Moskau. . Der gebürtige Äthopier hat seit nicht allzu langer Zeit einen deutschen Pass und ist eine der größten deutschen Lauf-Hoffnungen. Aber muss sich auch gegen Skeptiker durchsetzen, die an seiner Identität zweifeln.
Als Homiyu Tesfaye in den Katakomben des Luschniki-Stadions über seinen Einzug ins Halbfinale über 1500 Meter erzählt, ist ihm von der körperlichen Belastung nichts mehr anzusehen. Sein Atem geht ruhig, sein Gesicht ist entspannt. „Aber ich habe in der Nacht kaum geschlafen“, sagt Tesfaye, der am Freitag bei der Leichtathletik-WM seinen Traum vom Einzug in den Endlauf perfekt machen will, „ich war unglaublich aufgeregt. Mein Körper war nicht so locker wie sonst, denn ich wollte auf keinen Fall bei meinem ersten Einsatz für Deutschland hinterher laufen.“ Und zeigt dabei mit einem Blick, der Stolz ausdrückt, auf sein Nationaltrikot, das er in seinen Händen hält. Der junge Mann mit dem goldenen Kreuz um den Hals und den Edelsteinen im Ohr spricht ein gutes Deutsch. Mit 20 Jahren sicherte er sich mit der Klassezeit von 3:34,76 Minuten über 1500 Meter das WM-Ticket. In Moskau reichten ihm 3:38,66 Minuten für das Halbfinale.
Die Eltern von Fußball-Star Mesut Özil kommen aus der Türkei, die von Lukas Podolski aus Polen. Im Sport wird Multi-Kulti gelebt. Ein Dutzend der 66 deutschen Leichtathleten in Moskau haben einen Migrations-Hintergrund. Ihre Eltern kommen aus dem Tschad, Uganda oder Martinique. Den ungewöhnlichsten Lebenslauf hat jedoch Homiyu Tesfaye, der vor drei Jahren aus Äthiopien geflohen ist und seit dem 28. Juni 2013 einen deutschen Pass besitzt. Um seine Startberechtigung hat es eine monatelange Diskussion gegeben. Kontrovers geführt. Von Konkurrenten in der Szene sowie von Leichtathletik-Interessierten in Internet-Foren. Es gab rassistische Entgleisungen, es blieben aber auch Fragezeichen zurück.
Zweifel an der Identität
Alles fängt mit der Geburt an. Doch damit taucht die erste Schwierigkeit im Leben des Homiyu Tesfaye auf. In Afrika kommt es häufiger vor, dass Menschen ihr genaues Geburtsdatum nicht kennen. Flüchtlinge haben oft keine Papiere. Tesfaye gibt an, dass er mit vollem Namen Homiyu Tesfaye Heyi heißt und am 23. Juni 1993 geboren ist. Im Internet entspannte sich monatelang eine Diskussion, ob das Geburtsdatum wirklich korrekt sei und ob er überhaupt derjenige sei, der er vorgibt zu sein. Es wird behauptet, dass er in Wirklichkeit identisch sei mit Henok Tesfaye Hey. Dieser sei drei Jahre und vier Monate älter und habe Äthiopien bei den Jugend-Weltmeisterschaften 2007 sowie bei der Junioren-WM 2008 vertreten. Die Namen und auch Bilder der beiden im weltweiten Netz ähneln sich. Sind es berechtigte Zweifel an der Identität von Homiyu Tefaye oder Behauptungen von Neidern, wie es der Bundestrainer Wolfgang Heinig ausdrückt?
„Ich bin ich und einen Henok Tesfaye Hey kenne ich nicht“, erklärt Homiyu Tesfaye, „meine Eltern wohnen in der Nähe von Addis Abeba. Ich habe vier Geschwister. Mehr möchte ich über meine Vergangenheit nicht sagen.“ Fakt ist, dass sein Asylgesuch anerkannt worden ist. Und weil es ein höheres Interesse gibt, erhielt Tesfaye nicht erst nach acht, sondern nach drei Jahren den deutschen Pass. „Ich zweifle nicht an einem Dokument, dass die Bundesrepublik Deutschland ausstellt“, sagte Anja Wolf-Blanke, Präsidentin des hessischen Leichtathletik-Verbandes der Nachrichtenagentur dpa.
Wolfgang Heinig, der seit zwei Jahren Tesfaye trainiert, sagt, dass sein Schützling mit seiner Hilfe eine Taufbescheinigung der Kirchengemeinde in Äthiopien gefunden habe: „Der Junge hat niemanden beschwindelt. Er hat alles nachweisen können, was er gesagt hat.“ Im September fängt Tesfaye bei der Sportförderkompanie der Bundeswehr an. Als Berufsziel gibt er Automechaniker an.
Tesfye gehört die Zukunft
Erst einmal will Tesfaye aber bei der WM ins Finale rennen. Sein läuferisches Potenzial ist enorm. Er kann von 800 Meter bis zum Halbmarathon Zeiten laufen, von denen fast alle deutschen Läufer nur träumen. Tesfaye ist die große deutsche Hoffnung der Zukunft. „Wir denken nicht national“, sagt Heinig, „das Ziel ist die europäische Spitze, aber wir müssen uns auch nicht in der Welt verstecken.“
Wie Tesfaye erreichte auch Carsten Schlangen das Halbfinale über 1500 Meter. Mit 32 Jahren ist er nicht mehr das große Talent wie Tesfaye, aber der Architekt hat aus seinen Möglichkeiten das Beste heraus geholt. Den neuen Kollegen im Team begrüßt er: „Er hat das Niveau bei uns deutlich angehoben.“ Andererseits warnt der Berliner: „ Man sollte die Asyl-Hintergründe genau prüfen. Wenn eine Menge von Afrikanern kommen würde, wäre das für uns deutsche Läufer nicht so toll.“
Homiyu Tesfaye weiß, dass er sich nicht nur gegen seine Konkurrenz, sondern auch gegen Skeptiker durchsetzen muss. Er nimmt die Herausforderung an und sieht das Positive: „Ich fühle mich in Frankfurt richtig zu Hause. Ich habe schon meine Hautfarbe vergessen.“