Ruhrgebiet. Ideen, wie es im Amateurfußball weitergeht, gibt es viele. Sportlich fair und praktikabel zugleich ist keine davon. In jedem Fall drohen Klagen.

An Ostern ist es nun vier Wochen her, dass zuletzt ein regulärer Amateurfußball-Spieltag stattgefunden hat. Seitdem: Keine Spiele, keine Tore, keine Punkte. Kein Fußball eben. Wie und wann es unterhalb der Regionalligen weitergeht: völlig offen angesichts der Coronavirus-Pandemie. Der Amateurfußball steckt in der Sackgasse.

Die beste Option wäre sicher, die Saison schnellstmöglich und vor dem 30. Juni sportlich zu Ende zu bringen. Das ist nicht auszuschließen, aber ein zu dünner Strohhalm, um sich daran festzuhalten. Wenn es dazu nicht kommt, müssten Vereine und Verbände gemeinsam eine Lösung finden. Deren Interessen (sportlich und vor allem wirtschaftlich) scheinen sich aber gegenseitig auszuschließen.

Coronavirus: DFB hat weitreichende Änderungen beschlossen

Der DFB hat vergangene Woche zwar weitreichende Änderungen an seiner Spielordnung beschlossen, die den Verbänden sowohl einen Saisonabbruch als auch eine Verlängerung der Saison bis in den Herbst oder sogar ins Jahr 2021 hinein ermöglichen. Diese Optionen scheinen aber kaum umsetzbar. Egal, wie lang die Saison dauert, wie sie gewertet wird: Es droht ein juristisches Nachspiel.

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Einer der ersten Vereine, die klar Position bezogen, war Niederrhein-Oberligist SSVg Velbert in einem offenen Brief vom 17. März: Die Saison abzubrechen sei der beste Weg. Es gäbe kein Terminchaos, keine sportliche Verzerrung durch die Corona-Trainingspause.

Der SSVg-Vorsitzende Oliver Kuhn sagt jetzt: „Die Position vertreten wir immer noch. Es muss ein Schnitt her, um planen zu können.“ Mit dem Szenario der Saisonverlängerung würden die Vereine hingehalten. Dabei sei das „Blödsinn“, sagt er, und nennt ein Beispiel: „Soll ein Spieler, der im Sommer hier eine Ausbildungsstelle anfängt, die wir ihm vermittelt haben, dann zum Beispiel noch irgendwo in Ostwestfalen oder anderswo spielen müssen?“

Was passiert mit Verträgen, die ab dem 1. Juli 2020 gelten?

Um die Saison auszudehnen, wären Spielerverträge betroffen, die ab dem 1. Juli 2020 gelten, auf die die Spieler natürlich angewiesen sind, an denen teilweise andere Arbeitsverträge hängen.

Christian Knappmann von Westfalia Herne sagt: „In der Oberliga spielen auch Berufsspieler, das ist jeder Spieler, der mehr als 250 Euro im Monat bekommt. Ein Spieler, der zu uns wechselt, hat ab dem 1. Juli einen Arbeitsvertrag bei Westfalia Herne, daran ändert auch die Spielordnung nichts. Für den Spieler zahlen wir auch Versicherungsbeiträge. Da muss mir jemand erklären, wie es funktionieren soll, dass dieser Spieler nach dem 1. Juli noch für einen anderen Verein spielt.“

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Er könne sich nicht vorstellen, dass das rechtlich machbar wäre, sagt Knappmann. Der Mannheimer Rechtsprofessor Dr. Philipp Fischinger sagt im „Kicker“-Interview dazu: „Verbände haben nicht die Möglichkeit, direkt in die Arbeitsverträge zwischen den Vereinen und Spielern ,hineinzuregieren’ und diese ,per Order Mufti’ zu verlängern oder auszusetzen.“

Der Düsseldorfer Sportrechtler Paul Lambertz erklärt: „Man muss das arbeitsrechtliche Verhältnis zwischen Verein und Spieler trennen von den lizenzrechtlichen Bedingungen der Fifa.“

Hier müssten sich alle Vereine und die Verbände zuerst einig werden – sonst droht ein Saisonfinale vor dem Arbeitsgericht.

Bericht: Wird die Saison abgebrochen, droht eine Klagewelle

Die Alternative zur Saisonverlängerung lautet: Abbruch. Doch auch wenn die Spielordnung das jetzt erlaubt: Vorbereitet sind die Verbände darauf nicht, auch hier drohen Klagen. Wie die „Ruhrnachrichten“ berichten, ist nirgendwo fixiert, unter welchen Umständen eine Saison abgebrochen werden darf. Verbandssponsoren hätten demnach gute Aussichten auf Schadenersatz.

Ein Saisonende am grünen Tisch bedeutet dazu zwangsläufig ein sportliches Dilemma, würde gespielte Partien ad absurdum führen.

Einfaches Beispiel: Für einen abgeschlagenen Tabellenletzten wie die Sportfreunde Niederwenigern in der Oberliga Niederrhein wäre die Annullierung rein sportlich gesehen ein Gewinn. In der gleichen Liga hat Spitzenreiter SV Straelen 19 Punkte Vorsprung – für den SVS wäre ein Abbruch ohne Auf- und Absteiger eine Katastrophe.

Es ist wohl unmöglich, eine abgebrochene Saison für alle fair zu werten

Das umgedrehte Beispiel ist die Oberliga Westfalen: Da steht der TuS Erndtebrück auf dem ersten Abstiegsplatz, einen Punkt hinter Westfalia Herne. Rot-Weiss Ahlen steht zwei Plätze und fünf Punkte hinter Spitzenreiter Wiedenbrück, hat aber auch zwei Spiele weniger absolviert.

Einfach die letzte Tabelle zur Wertung heranzuziehen: Unmöglich, unsportlich. Die Hinrundentabelle? Schon eher, wobei Ahlen noch nicht einmal alle Hinrundenspiele absolviert hat.

Diese Konstellationen gibt es in jeder Spielklasse – bis hinunter zur Kreisliga C. Die dazu gehörigen Positionen auch. „Es wäre aus meiner Sicht die fairste Lösung, die Saison zu annullieren. Man sollte das auch nicht auf die lange Bank schieben“, sagt Erndtebrücks Sportlicher Leiter Alfonso Rubio Doblas gegenüber „Reviersport“.

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Stephan Houben vom SV Straelen wird in der „Rheinischen Post“ zitiert: „Wir vom SV Straelen gehen davon aus, dass wir in der neuen Saison in der Regionalliga spielen werden. Alles andere wäre eine Farce.“ Es sei noch gar nicht abzusehen, wie sich die Pandemie entwickelt, für einen Abbruch sei es zu früh.

Zwei Beispiele von vielen. Sie zeigen: Eine Verbandsentscheidung müssten alle Vereine mittragen, sonst drohen auch hier Klagen. Einstimmigkeit ist aber kaum vorstellbar, dazu geht es auch im Amateurfußball, bis runter in die Bezirks- oder Kreisliga, um (zu viel) Geld.

Vorbild Basketball, aber: Den anderen Sportarten will der DFB nicht folgen

Der wohl eleganteste und kreativste Ausweg, um sportliche Verlierer zu vermeiden, ist im Fußball dabei anscheinend keiner. Im Basketball, Volleyball und Handball ist die Saison abgebrochen. Es gibt dort weniger oder keine Absteiger, dafür großzügige Aufstiegsrechte, Staffeln werden für ein Jahr aufgestockt.

DFB-Vizepräsident Rainer Koch hat dem bereits eine Absage erteilt: „Dann bekommen wir einen großen Überhang an Mannschaften in Ligen, müssen dann zum verstärkten Abstieg kommen. Niemand kann uns garantieren, dass wir die Ligen in normaler Stärke im nächsten Jahr vernünftig zu Ende bringen können.“

Fast alles ist noch möglich – nur die Lösung, mit der wohl die meisten Clubs zufrieden wären, hat der DFB damit ausgeschlossen.

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Von Dirk Retzlaff, Friedhelm Thelen und Hermann Kewitz

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