Sao Paulo. . Dort, wo am 12. Juni das Eröffnungsspiel der Fußball-WM zwischen Gastgeber Brasilien und Kroatien ausgetragen werden soll, regieren noch die Bauarbeiter. Die Fertigstellung der Arena in Sao Paulo wird knapp - der Bau an sich steht in der Kritik. Ein Besuch.

Seit einigen Minuten haben es sich die drei Bauarbeiter gemütlich gemacht. Obwohl - gemütlich? Hinter ihnen quälen sich die schweren Lkw mit ihren lauten Dieselmotoren im Fünf-Minuten-Takt eine Steigung hoch, von vorne dröhnt ununterbrochen der Lärm von zwei Presslufthämmern, und durch den Rasen, auf dem das Trio sitzt oder liegt, schimmert an unzähligen Stellen die rötliche Erde. Gemütlich ist dieser Platz nicht - und zudem wirbelt ständig Staub durch die Luft. Aber genau hier, wenige Meter entfernt von dem Loch im hohen grauen Eisenzaun rund um die Stadionbaustelle in Sao Paulo, das als Ein- und Ausfahrt des Areals dient, spendet ein Baum etwas Schatten.

Vielleicht ist es das, was die drei Männer ausharren lässt, obwohl die meisten Bauarbeiter in Brasilien derzeit ihr Heil in der Flucht suchen, sobald sie Fernsehkameras oder Reporter erkennen und sich nicht im Schutz ihrer Arbeitsstätte befinden. Doch dieses Trio bleibt. Und Wilson, der durch seine dunkle Sonnenbrille in Richtung der sieben wuchtigen Kranausleger und des Tribünengerippes schaut, während er mit nacktem Oberkörper auf dem Rasen sitzt, spricht sogar, selbst mit Journalisten. Nur seinen Nachnamen, den möchte er nicht preisgeben. Das Internet, die ob des Zeitdrucks nicht mehr allzu strapazierfähigen Nerven der Chefs ... „Sie wissen schon.“

Brasilianer wandeln zwischen Stolz und Sorge

Dass am 12. Juni in diesem Stadion mit allem Glanz und Gloria das Eröffnungsspiel der Fußball-WM zwischen Brasilien und Kroatien stattfindet, erscheint beim ersten Blick auf die Großbaustelle im Stadtteil Itaquera im Osten der Mega-Metropole wahrlich äußerst ungewiss zu sein. Allen Lippenbekenntnissen der Offiziellen vom WM-Organisationskomitee oder vom Fußball-Weltverband Fifa zum Trotz.

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Die Zufahrtswege? Im Bau. Die Bürgersteige oder Fußwege? Im Bau. Die Zusatztribünen an den offenen Seiten? Im Bau. Die Parkplätze an der Arena? In Planung. Die Sitzschalen auf den bereits fertigen Tribünen? Nicht zu sehen. Ebenso wenig wie der Rasen, aber das liegt am Blickwinkel. Auf dem Grün ließen sich bereits Fifa-Generalsekretär Jerome Valcke und Fußball-Star Ronaldo ablichten.

„Wir wollen der Welt zeigen, dass wir gute Stadien bauen können“, sagt Wilson. Er sei stolz, an diesem Projekt mitarbeiten zu dürfen. „Und wir setzen alles daran, dass das Stadion pünktlich fertig wird.“

Sein Landsmann Vilson Castro zeigt sich allerdings weniger zuversichtlich. Der im Zentrum wohnende pensionierte Staatsbeamte ist neugierig, er will sehen, ob es stimmt, was die Zeitungen schreiben oder die Fernsehsender berichten, deshalb schlendert er als Tourist rund um die Großbaustelle. Was er sieht, erschreckt ihn. „Was soll das?“, fragt Castro, „eigentlich bin ich ein Optimist, aber bei diesem Anblick...“

Kosten sind explodiert - Die Bevölkerung geht leer aus 

Der Mann ist Fan des Klubs Corinthians, in dessen Besitz die Arena nach der WM übergeht. Deshalb hält sich sein Groll in Grenzen. Der Groll über die für viele fragwürdige Finanzierung fast komplett durch den brasilianischen Staat, der Groll über die Kostenexplosion auf rund 300 Millionen Euro statt geplanter 275, der Groll über mangelnden Arbeitsschutz, der bereits drei Bauarbeitern das Leben kostete, der Groll über Enteignungen für den Bau der Zufahrtswege, oder der Groll über den Neubau an sich, obwohl es doch das Stadion des FC gibt.

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Rosilene Wansetto von der Nichtregierungsorganisation „Jubileo Sul Brasil“ kann und will ihren Ärger nicht zurückhalten, als sie zum x-ten Mal auf die Großbaustelle schaut, auf der mittlerweile rund um die Uhr und sieben Tage in der Woche gearbeitet wird, um Zeit aufzuholen. „Ich sehe in der WM nichts Positives“, schimpft sie. „Alle Investitionen, die vorteilhaft gewesen wären und versprochen wurden, finden kaum statt.

Der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs hätte vielen Menschen genützt, ebenso wie Investitionen in Bildung und das Gesundheitswesen. Aber das Geld wird davon abgezogen und in die Stadien investiert.“ Selbst die hohen Summen schützten jedoch nicht vor Misswirtschaft, klagt sie an. „Wir haben Erkenntnisse, dass die Statik bei einigen Stadien nicht stimmt. Man sagt, das in Manaus werde nach der WM wieder abgerissen.“

Pausenloses Schuften für den rechtzeitigen WM-Start 

In Sao Paulo geht es allerdings erstmal darum, rechtzeitig fertig zu werden. Die einzige Partie vor der WM soll am 17. Mai zwischen Corinthians und Figueirense stattfinden, eine Art Generalprobe.

„Zu behaupten, die Uhr tickt, wäre maßlos untertrieben“, sagte selbst Jerome Valcke bei einer Stippvisite, zumal zum Beispiel die Inneneinrichtung oder das Equipment der Fernsehsender nicht erst am Tag vor dem Spiel aufgebaut werden können. „Doch ich bin sicher, dass das Stadion in letzter Minute fertig wird“, ergänzte er. Weil Männer wie Wilson und seine beiden Kumpel knechten. Ohne Gewissheit, dass der Plan aufgeht. Und fast ohne Pause.