Hattingen. Das Ruhrgebiet, Knochenbrüche, ein Gänsehaut-Rennen, das Jahr 2019 und immer wieder der Zufall: So schaffte es Profi-Triathlet Jan Stratmann hoch.

Ein stolzer Ruhrpottler sei er, das ist Jan Stratmann wichtig, zu betonen, auch wenn er sich gerade mitten im Umzugsstress befindet. Denn seine Wahlheimat liegt in Hennef, wo er mit seiner baldigen Ehefrau – in zwei Wochen ist die Hochzeit – zusammen wohnt. Wenn er nicht wieder in anderen Ländern unterwegs ist, bei den Triathlon-Wettbewerben der internationalen Weltspitze.

Aufgewachsen ist Stratmann in Niederwenigern, „im Dorf, auf dem Land, an der Stadtgrenze zu Byfang“, wie er selbst sagt. Als ältester von vier Brüdern verbrachte er seine Kindheit vor allem damit, „Fußball zu spielen und Fifa zu zocken“, so der heute 27-Jährige lachend.

An Triathlon war damals noch gar nicht zu denken. Zunächst trat er bei den Sportfreunden Niederwenigern gegen den Fußball, spielte zusammen mit später hoch agierenden Freunden wie Max Machtemes, dessen Vater Klaus sein Trainer war, oder Marius Müller.

Jan Stratmann: Ein Skiunfall ebnet den Weg zum Triathlon

Auch Handball probierte er aus, wirkliche Chancen, nach oben zu kommen, gab es aber nicht: „Ich war schon immer ehrgeizig. Höher, schneller, weiter, war mein Motto. Aber ich war ein Spätentwickler und habe Probleme bekommen, mich körperlich durchzusetzen. Ich war der kleine und schmächtige Spieler“, sagt Stratmann, der heute 1,86 Meter misst.

Möglicherweise wäre seine sportliche Karriere genau so, auf mittelmäßigem Niveau, weitergegangen – wäre da nicht ein Unfall gewesen. Im Skiurlaub mit der Familie brach er sich das Schienbein, mehrere Nägel hielten den Knochen zusammen, ein halbes Jahr lang musste er als Jugendlicher auf Krücken laufen, da die Nägel auf den Wachstumsfugen lagen.

Vom Schwimmen kam Jan Stratmann nicht, dadurch war es zu Beginn der Karriere auch schwer. Er musste sich ‘rankämpfen.
Vom Schwimmen kam Jan Stratmann nicht, dadurch war es zu Beginn der Karriere auch schwer. Er musste sich ‘rankämpfen. © Tom Schlegel

Als sie wieder raus waren, stand Aquajogging als Rehamaßnahme auf dem Programm. Und weil er sich im Wasser wohlfühlte und sein Vater die Wittener und Bundesnachwuchsstützpunkt-Triathlon-Trainerin Grit Weinert kannte, ging Jan Stratmann als 16-Jähriger einfach mal zu ihr zum Training – und blieb, schwor dem Ballsport ab, investierte nun voll in den Triathlon.

„Das war ein riesenharter Cut“, erinnert sich Stratmann. Er sollte sich lohnen, der Weg zur Weltspitze, zu der der Hattinger heute gehört, war aber steinig.

Das Quälen und die mentale Stärke gehörten von Anfang an dazu

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Schnell durfte Stratmann, der mit 17 Jahren nur 46 Kilogramm wog, beim Deutschland Cup starten. 2012 nahm er an seiner ersten deutschen Meisterschaft teil. „Damals bin ich als Letzter aus dem Wasser gekommen, weil ich keinen Background im Schwimmen hatte. Aber dann bin ich auf Rang 17 vorgelaufen und habe gesagt, das macht Bock. Dann bin ich all in gegangen“, so Stratmann.

Die ersten Jahre bevor es zu Weltcups und Europacups der U23 ging, lief er viel hinterher, hatte aber im Kopf dennoch große Ziele: „Ich wollte zu Olympia, zur WM. Ich habe nie gedacht, dass ich es erst einmal aus Spaß mache. Aber man braucht Zeit, muss sich ranarbeiten.“ Es war eine mentale Schule, durch die der Jugendliche ging, die Prüfung bestand er aber genauso wie das Abitur in Essen-Überuhr.

Nach dem Abitur ging es zum PV Triathlon TG Witten und an die Universität

Das war auch der Deal, den Stratmann seinen Eltern – den wohl größten Unterstützern – abgeschlossen hatte. „Triathlon ist ein intensiver Sport. Ein Rennrad kostet viel Geld. Meine Eltern sagten aber, dass ich alles geben kann, wenn die Schule nicht leidet. Dabei war ich nie der, der eine Deutsche Meisterschaft gewonnen hat. Ich war nie bei den Junioren-Weltmeisterschaften, sondern immer etwas hinterher, aber ich habe dran geglaubt“, erinnert er sich.

Aufgewachsen ist Jan Stratmann in Hattingen-Niederwenigern.
Aufgewachsen ist Jan Stratmann in Hattingen-Niederwenigern. © Tom Schlegel

Nach dem Abitur folgten dann der Anschluss an den PV Triathlon TG Witten und die ersten Auftritte in der ersten und zweiten Bundesliga. Auf der Bildungs-Laufstrecke ging es weiter mit einem Bachelor-Studium der Sportwissenschaften mit dem Schwerpunkt Management an der Ruhr Universität Bochum. „Das habe ich in Regelstudienzeit abgeschlossen und weiß bis heute nicht, wie ich das geschafft habe. Da war ich am Limit und das war ein Grund dafür, dass ich zu der Zeit nicht so erfolgreich war“, sagt Stratmann.

2018 stand das Karriereende im Raum

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Unterkriegen ließ er sich davon aber nicht. Nach dem Bachelor folgte der Fernstudium-Master im General Management und der Umzug nach Potsdam, um am Landesstützpunkt auf das Ziel Olympia 2020 hinzuarbeiten. Sportlich ging es bergauf, Stratmann nahm an Weltcups, Europacups und der Studierenden-WM teil.

Finanziell allerdings ging es an die Grenzen. „Ich hatte mein Leben lang Geld angespart, aber die Zeit in Potsdam hat das voll aufgebraucht. 2018 war quasi Ende. Ich hatte keine Kohle mehr, wusste nicht, wie ich es stemmen sollte. Mir war immer klar, dass ich es mit dem Sport versuche, bis ich das Studium beendet habe. Wenn ich dann aber nicht genug Einkommen dadurch habe, war es eine gute Reise, aber ich hätte anders Geld verdienen müssen.“

Das Jahr 2019 fing ganz bitter an – wurde aber zum Wendepunkt

Erneut half der Zufall Stratmann. Über Kontakte bekam er ein Angebot aus Haarlem in den Niederlanden, wo ein Profi-Triathlon-Team aufgebaut werden sollte. „Das war meine Chance“, sagt der Hattinger. Doch erneut streikte der Körper, diesmal versagte er ihm die Chance.

„Ich habe es übertrieben und hatte 2019 einen Ermüdungsbruch in der Hüfte. Dann habe ich mich zurückgekämpft, habe mir aber beim ersten Rennen in der Bundesliga bei einem Radsturz den Arm gebrochen.“ Dass genau jenes Jahr 2019 für Stratmann eines der wichtigsten in seiner bisherigen Karriere werden würde, schien zu diesem Zeitpunkt weit entfernt.

In Hennef ist Jan Stratmann mittlerweile zu Hause: Ein perfekter Ort für das Training mit viel bergischem Wald.
In Hennef ist Jan Stratmann mittlerweile zu Hause: Ein perfekter Ort für das Training mit viel bergischem Wald. © Tom Schlegel

Doch einmal mehr bewies er Comeback-Qualitäten – kein Knochenbruch hielt ihn auf. Nach der Genesung gewann er die holländische Mitteldistanzmeisterschaft, einen Monat später startete er bei seinem ersten Ironman 70.3 in Polen – neben Jan Frodeno.

„Ich bin quasi an den Füßen von ihm aus dem Wasser gekommen. Der Zieleinlauf war neben einer großen Tribüne voller jubelnder Leute. Da hatte ich Gänsehaut. Das hat so viel Spaß gemacht, dass ich wusste, dass ich das unbedingt weitermachen möchte. Das war quasi mein Start ins Profileben, da habe ich Blut geleckt“, so Stratmann.

2021 soll es in der PTO-Weltrangliste unter die Top 20 gehen

Doch 2020 gab es plötzlich ein anderes Problem: Corona. Zwar lernte Stratmann seine zukünftige Frau lieben, beim Sport ging es allerdings nicht voran. Stratmann legte zwangsläufig ein Überbrückungsjahr ein. Möglicherweise war genau dies auch wichtig – um 2021 endgültig den Durchbruch auf der Mitteldistanz zu schaffen: Mit dem ersten 70.3-Sieg, zwei Podestplätzen und dem dritten Rang bei der Europameisterschaft.

Mittlerweile ist Stratmann in der Weltspitze angekommen, unterstrich dies zuletzt mit Rang elf bei der Ironman 70.3-WM in St. George. Im kommenden Jahr möchte er in der PTO-Weltrangliste in die Top-20 klettern – denn dort geht es auch um eine fünfstellige Jahresprämie – und seine erste Langdistanz angehen.

Im Herzen immer noch ein Ruhrgebietler

Vorher aber stehen erst einmal die privaten Highlights mit dem Umzug und der Hochzeit an. Auch kann sich Stratmann auf sein Hobby als Barista konzentrieren. Blöd nur: Beim Umzug ging an seiner Kaffeemaschine ein Boiler kaputt. „Da beißt du dir ins Bein“, sagt Stratmann. Ein Glück, dass Verletzungen und kleine Unfälle für den Hattinger schon immer eher Ansporn als Rückschlag waren.

Im Herzen trägt Stratmann dabei auch immer Niederwenigern: „Ich bin stolz, daher zu kommen. Zum Beispiel ist mein Papa vor ein paar Wochen mit meinen Brüdern zu mir gekommen, um einen Anzug für die Hochzeit zu kaufen. Dann stehen die da mit einem Kilogramm Hack und 20 Zwiebeln vor der Tür und dazu eine Flasche Moet als Andenken. Das gibt es nur im Ruhrgebiet“, sagt Stratmann lachend.

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