Stuttgart/Dortmund. Pierre-Emerick Aubameyang und Henrikh Mkhitaryan werden besonders oft genannt, wenn es um die Gewinner der Saisonvorbereitung von Borussia Dortmund geht. Doch auch Oliver Kirch spielte stark auf und könnte im neuen BVB-System einer der Eckpfeiler sein - nun aber droht ein Rückschlag.
Ein Trainer, der Wert auf schnellen, direkten Fußball legt, hätte sich die Szene wohl genau so ausgemalt: Der zentrale Mittelfeldspieler nimmt den Ball an, dreht sich und schlägt einen präzisen 40-Meter-Pass auf den durchgestarteten Rechtsverteidiger. Der legt quer, ein mitgelaufener Mittelfeldspieler schiebt ein.
So geschehen beim 1:0-Treffer von Borussia Dortmund bei den Stuttgarter Kickers, der den 4:1-Sieg in der ersten DFB-Pokalrunde einleitete. Am Ende wurde viel über Pierre-Emerick Aubameyang gesprochen, der zwei Treffer beigesteuert hatte und derzeit ohnehin ständig trifft. Über Marco Reus, der nach seiner Verletzung erstmals wieder auflief - von Beginn an und als BVB-Kapitän.
Oliver Kirch, der den langen Diagonalpass gespielt und auch das 3:1 eingeleitet hatte, wurde weit weniger beachtet. Was damit zu tun haben dürfte, dass es nicht sein stärkstes Spiel im BVB-Trikot war. Der 31-Jährige wirkte zeitweise fahrig und unkonzentriert, verlor im Spielaufbau einige Bälle, was durchaus mit Gegentoren hätte bestraft werden können. Er zeigte aber auch, was ihn ausmacht: ein enormes Gefühl für Ball und Raum, eine gute Technik gepaart mit Zweikampfstärke.
Prädestiniert als Abräumer
Es sind diese Attribute wegen denen Kirch derzeit eine zentrale Rolle im BVB-Spiel zukommt - und zwar buchstäblich: Sowohl im Supercup gegen Bayern München (2:0) als auch im DFB-Pokal bei den Stuttgarter Kickers setzte Trainer Jürgen Klopp auf ein 4-4-2-System mit Raute. Und in beiden Spielen gehörte Kirch zur Startaufstellung, spielte gegen Bayern im rechten Mittelfeld und in Stuttgart als zentraler Mann vor der Abwehr - was ihm am liebsten ist "Etwas zurückgezogenen, aus der Tiefe, habe ich meine größten Stärken", sagte er vor der Saison.
Und für die Position als alleiniger Abräumer ist er geradezu prädestiniert, weil er anders als die möglichen Konkurrenten sowohl offensiv als auch defensiv voll überzeugt. Er ist deutlich zweikampfstärker und dynamischer als Nuri Sahin; gegenüber Sebastian Kehl und Sven Bender kann seine Stärken im Spielaufbau, seine Ballsicherheit und sein Passspiel in die Waagschale werfen.
Sollte Klopp am System mit einer Mittelfeldraute festhalten, wäre Kirch ein wichtiger Eckpfeiler - der Mann, der die gegnerischen Angriffe abfängt, den Druck von der eigenen Abwehr nimmt und gleichzeitig erste Anspielstation im Spielaufbau ist
Real Madrid als Wendepunkt
Damit war noch vor einem halben Jahr nicht zu rechnen: Beim BVB kam der Mittelfeldspieler nicht über die Rolle des Ergänzungsmannes hinaus, absolvierte zwar ein paar Einsätze - doch wenn es wichtig wurde, spielten die anderen. Dann aber kam der 8. April, kam das Champions-League-Viertelfinale gegen Real Madrid. Das Hinspiel hatte Dortmund 0:3 verloren, im Rückspiel bot Klopp eine Aufstellung mit Kirch als alleinigem Mann vor der Abwehr.
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Und der räumte zuverlässig alles ab, was in die Nähe des BVB-Strafraums kam. Gleichzeitig war er der wichtigste Ballverteiler, sammelte 120 Ballkontakte - auch seinetwegen schrammte Dortmund mit einem 2:0 nur knapp an einer Sensation vorbei.
Es folgten weitere gute bis sehr gute Spiele, es folgte die Vertragsverlängerung bis 2016 - und nun eine Saisonvorbereitung, nach der sich auch Kirch zu den Gewinnern zählen darf. "Das letzte halbe Jahr war das schönste, was ich im Fußball erlebt habe", sagt er 31-Jährige, der erst im hohen Fußballer-Alter richtig aufzublühen scheint - und noch lange nicht ans Aufhören denkt. Denn die schöne Zeit soll ja weiter gehen. "Deswegen setze ich mir jetzt überhaupt keine Frist", sagt Kirch. "Ich mache, solange die Füße tragen."
Im Training am Dienstagnachmittag allerdings humpelte der Mittelfeldspieler vom Platz, ließ sich den Oberschenkel bandagieren. Die genaue Diagnose soll am Mittwoch folgen.