Essen. Rot-Weiss Essen muss den Blick in der 3. Liga nach unten richten. Gegen den Ball hat das RWE-Team große Probleme. Das hat mehrere Ursachen.

  • Rot-Weiss Essen hat nach zwölf Spielen die anfälligste Defensive in der 3. Liga. Keine Mannschaft lässt mehr Schüsse auf das eigene Tor zu als RWE.
  • Im Sommer sollte der Fokus auf die Stabilität gelegt werden. Das Dabrowski-Team ist in dieser Saison noch deutlich anfälliger.
  • Es ist kein reines Problem der Abwehrspieler. Für die schwache Defensiv-Leistung gibt es mehrere Ursachen. Das unterstreichen die Zahlen.

Jakob Golz polterte. Der Torwart von Rot-Weiss Essen schlug nach dem ersten von vier Gegentoren im Auswärtsspiel bei Hansa Rostock (0:4) mit beiden Händen auf den Rasen und schrie seine Vorderleute an, die ihn zuvor um einen großen Moment gebracht hatten. Mit einer fantastischen Parade, die künftig in jedem seiner Highlight-Videos zu finden sein sollte, verhinderte der 26-Jährige zunächst ein sicheres Gegentor. Gegen den Nachschuss von Kevin Schumacher war aber auch der Hexer im RWE-Tor machtlos. Danach ließ er seinem verständlichen Frust freien Lauf. Ohne Golz, so betonten es die Essener Sportchef nach dem Schlusspfiff, hätten die an diesem Tag desolaten Rot-Weissen weit mehr als vier Gegentore kassiert.

RWE wackelt: Dabrowski kritisiert Abwehrverhalten seiner Mannschaft

Das Defensiv-Verhalten der RWE-Spieler wird zum Problem für den Revierklub. Zehn Gegentore kassierte die Mannschaft von Trainer Christoph Dabrowski in den letzten drei Spielen. Insgesamt sind es schon 23 nach zwölf Partien, in der Hinrunde der letzten Saison waren es nach 19 Spielen nur zwei mehr. Mit dieser katastrophalen Bilanz sind die Essener in der 3. Liga auf einen Abstiegsplatz gerutscht. „Wir kassieren zu viele Gegentore und verteidigen zu sorglos“, sagte Christoph Dabrowski nach dem Rostock-Debakel.

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Rot-Weiss Essen: Arbeit gegen den Ball ist erschreckend

Statistisch stellt Rot-Weiss Essen nach zwölf Spielen die schwächste Abwehr der 3. Liga. Ein „Expected-Goals-Against-Wert“ von 21.7 ist der höchste Wert aller Drittligisten. RWE lässt somit die meisten hochkarätigen Torchancen zu, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Toren führen. Auch in der letzten Saison war dieser Wert schwach. Eine Mischung aus Spielglück und einem überragenden Torhüter Jakob Golz konnte diese Probleme kaschieren. Das gelingt in dieser Saison nicht mehr, da die Schwächen im Defensivbereich noch gravierender sind.

Rot-Weiss Essen: Schiri-Frust gegen Verl - RWE steckt im Abstiegskampf

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    Kein Team lässt mehr Torschüsse zu als RWE. Knapp 15 gegnerische Abschlüsse pro 90 Minuten auf den eigenen Kasten sind ein katastrophaler Wert. So gelang es den Essenern nur in einem Spiel (0:0 gegen Bielefeld) die Null zu halten. Rot-Weiss Essen ist die Schießbude der 3. Liga.

    Rot-Weiss Essen: Das sind die Gründe für die fehlende Stabilität

    Die Abstände der Verteidiger zur gegnerischen Offensive sind während des Spiels deutlich zu groß, wodurch es nur selten gelingt, Torschüsse abzublocken. Das ist besonders problematisch, da RWE enorm viele Schüsse aus guten Positionen im Strafraum zulässt (siehe Grafik).

    Es hagelt Schüsse auf das Tor von Rot-Weiss Essen. Die Grafik zeigt gegnerische Abschlüsse (rot) auf den RWE-Kasten und erzielte Tore der Gegner (grün).
    Es hagelt Schüsse auf das Tor von Rot-Weiss Essen. Die Grafik zeigt gegnerische Abschlüsse (rot) auf den RWE-Kasten und erzielte Tore der Gegner (grün). © ffs

    Ein weiteres Problem ist die fehlende Beweglichkeit der Innenverteidiger, deren Tempo-Defizite gegen Gegner mit schnellen Angreifern zuletzt regelmäßig aufgedeckt wurden. Michael Schultz, Tobias Kraulich und José-Enrique Rios Alonso sind zwar durchaus effizient im Bodenzweikampf, dafür aber nicht schnell genug und lassen sich von ihren Gegenspielern zu einfach mit Ball überlaufen, die dadurch recht ungestört in gute Schusspositionen gelangen.

    Rot-Weiss Essen vermisst Ex-Kapitän Vinko Sapina

    Ebenfalls magelhaft ist die Abstimmung in der Rückwärtsbewegung. RWE fängt kaum Pässe ab, der Abgang von Vinko Sapina macht sich deutlich bemerkbar, da seine Stärken im Zweikampf und der Raumverteidigung fehlen. Jimmy Kaparos und Torben Müsel sind beide zu offensiv orientiert und nicht in der Lage, den Raum zwischen Abwehr und Mittelfeld konsequent zu schließen, zu häufig werden beide überspielt. Es fehlt ein defensivstarker Sechser.

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    Probleme haben auch Essens Außenverteidiger. Julian Eitschberger und Lucas Brumme haben ihre Stärken klar in der Vorwärtsbewegung und sind im Defensivzweikampf anfällig. Dass beide für das RWE-Spiel dennoch unverzichtbar sind, zeigte sich in Rostock, als sowohl Brumme als auch Eitschberger ausfielen. Ihre Vertreter Eric Voufack und Nils Kaiser offenbaren noch deutlich größere Defensivschwächen. Insgesamt sind 13 der 23 Essener Gegentore über die Außenbahnen entstanden.

    RWE verliert zu viele Kopfballduelle

    Hier zeigt sich gleich das nächste Essener Defizit, denn im Luftduell gehört RWE zu den schwächsten Teams der Liga, nur drei Teams kassierten mehr Kopfball-Gegentore. Zuletzt kostete ein verlorenes Kopfballduell zwei Punkte in Dresden, in Rostock war das Spiel nach einem Kopfballtor zum 2:0 entschieden. Besonders aus dem Halbfeld gelingt es Gegnern immer wieder, zum Torerfolg zu kommen. RWE blockt kaum Flanken ab und verfügt im Zentrum mit Ausnahme von Schultz nicht die nötige Kopfballstärke. Kraulich kann in der Luft mit Abstrichen mithalten.

    Hinzu kommen häufige Ballverluste im Spielaufbau, die RWE das Leben schwer machen. Es werden kaum Raumgewinne im Aufbau erzielt, vertikale Passversuche finden häufig unter hohem Gegnerdruck statt und werden abgefangen, vor allem Kraulich und Schultz zählen zu den pressinganfälligsten Innenverteidigern der Liga.

    Ein Kopfballtor in letzter Minute kostete Rot-Weiss Essen den Sieg in Dresden.
    Ein Kopfballtor in letzter Minute kostete Rot-Weiss Essen den Sieg in Dresden. © ZB | Robert Michael

    Rot-Weiss Essen: Einige Probleme sind taktischer Natur

    Mit Ball agiert RWE in dieser Saison meist in einem 3-4-2-1, in dem die Außenverteidiger sehr weit aufrücken und Rios Alonso den Ball per Pass ins Mittelfeld bringt, wo Müsel die Hauptverantwortung im Übergangsspiel trägt. RWE geht zu wenig Risiko im Aufbau, es entsteht kaum Vertikalität. Das war im Vorjahr noch ganz anders, als die Essener häufig aus der eigenen Hälfte Diagonalbälle ins letzte Drittel spielten. Nun kann der Gegner deutlich höher und mutiger verteidigen, was zu früheren Ballverlusten führt.

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    In der Vorsaison war der Aufbau deutlich flügellastiger. Die Außenverteidiger wurden häufig knapp vor der Mittellinie angespielt. Durch Verlagerung auf die Außen wurde der Gegner in die Breite gezogen und das Pressing erschwert. In der aktuellen Saison leistet sich RWE zu viele Ballverluste im Zentrum, dazu erhalten die Flügelspieler kaum Bälle, da sie zu offensiv stehen, während sie gleichzeitig bei einem frühen Ballverlust effektiv aus dem Spiel genommen sind.

    Desolat: Rot-Weiss Essen ließ sich im Kellerduell bei Hansa Rostock abschlachten.
    Desolat: Rot-Weiss Essen ließ sich im Kellerduell bei Hansa Rostock abschlachten. © Getty Images For DFB | Matthias Kern

    So wird es für Rot-Weiss Essen in der 3. Liga schwer

    Zu Rot-Weiss Essens großen Stärken in der Vorsaison gehörte das intensive Anlaufen und das Rückerobern des Balles in gefährlichen Zonen durch gut koordinierte Pressingbewegungen. In dieser Spielzeit agiert RWE deutlich passiver gegen den Ball, ligaweit lässt kein Team mehr Pässe vor der ersten Defensivaktion zu. Gepaart mit dem Verlust von Zweikampfstärke im Zentrum durch Sapinas Abgang lässt RWE den Gegner zu häufig mit Ball in die eigene Hälfte eindringen und erzielt selbst kaum Ballgewinne. Mit dieser prekären Mischung wird es Rot-Weiss Essen in dieser Saison sehr schwer haben.