Moskau. Als erster Deutscher hat Raphael Holzdeppe bei der Leichtathletik-WM Gold im Stabhochsprung gewonnen. Der Zweibrücker schlug Olympiasieger Renaud Lavillenie höhengleich mit 5,89 m - der Franzose hatte die Höhe erst im dritten Versuch geschafft. Bronze ging an den Olympiazweiten Björn Otto aus Köln.

Als Renaud Lavillenie zu seinem dritten und letzten Versuch über 5,96 m anlief, ging Raphael Holzdeppe wie ein Tiger im Käfig hin und her. Dem 23-Jährigen stand die Anspannung ins Gesicht geschrieben. Die Kameramänner des russischen Fernsehens verfolgten ihn auf Schritt und Tritt, um keine Regung des jungen Deutschen zu verpassen. Es ging um Gold, es ging um den Weltmeister-Titel im Stabhochsprung. Lavillenie schraubte sich in die Höhe, die Latte fiel – die Sensation war perfekt: Raphael Holzdeppe ist der beste Stabhochspringer der Welt. Und weil dies so unglaublich ist, rannte er los, riss sich das Nationaltrikot vom Leib und hüllte sich für die Fotografen in eine Deutschland-Fahne.

5,89 m im ersten Versuch, das reichte zum Gold, weil der haushohe Favorit Lavillenie diese Höhe erst im dritten Anlauf geschafft hatte. Holzdeppe ist der erste deutsche Stabhochspringer, der Gold bei einer WM holte. Björn Otto aus Köln machte den Festtag für das deutsche Team perfekt, weil er mit 5,82 m Bronze gewann. Der Wattenscheider Malte Mohr übersprang ebenfalls 5,82 m und wurde Fünfter. „Ich bin Weltmeister und alles ist geil“, sagte Holzdeppe, „ich habe es geschafft, meine Konzentration nur auf mich zu legen und gleichzeitig Druck auf Renaud aufzubauen.“

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In Frankreich hatten sie schon in Anlehnung an den legendären Fußball-Spruch von Englands Idol Gary Lineker gefrotzelt, Stabhochspringen ist, wenn sich zwölf Sportler über eine Latte schrauben und am Ende der Lavillenie gewinnt. So wie bei der EM 2012, so wie kurz danach bei den Olympischen Spielen in London, als Lavillenie triumphierte und Otto und Holzdeppe jeweils Silber und Bronze holten.

Lavillenie springt wie ein Flummi-Ball

„Wenn die anderen hoch springen, will ich noch höher springen“, sagte Holzdeppe vor dem Wettkampf. Das hört sich einfach an, aber gegen Lavillenie ist das ziemlich kompliziert. Renaud wird in Frankreich „Le petit Napoleon“, der kleine Napoleon genannt. Lavillenie ist zwar um einiges höher gewachsen als der einstige Herrscher, doch für einen Stabhochspringer hat er mit 1,76 m nicht gerade ein Gardemaß. Da er aber nur 69 Kilo wiegt, springt er so locker-leicht wie ein Flummi-Ball. Die besten sechs Höhen in diesem Jahr hat der 27-Jährige aufgestellt. Doch an diesem Abend fand er in dem vier Jahre jüngeren Holzdeppe seinen Meister.

Die Stabhochspringer sind die Hochseilakrobaten im Leichtathletik-Zirkus. Wenn sie mit dem Kopf nach unten und den Füßen voraus in voller Körperstreckung in Richtung Himmel bewegen, um sich dann über die Latte zu schlängeln, dann stockt den Zuschauern der Atem. Die Stäbe sind ihr Werkzeug, das sie mit Argusaugen bewachen. Otto hat acht im Sortiment. Mohr hat einige Stäbe von Tim Lobinger übernommen, der jetzt als Konditionstrainer beim Drittligisten RB Leipzig arbeitet.

Aber die Stabhochspringer sind nicht nur Artisten, sie sind auch Pokerspieler. Möglichst wenige Sprünge machen, um nur ja nicht das Energiepotenzial zu früh auszuschöpfen, so lautet die Devise. Einfach gesagt, schwer umzusetzen. „Wir sind heute mal ganz konservativ“, sagte Malte Mohrs Trainer Chauncey Johnson, „Malte wird alle Höhen springen.“ Und diese Taktik wählte auch Otto.

Weltmeister-Stück von Holzdeppe

Ganz anders Holzdeppe, der auch von Johnson in München trainiert wird und erst bei 5,65 m einstieg, die Höhe locker nahm, 5,75 m ausließ und dann ebenfalls im ersten Versuch die 5,82 m meisterte. Das Weltmeister-Stück war dann sein Flug über die 5,89 m. Ebenfalls im ersten Anlauf. Der Junge aus Kaiserslautern, der für Zweibrücken startet und in München lebt, hat keine Nerven.

Schon mit 18 Jahren wurde der dunkelhäutige Holzdeppe, der kurz nach seiner Geburt adoptiert wurde, Achter bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking. Danach musste er aber drei schwächere Jahre verkraften. Abitur und Verletzungen nennt er als Gründe für dieses zwischenzeitliche Tief. Entscheidend für seinen Aufstieg im zweiten Anlauf ist nach seinen Angaben nicht nur die Umstellung der Technik, sondern eine ganz neue Einstellung. „Stabhochsprung wird im Kopf entschieden“, sagt er, „ich musste mich erst einmal von meinem Wunderkind-Image verabschieden.“ Aus dem einstigen Wunderkind ist ein gereifter junger Mann und der Weltmeister 2012 geworden.