Duisburg. Wegen tonnenweise Kokain stehen acht Männer schon vier Jahre vor dem Landgericht Duisburg. Warum es so schwierig ist, sie als Mafiosi zu verurteilen.

14 Angeklagte und 51 Taten, 39 Verteidiger, eine Anklageschrift aus 649 Seiten, Akten in 57 Kisten. Die nackten Zahlen ließen auch im Oktober 2020 schon ahnen: Dieses Verfahren vor dem Duisburger Landgericht würde lange dauern. Die Kammer plante zunächst 90 Verhandlungstage ein; Ende 2024 steht der Zähler bei 261 Sitzungstagen. Absehbar werden aber auch 300 nicht reichen – Duisburgs „Mafia-Prozess“ geht schon jetzt in sein fünftes Jahr. Dabei ist noch immer nicht klar, ob die Männer tatsächlich als „Mafiosi“ verurteilt werden können.

Es geht um den Handel mit 680 Kilogramm Kokain, um bandenmäßig organisierte Geschäfte über Scheinfirmen, die so professionell abliefen, dass die Staatsanwaltschaft von einem „Großlogistik-Unternehmen“ sprach, das die Angeklagten aus Duisburg, Düsseldorf, Mönchengladbach oder Neuss aufgebaut haben sollen: ein „System Mafia & Co. KG“. Dabei sind diese fast 700 Kilo noch wenig im Vergleich zu den Mengen, die Ermittler unter Duisburger Führung bei einer Razzia 2018 unter dem Namen „Pollino“ insgesamt sicherstellten – vier Tonnen Kokain, 120 Kilogramm Ecstasy und zwei Millionen Euro Bargeld.

Der Prozess begann zur Corona-Zeit. Damals mussten die Angeklagten Maske tragen, viele Verhandlungstage fielen wegen Erkrankungen und sogar eines Todesfalls aus.
Der Prozess begann zur Corona-Zeit. Damals mussten die Angeklagten Maske tragen, viele Verhandlungstage fielen wegen Erkrankungen und sogar eines Todesfalls aus. © picture alliance/dpa | Roland Weihrauch

Betrug und Steuerhinterziehung: Prozess wird von Wirtschaftsstrafkammer geführt

Die Männer im Alter zwischen 30 und 60 Jahren sollen nicht alle selbst mit den Drogen gehandelt haben. Andere sollen hohe Summen, teils über eine halbe Million Euro, in die Geschäfte investiert, Autos für den Drogentransport mit doppelten Böden präpariert und dadurch mitverdient haben. Beteiligt waren offenbar neben Italienern auch Krimineller türkischer, niederländischer, marokkanischer, deutscher und portugiesischer Herkunft. Juristisch gilt der Tatkomplex als Steuerstrafsache, die 4. große Strafkammer des Duisburger Landgerichts verhandelt deshalb als Wirtschaftsstrafkammer.

So berichteten wir über das Duisburger Mafia-Verfahren

Die meisten der Angeklagten werden von den Staatsanwälten der kalabrischen Mafia, der „‘Ndrangheta“, zugeordnet. Ihnen wird deshalb die „Mitgliedschaft in einer ausländischen kriminellen Vereinigung“ vorgeworfen. Das würde zwar den Strafrahmen (für die Drogendelikte bis zu 15 Jahren) nicht erhöhen. Die Ankläger aber wollen die mafiösen Strukturen festgestellt wissen. Nach einer vorläufigen Bewertung der Kammer ist es indes ungewiss, ob mindestens die beiden Hauptangeklagten tatsächlich im Namen der ‘Ndrangheta gehandelt haben. Es ist also die Frage strittig, wie eine Gerichtssprecherin erklärt, ob es sich in diesem Fall bei der „Mafia“ an sich um eine „ausländische kriminelle Vereinigung handelt oder vielmehr um eine örtliche Unterorganisation“. Dazu hat das Gericht in diesem Jahr über mehrere Monate eine Sachverständige befragt: Mafia oder nicht?

Kranke Angeklagte, Verteidiger stirbt an Corona

Es hat zu diesem Thema mehrere Rechtsgespräche gegeben, aber die sind nicht der einzige Grund, warum das Verfahren so langwierig ist. Schon zu Anfang, im Corona-Winter 2020, mussten mehrere Prozesstage ausfallen, weil es Verdachtsfälle unter Staatsanwälten, Krankheitsfälle bei Angeklagten oder deren Angehörigen und schließlich unter den Verteidigern sogar einen Todesfall gab. Ein Schöffe wurde ausgeschlossen, weil er mehrfach einschlief. Das Problem ist aber die schiere Größe und Komplexität: Schon wegen der 14 Angeklagten, von denen jeder bis zu drei Anwälte hat, der Dolmetscher in verschiedenen Sprachen und der Gutachter wurde der Prozess in den Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts in Düsseldorf verlegt.

Kokain zwischen Bananen: So sollen gewaltige Drogenmengen regelmäßig aus Südamerika nach Deutschland verschifft werden.
Kokain zwischen Bananen: So sollen gewaltige Drogenmengen regelmäßig aus Südamerika nach Deutschland verschifft werden. © dpa | Marcus Brandt

Weiterhin wird zweimal wöchentlich getagt, inzwischen sind die Beteiligten in diesem Jahr allerdings umgezogen: zurück in einen Saal im ersten Stock des Duisburger Landgerichts, der dafür indes eigens hergerichtet werden musste – mit großen Bildschirmen und genügend Plätzen. Die sind immerhin weniger geworden; die Verfahren gegen sechs Angeklagte sind abgetrennt worden, in fünf davon sind inzwischen Urteile ergangen, allerdings ohne Mafia-Bezug.

Drei Männer sitzen bereits Haftstrafen zwischen vier Jahren und einem Monat bis hin zu sechs Jahren und zwei Monaten ab. Bei ihnen wurde das Verfahren auf Einfuhr und Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge beschränkt. Ein weiterer Mann bekam bereits 2023 eine Bewährungsstrafe wegen Kinderpornografie, ein anderer ebenfalls Bewährung wegen Betruges, Urkundenfälschung und Steuerhinterziehung. Ein Verfahren wurde schon früh aus Krankheitsgründen abgetrennt, hier wird weiter verhandelt.

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Von den verbliebenen acht Angeklagten sitzen nur noch zwei in Untersuchungshaft. Nach Auskunft von Landgerichtssprecherin Lara Zwirnmann haben alle acht inzwischen mit einem Geständnis begonnen oder zumindest eine geständige Einlassung angekündigt. Bei den sechs Männern, die auf freiem Fuß sind, hat es zuvor Verständigungsvorschläge gegeben. Die beiden Hauptangeklagten in Haft sind laut Gericht ebenfalls dabei, Vorwürfe einzuräumen, ohne dass es das Angebot eines sogenannten „Deals“ gegeben hätte. Der Italiener und der Portugiese sind weiterhin auch als Mitglieder der ‘NDrangheta angeklagt.

Razzia zur Operation „Pollino“ auch in Duisburg: Vor sechs Jahren nahmen Einsatzkräfte auch den Betreiber eines Duisburger Eiscafés fest.
Razzia zur Operation „Pollino“ auch in Duisburg: Vor sechs Jahren nahmen Einsatzkräfte auch den Betreiber eines Duisburger Eiscafés fest. © picture alliance/dpa | Christoph Reichwein

Kronzeugen aus Italien, Kolumbien und den USA zugeschaltet

Das alles wird auch weiterhin dauern. Nachdem bereits an vielen Verhandlungstagen unter strengen Sicherheitsvorkehrungen ein Kronzeuge aus Italien zugeschaltet wurde, bemüht sich die Strafkammer derzeit um weitere Zeugen in Italien sowie Kolumbien, woher das meiste Kokain stammen soll. Auch ein Zeuge aus den USA wurde bereits gehört. Bislang sind bis Ende April weitere 27 Sitzungstage terminiert. Aber auch danach, vermutet Lara Zwirnmann, werde man noch neue Termine brauchen.

Für die Ermittler war die internationale Operation „Pollino“, aus der das Mammutverfahren von Duisburg hervorging, schon vor sechs Jahren ein „außerordentlicher Erfolg“. Und dennoch war sie erst ein Anfang: Seither hat es immer wieder riesige Drogenfunde gegeben, erst im Frühjahr 2024 wurden in Deutschland sogar 35,5 Tonnen Kokain sichergestellt. Wieder kamen entscheidende Tipps aus Kolumbien. Und doch ahnte Italiens Anti-Mafia-Staatsanwalt Federico Cafiero de Raho schon 2018: „Wenn wir glauben, wir haben die ‘Ndrangheta ausgehoben, dann täuschen wir uns.“