Hagen. . Am Samstag startet Fußball-Bundesligist Borussia Dortmund mit dem Heimspiel gegen Bayer Leverkusen in die neue Saison. Zuvor stattete Hans-Joachim Watzke der „Westfalenpost“ einen Redaktionsbesuch. Dabei sprach der BVB-Boss über Umsatzrekorde, die Bayern und Marco Reus.
Genervt sieht der Mann nicht aus, der mit leichten Schritten die Treppenstufen herauf geht - eher sehr entspannt. Für Hans-Joachim Watzke, Geschäftsführer des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund, ist der Redaktionsbesuch bei der „Westfalenpost“ vor jeder neuen Saison ein Pflichttermin.
Herr Watzke, am Samstag beginnt für den BVB die Saison mit dem Spiel gegen Bayer Leverkusen. Was sagt der Chef-Pessimist?
Hans-Joachim Watzke: Dass das der gefährlichste Gegner ist, den wir hätten bekommen können.
Warum?
Watzke: Leverkusen hat sich fantastisch verstärkt, und sie sind von der WM weniger beeinflusst worden als die Bayern oder wir. Wir sind gut beraten, in den Rückspiegel zu schauen, was hinter uns passiert. Es kristallisiert sich heraus, dass stimmt, was ich 2009 gesagt habe: Die großen Vereine der Republik, die die Fanmassen bewegen, stürzen ab wie Stuttgart, Hamburg, Bremen oder auch Köln - und die anderen kommen hoch. Hoffenheim wird eine gute Rolle spielen, Leverkusen und Wolfsburg sowieso, Leipzig kommt irgendwann hoch, das ist nur eine Frage der Zeit. Da müssen wir aufpassen. Wir sind da so ein bisschen ein Old-School-Vertreter, der sich versucht, gegen die New Economy zu behaupten.
Sie rüsten aber doch auch auf: Ist es auch Old School, sich strategische Partner ins Boot zu holen, um sie am Unternehmen zu beteiligen? Dadurch werden in den kommenden Wochen vermutlich mehr als 100 Millionen Euro in die Kassen fließen.
Watzke: Da gibt es einen zentralen Unterschied: Wenn wir strategische Partner ins Boot holen, wissen diese, dass ihr Einfluss auf das operative Geschäft genau nullkommanull Prozent ist - und kein Promille mehr.
Wie werden Sie das Geld einsetzen?
Watzke: Mit dem Geld, werden wir nicht Spieler X, Y und Z kaufen, das braucht niemand zu glauben. Wir werden stattdessen die Basis für zukünftiges Wachstum verbreitern. Falls das mit der zweiten Stufe der Kapitalerhöhung klappen sollte - wir haben uns das ambitionierte Ziel gesetzt, dass am 30. September alles unter Dach und Fach ist – möchten wir alles, was Borussia Dortmund noch an Finanzverbindlichkeiten hat, auf Null stellen. Das sind noch etwa 41 Millionen Euro. Wir könnten nach einer geglückten Kapitalerhöhung komplett schuldenfrei sein. Das bedeutet, dass wir jedes Jahr Geld sparen würden, das wir dann ins Mannschaftsbudget stecken könnten.
Und der Rest des Geldes?
Watzke: Einen Teil würden wir liegen lassen, um das Festgeldkonto zu füllen. Und einen anderen Teil würden wir dazu einsetzen, um Strukturen auszubauen und Wachstum zu erzeugen. Wir möchten Wachstum aus uns selbst heraus erzeugen - und nicht durch irgendeinen einmaligen Sondereffekt.
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Wo sehen Sie am ehesten Wachstumsmöglichkeiten?
Watzke: Internationalisierung ist zum Beispiel ein großes Thema, da ist noch jede Menge drin. Und zwar ohne dass wir unsere Wurzeln vergessen!
Im Oktober wird der BVB eine Dependance in Singapur eröffnen, die Bayern waren während der Sommervorbereitung in den USA.
Watzke: Wenn ich mir unsere Zugriffs-Zahlen zum Beispiel beim Fernsehen so ansehe, ist Südostasien sicher der größte Wachstumsmarkt. Allerdings ist er von der englischen Premier League geprägt, während sich in den USA die Fußball-Begeisterung gerade erst neu bildet. Da gibt es mehr Prägemöglichkeiten. Und da der deutsche Fußball in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich war, hat man auch ein gutes Entree.
Watzke über USA-Reisen, Fernsehgelder und das BVB-Gehaltsbudget
Das heißt: Auch der BVB wird bald solche Reisen machen, um für sich und die Bundesliga zu werben?
Watzke: Das werden wir tun, gar keine Frage. Und es ist ja klar, dass die Reise nicht nach Grönland geht, wenn wir in Singapur eine Dependance eröffnen. Aber es muss zeitlich passen. Ich fand es sehr schön, dass die Bayern in die USA gereist sind, aber wir waren der Meinung, dass es nach dieser außergewöhnlichen Verletzungssaison und einer Weltmeisterschaft für uns zu viel gewesen wäre. Unsere Top-Spieler, die zum Teil auch verletzt sind bzw. waren, brauchten in allerhöchstem Maße Zeit, um sich zu regenerieren. Und mit einer Mogelpackung ins Ausland zu gehen, das geht nach hinten los.
Trainer Jürgen Klopp gilt nicht als Freund solch langer Reisen, weil sie sportlichen Erwägungen in der Vorbereitung widersprechen können.
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Watzke: Dass wir einen Kompromiss machen müssen zwischen der Ökonomie und reinen sportlichen Erwägungen, ist klar. Aber er sieht ja auch, wo die waren, mit denen wir uns zuletzt in der Champions League auf Augenhöhe befanden: Chelsea, Manchester United und Real waren in den USA. Klopp weiß schon, was es bedeutet, da zu sein, wo wir jetzt sind.
Wo sind Sie?
Watzke: Mittlerweile wird die Luft dünn. Wer ist denn noch größer als der BVB? Nur wenige Klubs. Unter anderem sicher Manchester United, Real Madrid, der FC Barcelona, Bayern München. Natürlich ist es schön, mal einen Titel zu schnappen, aber wichtiger ist noch, sich über Jahre mit diesen Mannschaften in der Champions League zu messen. Das bringt uns Jahr für Jahr so viel Geld, dass du den Klub weiter entwickeln kannst. Dadurch wachsen wir ins Geld. Von dem internationalen Fernseh-Geld, das die DFL ausschüttet, haben wir jahrelang viel zu wenig abbekommen.
Weil sie jahrelang nicht vertreten waren.
Watzke: Genau. Vor einem oder zwei Jahren lagen wir noch hinter Stuttgart, noch liegen wir in diesem Ranking hinter Schalke. Durch die exzellenten Erfolge von Bayern München und sicher auch ein bisschen durch Borussia Dortmund zuletzt werden sich nach meiner Kenntnis sehr bald die Einnahmen aus der Auslandsvermarktung der DFL steigern, vielleicht sogar auf 140 Millionen Euro verdoppeln. Das wären für den BVB als klare Nummer zwei sicher zehn Millionen mehr.
Wachstum allerorten.
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Watzke: Deshalb sage ich auch: Wir wollen am besten schon 2017 über 300 Millionen Euro Umsatz erwirtschaften – und zwar ohne Transfers. Das würde bedeuten, dass wir die Mannschaft mit 120 Millionen (bislang ca. 70 Millionen, d. Red.) budgetieren könnten, ohne jemals rote Zahlen zu schreiben. Das ist der Weg. Und nicht irgendeine Initialzündung durch eine Einmalzahlung.
Klingt imposant für einen Verein, den der Konkurrent aus München vor ein paar Jahren noch als „regionale Sache“ bezeichnete.
Watzke: Das war eine gezielte Abqualifizierung und vielleicht eher Hoffnung als Fakt. Wir haben uns jedenfalls sehr erfolgreich gewehrt. Vier Jahre lang hat man uns unsere besten Leute weggenommen, weil wir uns nicht in dem Maße wehren konnten, weil wir weiter ökonomisch wachsen mussten und noch müssen. Trotzdem sind wir immer noch da. Wir richten uns auf die nächsten Attacken ein, die werden kommen. Aber es wird uns keiner zerstören können.
Das heißt, dass eine Entkrampfung im Verhältnis BVB und Bayern München vorerst nicht zu erwarten ist?
Watzke: Ich sehe nicht ein, warum wir irgendetwas entkrampfen sollten. Das Verhältnis ist sicherlich nicht optimal – na und? Wichtig ist, dass man sich nicht unterhalb der Gürtellinie bekämpft. Ich hätte es mir auch nicht träumen lassen, dass wir heute zu den Offiziellen von Schalke 04 sicher das bessere Verhältnis haben als zu den Bayern. Aber das ist eben so.
Watzke über die Bayern, Reus' Vertrag und die Pfiffe gegen Götze
Bei dem jüngsten Streit ging es um eine mögliche Ausstiegklausel im Vertrag von Marco Reus, zu der sich die Münchner äußerten. Sie aber antworteten darauf.
Watzke: Natürlich kann man alles weglächeln. Du kannst auch bei jeder Aggression in der Weltpolitik so tun, als wenn es sie nicht gäbe, aber davon wird nichts besser. Das Problem ist: Wenn du dich nicht ab und zu wehrst, wird dir das als Schwäche ausgelegt.
Aber Reus ist ein Thema. Sein Vertrag in Dortmund läuft bis 2017 und soll im kommenden Sommer eine Ausstiegsklausel enthalten. Können Sie ihn halten?
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Watzke: Das werden wir abwarten müssen. Ich kenne Marco glaube ich ganz gut und kann sagen, dass es ihm nicht in erster Linie um Geld geht. Wir werden Gespräche mit Marco führen, in denen es wichtig sein wird, unser Gesamtpaket aufzuzeigen.
Wie sieht das aus?
Watzke: Es besteht aus der Ökonomie, Ambitionen und extremem Vertrauen, das wir dem Spieler schenken. Ich habe das Gefühl, dass unsere Spieler bei uns glücklich sind. Bei denen, die gewechselt sind, habe ich den Eindruck nicht immer zwingend gehabt. Vorsichtig ausgedrückt.
Die Chance auf Titel ist allerdings bei den Bayern nach wie vor größer.
Watzke: Es wird in Deutschland zu sehr über Titel diskutiert. Ich kenne Spieler von Klubs, die waren vier Mal deutscher Meister und könnten heute unerkannt durch jede Großstadt laufen. Was ich sagen will, ist: Marco Reus kann als Spieler von Borussia Dortmund eine Epoche prägen, eine Legende werden. Das ist für meinen Geschmack viel entscheidender als zwei Titel mehr auf dem persönlichen Briefkopf.
Aber vielleicht will er später gar nicht erkannt werden, sondern nur seinen Enkeln erzählen, wie er damals dieses große Finale gewann, was ihm bislang beim BVB nicht geglückt ist.
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Watzke: Blöd ist nur, wenn du das deinen Enkeln erzählst, die aber dann drei Leute fragen, die sich an den Opa nicht erinnern können. Marco Reus kann diesen Verein prägen, seinen Verein, den Verein aus der Stadt, aus der er kommt. Warum ist Franz Beckenbauer in München so eine Lichtgestalt? Wolfgang Overath, Uwe Seeler, Fritz Walter - das sind Leute, von denen die Menschen auch in 100 Jahren noch wissen, wo die gespielt haben und was die da vollbracht haben.
Warum hat er dann eine Ausstiegsklausel im Vertrag?
Watzke: Er kam aus Gladbach nach Dortmund und es gab vielleicht Menschen in seinem Umfeld, die ihm sagten: Kann sein, dass das nicht funktioniert, dann gibt es einen Exit. Damals waren wir nicht auf dem Level von heute. Aus heutiger Sicht hätte es sicher keine Ausstiegsklausel gegeben, aber damals wollte er eine, es gab zehn Angebote und wir mussten einen Kompromiss schließen. Hätten wir es nicht gemacht, dann wäre er möglicherweise heute nicht bei uns. Wir werden viel dafür tun, Marco zu überzeugen, dass hier seine Zukunft ist. Und auch bei uns hat er jedes Jahr die Chance, einen Titel zu holen.
Mats Hummels sagt, er wird lieber zweimal als Führungskraft Meister als vier Mal als Mitläufer. Hat er verstanden, was Sie meinen?
Watzke: Mats ist ein Spieler, der sehr intelligent ist, der auch mal gegen die Meinung der Mehrheit denkt. Mats weiß, was wir wollen. Er kennt das Innenleben beider Klubs und hat daher eine klare Meinung. Er erinnert sich, wer damals, als er noch bei den Bayern-Amateuren spielte, an ihn geglaubt hat, in welchem Verein und unter welchem Trainer er diese Karriere gemacht hat. Mats vergisst so etwas nicht. Nun ist er Weltmeister, das kann ihm keiner mehr nehmen. Wir sind sehr stolz auf ihn und seine Entwicklung!
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Herr Watzke, wie empfanden Sie das Pfeifkonzert beim Supercupspiel gegen Ihren ehemaligen Spieler Mario Götze?
Watzke: Ehrlich gesagt fand ich es nicht korrekt, dass er so massiv von unseren Fans ausgepfiffen wurde. Die Begleitumstände seines Wechsels waren speziell, aber mit ein bisschen Abstand sollte man sagen können, dass er aus unserem Stall kommt, dass er viele Jahre für Borussia Dortmund gespielt hat, dass er uns eine riesige Ablösesumme eingebracht hat. Ich würde mich wirklich freuen, wenn ihm unsere Fans beim nächsten Spiel der Bayern einen besseren Empfang bereiten würden. Man muss immer bedenken: Wir haben es mit total jungen Menschen zu tun. Und Mario ist ein netter Kerl. Wer Mario im Privaten kennt, der weiß, dass er öffentlich manchmal anders herüber kommt als er ist. Das Verhältnis zwischen ihm und den BVB-Verantwortlichen ist absolut intakt. Er war nach dem Supercup in unserer Kabine, und wir haben uns alle umarmt.