschen Dichtung hört man während der Aufführung 90 Minuten lang gebannt zu.
Für Solo mit Roland Riebeling gibt es noch Karten
„Philoktet“ ist wieder am kommenden Mittwoch und Donnerstag (21./22. September) sowie am 7. und 31. Oktober im Prinz-Regent-Theater (Prinz-Regent-Straße 50-60) zu sehen. Beginn: jeweils 19.30 Uhr. Dauer: ca. 90 Minuten ohne Pause.
Großer Beliebtheit erfreute sich in der vergangenen Spielzeit das Solo „Daedalus und Ikarus“ mit „Tatort“-Kommissar Roland Riebeling. Für die Vorstellungen am 2., 26., 29. und 30. Oktober gibt es noch Karten. Info: 0234 / 77 11 17 und prinzregenttheater.de
Das Publikum im gut besuchten Saal ist ebenso konzentriert bei der Sache wie die drei Schauspielerinnen auf der Bühne, denen die Hochleistung, die solch ein Abend erfordert, anzumerken ist. Wer sich solch ein Stück ansieht, der weiß vorher, dass ihn keine Juxrakete erwarten.
Ein paar kleine Gags, danach gibt es nichts mehr zu lachen
Wobei, vielleicht doch? Zumindest während der ersten zwei Minuten lassen Regisseur Hans Dreher und sein rein weibliches besetztes Ensemble die Zuschauer darüber im Unklaren. „Wir sind die drei Damen vom Mykonos-Grill“, scherzt die Schauspielerin Sina Ebell, während ihre Kollegin Katja Heinrich einräumt, noch „kurz pullern gehen“ zu müssen, ehe das Spiel losgeht. Ein paar kleine Gags zum warm werden seien erlaubt, denn danach gibt es wirklich nichts mehr zu lachen.
Was schnell klar wird: Dreher nimmt das Stück ernst und dringt mit seinen Darstellerinnen bis in die Tiefen vor. Wahre Textgebirge sind es, die das unerschrockene Trio zu schultern hat. Allein das erste Aufeinandertreffen zwischen Philoktet (Nermina Kukic) und Neoptolemos (Sina Ebell) dauert locker eine halbe Stunde und gipfelt in einer famosen Szene.
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Gut gewählte Popsongs lockern die Szenen auf
Der auf der Insel Lemnos ausgesetzte Feldherr und glorreiche Bogenschütze Philoktet fleht darum, dass ihm sein verwundetes, vor Eiter stinkendes Bein abgetrennt wird. Wie Kukic und Ebell das gemeinsam spielen, geht beim Zusehen mächtig nahe. Auch Katja Heinrich, die später als jederzeit manipulativer Odysseus die Szenen bereichert, hat starke Auftritte.
Um ein klein wenig Auflockerung des langen, dichten Müller-Textes ist Dreher zumindest im zweiten Teil seiner Aufführung doch bemüht. Die Bühne von Clara Eigeldinger, die zunächst aus massiven Steinblöcken besteht, wandelt sich in ein Schlachtfeld. Gut gewählte Popsongs (von R.E.M. bis Janis Joplin) erklingen, dazu gibt es viel Licht und Nebel und sogar einen rasant inszenierten Messerkampf.
Freie Bühne geht auf Risiko
Der Schlussapplaus ist lang und herzlich. Die Schauspielerinnen schauen gerührt und erleichtert in die Runde, während Hans Dreher womöglich auch etwas zittrig zumute gewesen sein könnte. Denn natürlich weiß er, dass man mit einer Aufführung wie „Philoktet“ kaum die Zuschauermassen ins Theater lockt.
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Dass sich die kleine Bühne dies nach einer ungemein schwierigen Saison trotzdem traut, spricht eindeutig für den Wagemut des Theaterleiters, der sich nicht allein auf Gute-Laune-Stücke verlassen möchte. Freies Theater muss auch dafür da sein, die unbequemen Stoffe anzupacken. Und die nächsten Folgen des feinhumorigen „Tatortreinigers“ stehen schließlich schon in der Pipeline.