Moskau. David Storl ist überraschend die Titelverteidigung im Kugelstoßen gelungen. Der Chemnitzer wuchtete die Kugel auf 21,73 Meter und sicherte sich damit im vierten Versuch die Goldmedaille. Vorher war aber Zittern angesagt: Erst Fotos und Videos überzeugten die Kampfrichter von der Gültigkeit des Gold-Stoßes.

Vor dem Babyface mit dem Zylinder in Deutschlandfarben auf dem Kopf konnte die Konkurrenz im Luschniki-Stadion nur den Hut ziehen. David Storl ist vor drei Wochen gerade einmal 23 Jahre alt geworden und ist nach diesem goldenen Freitag bereits zweimaliger Weltmeister. Zwei Jahre nach seinem WM-Goldstoß von Daegu triumphierte Storl auch bei der WM in Moskau mit 21,73 Metern und verteidigte als erster Kugelstoßer nach dem US-Amerikaner John Godina (1995 und 1997) seinen WM-Titel.

Ohne einen Fotografen aus Hanau wäre das Wunderkind des Kugelstoßens, das längst erwachsen geworden ist, nicht Weltmeister geworden. Als Storl im vierten Versuch die 7,25 Kilo schwere Kugel mit einem lauten Schrei hinaus wuchtete, riss er direkt danach beide Arme hoch in die Luft. „Ich habe gespürt, dass er gepasst hat“, sagte Storl.

Entsetzen nach dem Gold-Stoß

Aber dann kam der Schock, der Moment des Entsetzens. Der Kampfrichter schwenkte die rote Flagge. Ungültig. Storl schüttelte den Kopf. Von der Tribüne schrie sein Trainer Sven Lang, der ihn in den vergangenen sieben Jahren vom Supertalent zum Doppel-Weltmeister formte: „David, lass den Versuch auf jeden Fall messen.“ Storl soll mit dem linken Fuß die Kreisumrandung betreten haben, hieß es als Begründung, dass der Stoß irregulär gewesen sei. Kai-Oliver Pfaffenbach von der Agentur Reuters eilte zu Storl, zeigte ihm die Fotosequenz des umstrittenen Versuchs. Storl ging sofort zu den Kampfrichtern und beschwerte sich. „Ich hatte zwar Russisch in der Schule“, sagte der Chemnitzer, „aber fließend kann ich das nicht mehr. Ich habe sofort gemerkt, dass ich mit meinem Fuß nichts Verbotenes gemacht habe. Ich habe doch ein bisschen Gefühl in den Füßen. Die sind doch nicht taub.“

Nach Storls lautstarkem Protest und einem Blick auf die Fotos entschieden sich die Kampfrichter zur Prüfung der Videoaufzeichnung. Mit einem goldenen Ergebnis für Storl: Der Stoß war korrekt. Ryan Whiting kam hinter Storl mit 21,57 Metern auf den Silberrang. Der bullige, 135 Kilo schwere Whiting war als Topfavorit in den Ring gegangen, denn seine Jahresbestleistung war um 1,24 Meter besser als die des jungen Deutschen. Bronze holte der Kanadier Dylan Armstrong (21,34 m).

Obwohl der alte und neue Weltmeister lediglich als Neunter der Meldeliste nach Moskau gefahren war, hatte er nie an sich gezweifelt und aus seinen großen Zielen kein Geheimnis gemacht. Storl ist kein Lautsprecher, aber auch kein Diplomat im Kugelstoß-Ring. Er sagt, was er denkt und was er vorhat. Bei dem Hickhack um seinen vierten Versuch hat ihm sein energisches Auftreten geholfen. „Ich bin froh, dass er so ein selbstbewusster Junge ist, der sich auch mal streiten kann“, sagte Trainer Lang.

Storl lässt Rückschläge hinter sich

Sein Schützling musste in diesem Jahr mit einigen Problemen kämpfen. Die Patellasehne zwickte, die Bandscheiben schmerzten. Aber Rückschläge sind für ihn da, um gemeistert zu werden.

Im Vergleich zu seinen bulligen Konkurrenten, die vor Kraft kaum laufen können, ist Storl ein Filigran-Techniker, der mit seiner gewaltigen Schnelligkeit das Defizit an maximaler Kraft wett macht. Und über welch starke Nerven verfügt, hat er ein weiteres Mal bewiesen. „Ich wusste nach meinen Trainingsleistungen, dass ich es drauf hatte“, sagte er, „ich hatte mir eigentlich sogar einen Stoß über 22 Meter zugetraut.“ Das will er spätestens im nächsten Jahr nachholen. Bei der Europameisterschaft in Zürich.