Berlin/Duisburg. Sandro Mattioli erklärt, warum Deutschland so attraktiv ist für die ‘Ndrangheta: von der mangelnden Verfolgung bis zur kulturellen Ignoranz.
Warum Deutschland die ‘Ndrangheta geradezu einlädt, erklärt Sandro Mattioli, Journalist und Mafia-Experte. Nach den Morden von Duisburg gründete er den Verein „Mafianeindanke“.
Ist der Polizei tatsächlich ein Schlag gegen die Ndrangheta gelungen – oder eher ein Nadelstich?
Weder noch. Die Gesamtorganisation ist nicht erheblich geschwächt worden. Aber es sind wichtige Personen Gegenstand dieser Ermittlungen gewesen, insofern ist es nicht zu unterschätzen. Razzien alle zwei Jahre wären sicher nicht ausreichend. Man muss solche Organisationen kontinuierlich verfolgen, und nicht nur auf Ebene der Strafverfolgungsbehörden. Es braucht allumfassende Konzepte. Im aktuellen Fall ist einem Verdächtigen die Betriebserlaubnis entzogen worden, weil die Behörden seine Zuverlässigkeit nicht mehr gesehen haben. Das finde ich einen guten Ansatz. Die ‘Ndrangheta ist ein sehr widerstandsfähiger Organismus. Personen wachsen nach. Darum ist es wichtig, auch an das Vermögen zu gehen, das schwächt das Konstrukt.
Die Eisdiele in Siegen soll ein strategischer Stützpunkt gewesen sein. Können Sie beschreiben, wie man sich das vorstellen muss?
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Klar ist, dass gastronomische Betriebe für die Organisation nützlich sein können. Weil Leute aus Italien hier abtauchen können, weil sie Geldflüsse legitimieren, auch von anderen Personen aus dem deutschen Unterstützerumfeld. Und natürlich kann man damit Kontakte aufbauen.
Wie viele Stützpunkte, glauben Sie, hat die Mafia in Deutschland?
Die Bundesregierung spricht von 505 Mitgliedern der ‘Ndrangheta, italienische Staatsanwälte gehen von mehr als 3000 Mitgliedern aus. Also muss man davon ausgehen, dass es eine Vielzahl von Stützpunkten gibt, wo sich diese Leute treffen, mehrere Dutzend mindestens, wenn nicht hundert oder mehr. In Erfurt waren nun Lokale im Fokus der Ermittlungen, von denen wusste man es schon länger um die Mafia-Nähe.
Hat die Mafia auch unsere Wirtschaft oder gar Behörden infiltriert?
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Die Ermittlungen dazu sind quasi nicht vorhanden. Es gibt in Thüringen unter anderem dazu einen Mafia-Untersuchungsausschuss, wo auch schon herauskam, dass der damalige Innenminister und der damalige Ministerpräsident in einem Lokal saßen, dass von einem mutmaßlichen Mafiosi geführt wurde – vormittags, bevor das Lokal geöffnet hatte. Und unter Vermittlung eines mutmaßlichen Mafiosi. Auch zu einem Richter soll es Kontakte gegeben haben. Die Frage nach Infiltration ist sehr berechtigt, auch weil es eine erklärte Strategie der ‘Ndrangheta ist – aber es wird in Deutschland bislang nicht vertiefend analysiert. Auch deswegen bin ich dafür, dass es eine zivilgesellschaftliche Beobachtungsstelle gibt, wo solche Phänomene erfasst werden zum Beispiel anhand von Presseberichten. Das würde unser Verein Mafianeindanke gerne leisten, aber bislang gibt es keine Finanzierung dafür.
Warum ist NRW offenbar so attraktiv für das organisierte Verbrechen?
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Es sind politisch und wirtschaftlich stabile Strukturen. Wenn Sie ihr Geld waschen, müssen Sie nicht die Sorge haben, dass es ruckzuck wieder weg ist. Es liegt auch an mangelnder Verfolgung: Wir haben in Italien die Beweislastumkehr (Anm. der Red.: Man muss im Zweifel nachweisen, woher das Geld für ein Haus oder teures Auto kommt), in Deutschland gibt es nur die Beweislasterleichterung, was in die richtige Richtung geht, aber längst nicht ausreicht. Die Organisation hat nicht zu befürchten, dass gezielt nach ihrem Kapital gesucht wird. Es hat aber auch kulturelle Gründe: Man erkennt die ‘Ndrangheta nicht als Gefahr, solange nicht rumgeballert wird. In der aktuellen Lage ist es so, dass wir Mafiosi geradezu einladen.
Es heißt, die Geldwäschegesetze seien zu lax in Deutschland?
Ich sehe, dass es Löcher gibt in der Geldwäschebekämpfung, etwa bei der Bargeldbezahlung. Wir haben auch einen Mangel an Organisationen, die überhaupt Finanzflüsse nachvollziehen. Das ist deutlich geworden im Wirecard-Skandal, wo die Bafin keine gute Rolle gespielt hat. Und auch als es darum ging, die Gelder von russischen Oligarchen zu finden, gab es im Grunde niemanden, der es tun kann in Deutschland. Aber wenn man will, kann man auch mit den bestehenden Gesetzen einiges erreichen.
Jährlich sollen in Deutschland rund 100 Milliarden Euro gewaschen werden, von verbrecherischen Organisationen ebenso wie von Diktatoren oder Geheimdiensten. Gibt es ein Interesse, dieses Geld anzulocken, das ja auch die Wirtschaft ankurbelt?
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Es wäre ein bisschen verschwörungstheoretisch, wenn ich Ja sagen würde. Allerdings wird andersherum ein Schuh daraus: Geldwäsche tut nicht weh in Deutschland. Sie äußert sich zwar in steigenden Immobilienpreisen und Mieten. Aber es werden Steuern gezahlt, und die mit diesen Geldern verbundenen Straftaten werden hier nicht sichtbar. Darum mag es sein, dass der Druck, mehr gegen Geldwäsche zu tun, nicht vorhanden ist.
Die Financial Intelligence Unit in Köln gilt seit sie 2017 dem Zoll zugesprochen wurde als Problemfall. Manche sprechen ihr derzeit die Handlungsfähigkeit ab.
Sie könnte eine Kernfunktion haben beim Erkennen von Geldwäsche in Deutschland. Sicher hätte man schon in der Vorbereitung vieles besser machen können, zum Beispiel was die Kompatibilität beim Datenaustausch mit anderen Behörden angeht. Aber man sollte nicht die FIU allein an den Pranger stellen. Was es in vielen Ländern viel stärker gibt, ist diese Jagdmentalität. Dass man Behördenmitarbeiter besser motiviert, dass man sie schult, es ist im Grunde ein gesamtgesellschaftlicher Wandel, der passieren müsste.