Recife.. Dieses Fleckchen Land war ein Paradies, war sein kleines Paradies im dicht bevölkerten Stadtteil Camaragibe der brasilianischen Metropole Recife. Ein Haus nannte Romildo José dos Santos sein Eigen, keine Hütte. Als irgendwann der Bulldozer alles niederwalzte, begann für ihn die persönliche Hölle.

Eine Quelle im Garten sorgte für Wasser und ließ eingebettet in sattgrünem Weidegras die Kokospalmen sowie ebenso viele Mango- und ein paar Bananenbäume prächtig gedeihen. Es war zwar ein arbeitsreiches, ein hartes Leben, welches der mittlerweile 71-Jährige führte, aber es war eines, das ihn erfüllte und das seiner Familie ein ordentliches Auskommen bescherte.

Aus Paradies wurde die persönliche Hölle

Doch dieses Leben endete. Abrupt. Vor zwei Jahren. Eines Tages, als ohne Vorankündigung die Männer der Verwaltung und eines Bauunternehmens vor der Tür standen. Keine Woche später ließen sie aus Romildo José dos Santos’ kleinem Paradies von einer Minute auf die andere seine ganz persönliche Hölle werden.

„Prallvoll hingen die Bananenbäume, als der Bulldozer ohne Vorwarnung kam und sie einfach niederwalzte“, sagt Romildo José dos Santos traurig. Ihm bot sich damals ein Anblick, der sich tief ins Herz brannte. In ein Herz allerdings, welches Augenblicke später in tausend Stücke zerbarst, weil das Ungetüm auch vor dem Haus keinen Halt machte. In aller Eile hatte seine Familie die wichtigsten persönlichen Sachen retten können - dann heulte der Motor auf und hinterließ neben dem Haufen Schutt eine zerstörte Existenz.

Mit ihrem Handy zeichnete seine Enkelin zwar ein Video von dieser Aktion auf, anschauen mochte es sich Romildo José dos Santos jedoch noch nicht. Innerhalb weniger Stunden verlor seine Familie fast ihren gesamten Besitz, weil Recife ein Spielort der am 12. Juni dieses Jahres beginnenden Fußball-Weltmeisterschaft ist. Unter anderem trifft die deutsche Elf hier in der Vorrunde auf die USA. Damit Zuschauer und Offizielle die WM-Arena bequemer und schneller erreichen, wird eine zweite mehrspurige Zufahrtsstraße gebaut - auf Kosten der Armen oder kleiner Leute wie dos Santos.

Mega-Baustelle dokumentiert die gnadenlose WM-Realität

Der 71-Jährige steht oberhalb der Mega-Baustelle auf den paar Quadratmetern, die ihm und seiner Frau geblieben sind, während er seine Geschichte erzählt. Der Staub der vorbeifahrenden Lkw zieht nicht bis hierhin und die wenigen Bananenstauden und Kaschubäume gaukeln einen Hauch von Idylle vor, den die Baracke im Hintergrund, in der dos Santos und seine Frau Neuza nun leben, ebenso schnell und unbarmherzig zerstört, wie es die aus dem Schutt geretteten und aufeinander gestapelten Steinreste in seinem Rücken tun.

Die Realität ist gnadenlos. „Wir sollen ungefähr 200 000 Real (rund 67 000 Euro, d. Red.) als Entschädigung erhalten“, erzählt der kleine Mann leise. 200 000 Real für das Haus und das Grundstück, auf dem es stand. Das angrenzende, seine „Plantage“, wurde erst gar nicht geschätzt. „Niemand hat es vermessen“, klagt Romildo José dos Santos, „und es gibt keinen Zeitplan, wann ich das andere Geld bekomme.“ Um mit seiner Familie die provisorische Unterkunft zu errichten, musste er einen Kredit aufnehmen.

480 Familien im Stadtteil Camaragibe in Recife enteignet

Enteignungen für Baumaßnahmen im Kontext der Fußball-Weltmeisterschaft 2014
Enteignungen für Baumaßnahmen im Kontext der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 © privat | Unbekannt

So ähnlich wie dos Santos geht es rund 480 Familien im Stadtteil Camaragibe. Alle wurden enteignet. Familien und Freundschaften wurden auseinander gerissen. Und alle warten mindestens noch auf den größten Teil der versprochenen finanziellen Entschädigung. Dabei soll die Bundesregierung für diesen Zweck bereits 100 Millionen Real zur Verfügung gestellt haben. Allerdings liege das Geld auf einem Sperrkonto, um Zinsen für die Landesregierung zu erwirtschaften, heißt es. Der Klageweg? Dauert meist Jahrzehnte.

Dass sich das national vernetzte Bürgerkomitee „Comite Popular da Copa“ auch den Vorfällen in Recife annimmt, lobt der ebenfalls betroffene Jeronimo Oliveira. Seine Zuversicht auf finanzielle Entschädigung steigert sich dadurch allerdings kaum. „Brasilien ist ein Land, das von der öffentlichen Hand im Stich gelassen wird“, sagt er. Fast irrwitzig: Die WM findet der Fußball-Fan „eigentlich toll - aber wir möchten unser Geld bekommen“. Verbittert ergänzt er: „Die Hoffnung ist bei Gott, auf der Erde sieht es düster aus.“

WM-Baustelle eine Wunde in der Landschaft

Das dürfte auch Romildo José dos Santos denken, als er seinen Blick über die riesige Straßenbaustelle, deren Fertigstellung bis zur WM fast unmöglich erscheint, schweifen lässt. Während einige Kinder inmitten der hin und her fahrenden roten Lkw barfuß Fußball spielen, stehen seine Frau, sein Sohn und seine Schwiegertochter neben ihm. Bei Fuß in der rötlichen staubigen Erde liegt sein Hund. Und es scheint, als schaue das Tier noch trauriger als alle anderen auf die Wunde in der Landschaft, auf das Ende des Paradieses.