Essen. Am 23. Februar stimmen knapp 13 Millionen Menschen in NRW über den Bundestag ab. Was sagen die Parteien zu Wohnungsnot, Armut und Staus?

  • Am Sonntag ist Bundestagswahl. In NRW sind knapp 13 Millionen Menschen zur Wahl aufgerufen.
  • Die Liste der Sorgen der Menschen in NRW und dem Ruhrgebiet ist lang. Große Arbeitgeber haben einen massiven Jobabbau angekündigt, die Städte leiden unter ihren leeren Kassen und die Mieten steigen in dem lange Zeit so moderaten Wohnungsmarkt des Ruhrgebiets.
  • Welche Antworten liefern die Parteien in ihren Wahlprogrammen zum Bundestags-Wahlkampf 2025?

Von AfD bis BSW: Das sind die Programme

Auf über 800 Seiten Wahl-Prosa kommen die sieben Parteien, die im aktuellen Bundestag vertreten sind und nach der Wahl am 23. Februar 2025 auch wieder im Parlament Politik machen wollen. Das längste Programm kommt von der AfD mit 177 Seiten, das kürzeste von BSW mit 45 Seiten. Die CDU überschreibt ihre Kapitel mit „Ja“-sagen, die SPD benutzt 102 Mal das Wort Kampf. Das Ruhrgebiet oder NRW erwähnen die Parteien nicht direkt, sprechen aber Probleme vor Ort an, wie in den folgenden Auszügen deutlich wird.

1. Altschulden: Wie wollen die Parteien arme Städte wieder reicher machen?

Schlaglöcher in den Straßen, kaputte Schulklos: So wie hier sieht es sicher nicht überall im Ruhrgebiet aus. Aber der Investitionsstau ist groß.
Schlaglöcher in den Straßen, kaputte Schulklos: So wie hier sieht es sicher nicht überall im Ruhrgebiet aus. Aber der Investitionsstau ist groß. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Wer im Ruhrgebiet lebt, kann es kaum noch hören: Seit Jahren wird in der Politik über eine Altschuldenlösung diskutiert, damit Städte wie im Ruhrgebiet wieder mehr Möglichkeiten haben, Schulklos und kaputte Straße zu sanieren. Zuletzt ist der Plan an der CDU gescheitert.

Union, AfD und FDP erwähnen die Altschulden in ihrem Programm nicht. Die CDU verspricht dauerhaft sichere Einnahmequellen, um die Finanzlage der Kommunen zu stabilisieren. Die AfD fordert, dass der Bund Kosten für Bundesgesetze nicht länger an die Städte abgibt. Die SPD spricht konkreter von einer Lösung der kommunalen Altschulden und sie will die Kommunalfinanzen systematisch verbessern. Grüne und Linke setzen sich für den oft diskutierten Altschuldenfonds ein, auch das BSW will sich für eine Altschuldenlösung starkmachen.

2. Jedes Jahr ein bisschen ärmer: Viele Kinder werden im Ruhrgebiet in Armut groß

Kinderarmut führt oft zu sozialer Ausgrenzung. Es fehlt Geld für einen Kinobesuch, für die Ferienfreizeit mit der Klasse oder schlicht ein eigenes Zimmer, um in Ruhe Hausaufgaben zu machen.
Kinderarmut führt oft zu sozialer Ausgrenzung. Es fehlt Geld für einen Kinobesuch, für die Ferienfreizeit mit der Klasse oder schlicht ein eigenes Zimmer, um in Ruhe Hausaufgaben zu machen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Eine Studie des Leibniz Institut für Bildungsverläufe hat es unlängst wieder belegt: Das Ruhrgebiet ist in den vergangenen Jahren nicht nur ärmer geworden – die Armut stieg vor allem in jenen Stadtvierteln, die schon vorher arm waren. Das betrifft viele Viertel im Norden der Region, wo auch die Kinderarmutsquoten zu den bundesweit höchsten gehören.

Nach dem Ampel-Aus ist die vor allem von den Grünen vorangetriebene Kindergrundsicherung als Mittel gegen Kinderarmut vorerst gestoppt. Im Wahlprogramm hält die Partei daran fest und will zudem einen Kindergrundsicherungs-Check einführen, der prüft, in welcher Höhe ein Kind Ansprüche auf Unterstützung hat. Die SPD will im Kampf gegen Armut und Kinderarmut unter anderem den Mindestlohn auf 15 Euro erhöhen und den Mehrwertsteuersatz für Lebensmittel auf fünf Prozent senken. Die Union will armutsgefährdete Alleinerziehende durch einen höheren steuerlichen Entlastungsbetrag stärken und das Bürgergeld durch eine neue Grundsicherung ersetzen.

Die Wahlprogramme der Parteien

Selbst nachlesen? Hier geht es direkt zu den ausführlichen Wahlprogrammen der sieben Parteien, die aktuell im Bundestag vertreten sind: Politikwechsel für Deutschland (CDU/CSU), Zeit für Deutschland (AfD), Mehr für Dich. Besser für Deutschland (SPD), Zusammen Wachsen (Grüne), Alle wollen regieren. Wir wollen verändern (Linke), Unser Land verdient mehr! (BSW), Alles lässt sich ändern (FDP). Die hier aufgeführten Vorschläge und Wahlversprechen sind Auszüge aus den Programmen.

Die Liberalen wollen die Hinzuverdienstregeln in der Grundsicherung und im Wohngeld verbessern, drohen Bürgergeldempfängern aber mit mehr Sanktionen. Das BSW fordert eine Mindestrente gegen Altersarmut, eine Reform des Bürgergelds. Die Linken wollen das Kindergeld erhöhen und sozial gestaffelte Energiepreise einführen. Die AfD spricht von einem Spardepot für deutsche Kinder und will das Bürgergeld zu einer „aktivierenden Grundsicherung“ abwandeln.

3. Hilfe im Stauland Nummer 1 – von Tempolimit bis Baustellen-Turbo

Bekanntes Bild im Ruhrgebiet: Auf der A40 staut sich der Pendlerverkehr häufig. Investitionen in die Infrastruktur und den Nahverkehr wünschen sich viele in NRW.
Bekanntes Bild im Ruhrgebiet: Auf der A40 staut sich der Pendlerverkehr häufig. Investitionen in die Infrastruktur und den Nahverkehr wünschen sich viele in NRW. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Der ADAC Stauatlas hat NRW erneut die rote Laterne verliehen: Kein Bundesland ist so staugeplagt wie NRW. Das gilt insbesondere für das Ruhrgebiet mit seinen 610 Kilometern Autobahn und den Staus. Ein Grund: Allein in NRW gibt es rund 1000 marode Brücken. Unpünktliche Bahnen und volle Busse tun ihr Übriges zum Unmut.

Die Union verspricht, das Verbrennerverbot, das für 2035 Neuzulassungen in der EU verbietet, zu kippen, die Pendlerpauschale zu erhöhen und Infrastrukturvorhaben wie neue Brückenbauten zu beschleunigen. Die AfD will den Ausbau der E-Mobilität stoppen, Infrastrukturmaßnahmen beschleunigen und stellt einen höheren Preis fürs Deutschlandticket in Aussicht. Die Sozialdemokraten stellen in Aussicht, dass die Kosten für den Führerschein sinken, auf Autobahnen Tempo 130 gilt und mehr Investitionen in die Infrastruktur durch eine Reform der Schuldenbremse möglich gemacht werden sollen.

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Die Grünen wollen mit ihrem kreditfinanzierten Deutschlandfonds Gelder in Straßen, Brücken und Schienen stecken. Bei Straßen setzt die Partei auf Sanierung statt Neubau, der ÖPNV soll priorisiert, Kurzstreckenflüge sollen überflüssig werden. Die Linke will schwere Autos höher besteuern, das Neun-Euro-Ticket wieder einführen und Tempo 120 auf den Autobahnen erreichen. Das BSW will das Verbrennerverbot kippen, verspricht ein „Volksleasing“ für umweltfreundliche Fahrzeuge, konkretisiert Investitionen in die Infrastruktur aber nicht. Die FDP verspricht den Baustellen-Turbo und will Planungszeiten für Infrastrukturprojekte halbieren. Muss eine Brücke ersetzt werden, soll dazu keine Genehmigung mehr nötig sein.

4. Wohnungsnot und hohe Mieten:

Das Kreuzviertel in Dortmund ist besonders beliebt bei Mieterinnen und Mietern. In Dortmund soll die Mietpreisbremse greifen.
Das Kreuzviertel in Dortmund ist besonders beliebt bei Mieterinnen und Mietern. In Dortmund soll die Mietpreisbremse greifen. © dpa | Bernd von Jutrczenka

Lange galt der Wohnungsmarkt im Ruhrgebiet als vergleichsweise entspannt. Doch zuletzt haben die Mieten in Oberhausen, Essen oder Duisburg stark angezogen. Für Dortmund sieht das Land sogar eine Mietpreisbremse vor. Die Ampel-Regierung hatte 400.000 neue Wohnungen versprochen, die Zahl der Baugenehmigungen ist zuletzt aber eingebrochen.

Viele Parteien machen sich für einfacheres Bauen stark und wollen Vorschriften abbauen. Union, SPD und FDP wollen den sogenannten Gebäudetyp E (einfaches Bauen) voranbringen. Die Mietpreisbremse soll nach dem Willen der SPD zudem erweitert werden. Investitionen in den Wohnungsbau sollen durch einen Deutschlandfonds ermöglicht, die Eigentumsförderung von jungen Familien ausgebaut werden und WG-Zimmer für Studierende und Azubis nicht teurer als 400 Euro sein. Auch die Grünen stehen zur Mietpreisbremse, sie wollen Mieter stärker vor Eigenbedarfskündigungen schützen. Mehr Eigentumsförderung soll es für junge Familien und bei sanierungsbedürftigem Leerstand geben.

Die Union verspricht steuerliche Erleichterungen beim Eigenheimkauf, ein Baukostenmoratorium und Anreize für günstige Mieten. Das Moratorium nennt auch die FDP, verspricht zudem ein vereinfachtes Nebenkostenrecht und steuerliche Abschreibungen im Wohnungsbau. Für die AfD soll Deutschland ein „Volk von Eigentümern“ werden. Die Partei will Wohnnebenkosten durch Streichung der GEZ oder EEG-Umlage senken, Immobilienkäufer aus dem Ausland stärker besteuern und statt sozialem Wohnungsbau mehr Wohngeld auszahlen.

Die Linken werden konkreter: 20 Milliarden Euro pro Jahr soll der Staat in den Aufbau eines gemeinnützigen Wohnungssektors stecken und Städten ermöglicht, Wohnungen zurückzukaufen. Das BSW fordert einen bundesweiten Mietendeckel und will in besonders angespannten Gebieten Sanierungskosten den Vermietern aufdrücken.

5. Bangen um die Wirtschaftslage: Energiepreise senken, Made in Germany stärken

Ein ikonisches Bild, immer wieder: Dieser Stahlarbeiter ist im Stahlwerk von Thyssenkrupp Steel in Duisburg beschäftigt. Thyssenkrupp will 11.000 Jobs abbauen.
Ein ikonisches Bild, immer wieder: Dieser Stahlarbeiter ist im Stahlwerk von Thyssenkrupp Steel in Duisburg beschäftigt. Thyssenkrupp will 11.000 Jobs abbauen. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Die wirtschaftliche Lage in NRW gehört zu den größten Problemen des Landes. Ein Drittel der über 18-Jährigen im Land ist angesichts von Auftragsflauten, Jobabbau und Fachkräftemangel besorgt. Ende 2024 haben mit Thyssenkrupp, Evonik und Ford drei große Arbeitgeber angekündigt, zusammengerechnet über 20.000 Arbeitsplätze abzubauen, was massive Unruhe bei Zulieferern geweckt hat.

Die Parteien stellen ihre Wirtschaftsideen fast allesamt an den Anfang ihrer Wahlprogramme. Die Union will die Stromsteuer und die Netzentgelte senken, was die energieintensive Industrie in NRW freuen soll. Die Steuerlast soll auf 25 Prozent gedeckelt, Bürokratie durch „Entrümplungsgesetze“ abgebaut und Gründer von bürokratischen Vorschriften befreit werden.

Die SPD setzt auf günstigere Strompreise, um die Wirtschaft wieder ans Laufen zu bekommen. Netzentgelte sollen auf 3 Cent gedeckelt werden. Investitionen in Deutschland sollen über eine „Made in Germany“-Förderung angekurbelt werden. Grüner Stahl, wie Thyssenkrupp ihn produzieren will, soll etwa bei der Bahn zu einem festen Anteil verbaut werden. Um Behörden anzutreiben, sollen Anträge nach einer bestimmten Frist automatisch genehmigt sein.

Die FDP will ein dreijähriges Moratorium für neue Bürokratie und die Körperschaftsteuer senken. Ein Kernpunkt der Grünen ist ein kreditfinanzierter Deutschlandfonds, mit dem marode Infrastruktur fit gemacht und Investitionskosten übernommen werden sollen. Die Linke will die Schuldenbremse reformieren, um öffentliche Investitionen anzukurbeln und 200 Milliarden Euro in den klimagerechten Umbau der Industrie stecken. Um die Energiepreise zu senken, hält die AfD an Kohle, Kernenergie und russischem Gas fest und will statt „Technologievorgaben, Auflagen und Verbote“ auf ein „freies Unternehmertum“ setzen. Der EU wirft sie Planwirtschaft vor. Der Wille zum EU-Austritt wird in die Forderung nach einem „Bund Europäischer Nationen“ verpackt. Das BSW will die Energiepolitik reformieren und einen nationalen Tag für Entrümplung zum Bürokratieabbau einführen.

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