Moskau. . Noch vor der Leichtathletik-WM sorgte Jelena Issinbajewa mit Rücktrittsgedanken für Verwirrung. Nach einem begeisternden Wettbewerb und der Goldmedaille in Moskau will “die Königin des Stabhochsprungs“ eine “weibliche Pause“ machen.
Das Luschniki-Stadion ist aus seinem Tiefschlaf erwacht. Jelena Gadschijewna Issinbajewa hat es geschafft, die bisher so triste Kulisse bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in eine vor Begeisterung tobende Masse zu verwandeln. Die russische Zarin wird Issinbajewa genannt, weil ihr die Russen seit über einem Jahrzehnt zu Füßen liegen. Die Doppel-Weltmeisterin, die zweimalige Olympiasiegerin, die einstige Alleinherrscherin im Stabhochsprung schien schon abgeschrieben zu sein. Aber in Moskau schaffte sie ein glanzvolles Comeback und sicherte sich mit 4,89 Metern ihr drittes WM-Gold.
Vor ihrem Siegsprung animierte die 31-Jährige die Zuschauer zum Klatschen. Aber das hätte sie sich sparen können. Denn alle 80.000 Hände hätten sie ohnehin im Stakkato auf dem Weg zu ihrem Höhenflug begleitet. Sie schraubte sich wie eine Schlange über die Latte. Keine Berührung, ein technisch fast perfekter Sprung. Und dann nur noch Jubel, Jubel, Jubel. Die Leichtathletik-Fans standen auf den Stühlen, ein lautes „Oooh“ aus 40.000 Kehlen in einer Mischung aus Ungläubigkeit und Bewunderung hallte durch das Stadion. Jelena Issinbajewa strahlte, sie reckte die Faust, blickte voller Stolz zu ihrem Trainer Jewgeni Trofimow. „Jelena, Jelena, Jelena“, hallte es durch das Rund des 1956 erbauten Luschniki-Stadions.
"Zugabe" Weltrekord fiel nicht
„Ich bin überwältigt, weil ich ausgerechnet in Moskau gewonnen habe“, sagte die Russin, „hier vor meinem Publikum, in meinem Stadion, für Russland und vor der ganzen Welt das Gold gewonnen zu haben, das ist ein unbeschreibliches Gefühl. Ich bin wieder die Königin des Stabhochsprungs. Die Krone sitzt auf meinem Kopf.“
Issinbajewa hat 28 Mal den Weltrekord im Freien und in der Halle verbessert. Als ihr Sieg in Moskau feststand, ließ sie 5,07 Meter auflegen. Es wäre noch einmal ein Weltrekord gewesen. „Es war nicht schlimm, dass ich es nicht geschafft habe“, erklärte sie, „das wäre nur eine Zugabe gewesen.“
Bevor sich Jelena Issinbajewa in die Höhe katapultierte und ihren gelenkigen Körper über die Latte schlängelte, hat sie auf der Anlaufbahn ein intimes Zwiegespräch geführt. Leise hat sie ihrem Glasfiberstab etwas zugeflüstert. Dieses Ritual gehört zu ihr genauso wie ihr Tick, von jeder Reise einen Magneten mitzubringen, um ihn dann im heimischen Wolgograd an die Metallwand ihres Kühlschranks zu heften. „Der Stab ist mein Freund“, sagt sie.
Jelena Issinbajewa hat alles, was ein Superstar im Sport mitbringen muss. Sie ist schön und stark. Wenn sie startet, wird die Anlaufbahn zum Laufsteg. Die Leichtathletik verhalf ihr zu einem gewaltigen sozialen Aufstieg. Sie ist die Tochter eines Klempners und einer Fabrikarbeiterin, die in ihrer Kindheit Armut kennengelernt hat. Sie liebt schnelle Autos und hat in Wolgograd schon so manches Strafmandat kassiert.
Die Knöllchen kann sie sich leisten. Ihre Sponsorenverträge haben sie zur Multimillionärin gemacht.
Issinbajewa bedankt sich bei ihrem genialen Trainer
Aber so viel Geld sie auch kassiert hatte, 2009 schien die Überfliegerin hart auf dem Boden gelandet zu sein. Bei der WM schied sie mit einem Salto Nullo im Berliner Olympiastadion aus. Sie hatte ihre Form verloren, nachdem sie ihre Heimat in Wolgograd und ihren Trainer Jewgeni Trofimow verlassen hatte. Issinbajewa zog ins mondäne Monte Carlo und ließ sich von Sergej Bubkas früherem Coach Witali Petrow betreuen. Aber nichts ging mehr. 2011 rief sie reumütig Trofimow an und bat ihn, in seine Gruppe zurückkehren zu dürfen. Der Mann mit dem Schnurrbart war gnädig, baute die abgestürzte Heldin wieder auf. 2012 holte sie Olympia-Bronze. Jetzt folgte das goldene Meisterstück.
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„Der Weg war so lang, so schwierig seit 2009. Ich habe so viele Probleme überwunden, so viele Verletzungen“, sagte Issinbajewa. „Ich verdanke alles meinem Trainer. Er ist ein Genie.“
Aber so sehr die Königin des Stabhochsprungs ihre Moskauer Nacht genoss, sie wird wohl abdanken. Zumindest vorläufig. „Ich werde jetzt auf jeden Fall eine Pause machen. Eine weibliche. Ich werde versuchen, schwanger zu werden“, verriet Jelena Issinbajewa. „Ob ich dann 2016 zurück kommen werde, wird man sehen. Wenn ich spüre, dass ich nicht mehr höher springen kann, werde ich aufhören.“ Die Leichtathletik-Fans werden sie vermissen.