Bochum. . Der Mittelfeldspieler Leon Goretzka vom VfL Bochum gilt als eines der größten deutschen Talente. Bis zu seinem Abitur 2014 will Goretzka auf jeden Fall Bochumer bleiben. “Im Moment geht es nur darum, Duisburg zu schlagen“, sagt Goretzka vor dem Revierderby.
Leon Goretzka steht im Dunkeln. Das letzte Licht des Tages fällt matt ins Treppenhaus, Goretzka steht in einer Ecke, vor ihm hat sich ein Fan aufgebaut. Der Fan will jetzt reden, über die Krise des VfL Bochum, über seine Angst vor dem Abstieg in die 3. Liga, über die blöde Heimniederlage gegen Jahn Regensburg, obwohl seine Bochumer doch inzwischen schon wieder gewonnen haben, obwohl doch ein neues Spiel bevor steht, das Derby gegen den MSV Duisburg.
Draußen klappen Autotüren zu, das Training ist längst beendet, die Bochumer Profis fahren nach Hause. Viele Autos sind immer noch erstklassig, den VfL selber hat es in die 2. Liga herunter gerissen, wieder einmal. Dort läuft es im Moment auch nicht besonders gut, aber Bochum hat etwas, das den Fans Hoffnung macht. Es hat ein Juwel in seinen Reihen. Das Juwel heißt Leon Goretzka, ist vor ein paar Tagen 18 Jahre alt geworden und wartet darauf, dass jetzt auch sein erstes Auto geliefert wird. Er hat sich einen Opel bestellt. Weil Opel aus Bochum kommt. Weil er selbst aus Bochum kommt.
Goretzka bekam die Fritz-Walter-Medaille in Gold
Leon Goretzka ist ein netter Junge. Und ein fußballerisches Juwel. Ein Rohdiamant, sagen alle, die mit ihm zu tun haben. Der DFB hat ihm im September die Fritz-Walter-Medaille in Gold verliehen, damit zeichnet der Verband jährlich seine besten Nachwuchsspieler aus. Manuel Neuer hat sie auch mal bekommen. In Silber.
Mit einem Juwel muss man pfleglich umgehen. Die Bochumer, bei denen sich Goretzka einen Stammplatz im defensiven Mittelfeld gesichert hat, versuchen, ihn so weit wie möglich abzuschotten. Journalisten erhalten nur sehr dosiert Zugang. Es wird trotzdem viel geschrieben, wenig über Leon Goretzka selbst, wenig über seine Spiele für Bochum. Viel dagegen über die Spiele, die er eines Tages noch machen könnte. Und immer geht es darum, für wen er sie machen könnte. Dortmund soll Interesse haben, Schalke, die Bayern. Real Madrid. Wie gesagt: Goretzka gilt als fußballerisches Juwel.
So viel Normalität wie möglich
Das kann schnell ein bisschen viel für einen jungen Mann werden, der versucht, sich soviel Normalität wie möglich zu bewahren. Leon Goretzka hat wache, flinke Augen, er wirkt für sein Alter erstaunlich abgeklärt, manchmal formuliert er druckreif. Er ist freundlich und höflich, man bekommt eine Ahnung davon, dass er aus einem Elternhaus kommt, in dem er vor allem das Rüstzeug für das Leben neben dem Platz mitbekommt.
Wer Leon Goretzka nach Vorbildern fragt, bekommt eine zweigeteilte Antwort. Er nennt Toni Kroos, der beim FC Bayern im Mittelfeld spielt. Und er nennt seinen Vater Konrad, der bei Opel arbeitet, jedenfalls solange es Opel in Bochum noch geben wird. Auch bei Goretzkas redet man über die Zukunft des Werks. Leon Goretzka gibt schließlich eine Begründung, die viel über ihn erkennen lässt: „Ich hab’ noch nie erlebt, dass mein Vater eine Entscheidung getroffen hätte, bei der er seine eigenen Interessen über die anderer gestellt hätte.“
Deshalb hält Goretzka, der mit drei älteren Schwestern aufgewachsen ist, bis jetzt auch alle Berater von sich fern. Sein Vater regelt die Dinge, ein Anwalt hat bei Vertragsdetails mit dem VfL geholfen. „Ich weiß gar nicht genau“, sagt Goretzka, „ob sich wirklich so viele andere Vereine bei uns gemeldet haben. Mein Vater hält solche Dinge fern von mir.“
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Irgendwann wird sich auch das ändern, „aber“, sagt Goretzka, „ich kann keinem Fremden gleich vollständig vertrauen. Das muss wachsen.“ Dafür hat er Zeit. 2014 baut er sein Abitur am Bochumer Alice-Salomon-Berufskolleg. Leistungskurse: Biologie und, natürlich, Sport. Vor 2014 wird es deshalb auch keinen Wechsel geben. Wenn Goretzka sagt, der VfL sei eine Herzenssache, ist das mit mehr Substanz unterfüttert als in vielen anderen Fällen, in denen dieses Wort dahin geplappert wird. Leon Goretzka ist in Bochum geboren und aufgewachsen, er spielt seit der F-Jugend für den VfL. An sein erstes Spiel als Fan kann er sich nicht mal mehr erinnern: „Ich war zu klein.“
"Im Moment geht es nur darum, den MSV zu schlagen"
Gehen wird er eines Tages wohl doch. Aber sich jetzt schon Gedanken machen über eine womöglich glänzende Zukunft als Profi? Über die Vergleiche mit dem Dortmunder Mario Götze? Über die Aussicht, irgendwann mal irgendwo unerhört viel Geld zu verdienen? „Ich spiele, weil ich Spaß daran habe“, sagt Goretzka dann, „und im Moment geht es nur darum, Duisburg zu schlagen.“
Das sagt er auch dem Fan im Treppenhaus. Das Schöne an dem Jungen ist: Man glaubt ihm, dass er es genau so meint.