Duisburg/Düsseldorf. LKA-Fahnder kämpfen seit den Morden von Duisburg gegen die Mafia. Die Ermittlungen im verschwiegenen Milieu sind schwierig. Doch es gibt Hoffnung
Die italienische Mafia ist groß. 50 Milliarden Euro illegalen Umsatz jährlich erwirtschaftet alleine ihr mächtigster und gerissenster Zweig, die ‘Ndrangheta. So sagen es vage Schätzungen. Aber die Paten machen sich gerne klein und leben unauffällig. In Curto statt in Rom. In Warendorf lieber als Frankfurt oder Berlin. Curto im Südostens des Stiefels hat 10.000 Einwohner, im münsterländischen Warendorf sind es knapp 40.000 Menschen. Nicolino Grande Aracri (61) hat an beiden Orten gewohnt. Jetzt steht sein Bett im Opern-Gefängnis von Mailand.
Seit fast zwei Monaten gehen dort auch Ermittler ein und aus. Nicolino Grande Aracri bricht die Omerta, das Schweigegelübde. Er packt aus, wie italienische Medien berichten. Der hochrangige ‘Ndrangheta-Boss aus dem kalabrischen Bezirk Crotone sitzt seit 2013 in Haft. Drogenhandel. Geldwäsche. Erpressung. Das einschlägige Register. Doch seit März erzählt er den Fahndern der Polizei bereitwillig von seinen vielfältigen Operationen und zahlreichen Verbindungen. Überraschend viele davon in Norditalien wie in Brescello, der legendären Heimat von Don Camillo und Peppone. Manche aber auch im Ausland wie im nördlichen Nordrhein-Westfalen.
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Sein Clan, die Aracri, hat sich vor Jahrzehnten in Münster und Warendorf heimisch gemacht. „Der Professor“ oder „der mit den Gummihänden“, wie sie den inhaftierten Paten nennen, betrieb von hier aus einen Im- und Export von Lebensmitteln, wie legal oder illegal auch immer. Er ist gut Freund mit den Pelle, die 2007 in den Sechsfach-Mord im Da Bruno in Duisburg verwickelt waren. Er kennt die Szene der Mafia in der Region von Weser, Ruhr und Rhein vielleicht so gut wie kein zweiter.
Gelegenheit für deutsche Ermittler
Wohl noch nie hat ein derart hochrangiges Mitglied der ‘Ndrangheta beschlossen, auszupacken“. „Mafianeindanke“ sagt das, der Berliner Verein, der sich seit dem nächtlichen Massaker von Duisburg für eine stärkere Bekämpfung der Italienischen Organisierten Kriminalität (IOK) in Deutschland stark macht. Er sieht in den Mailänder Vernehmungen eine fast einmalige Chance und fordert die deutschen Behörden zum Mitlauschen auf, um mehr über die verborgenen Mafia-Strukturen zu erfahren: „Für die deutschen Strafverfolgungsbehörden ist die von Grande Aracri geäußerte Bereitschaft ein Glücksfall. Sie müssen die Gelegenheit nur nutzen.“
In Düsseldorf ist der Leitende Kriminaldirektor Thomas Jungbluth entschlossen, genau das zu tun. Der Abteilungschef beim nordrhein-westfälischen Landeskriminalamt (LKA) sagt uns: „Wir haben diese Meldung auch gelesen. Zu konkreten Namen möchte ich generell nichts sagen. Erstmal werden sich die italienischen Kollegen mit dem Kronzeugen unterhalten. Sollten sich Ansatzpunkte für Aktivitäten in NRW oder Hinweise auf NRW ergeben und wir die Chance erhalten, mit dem Zeugen zu sprechen, werden wir das tun.“ Man habe das in einem anderen Fall schon versucht. Das sei gescheitert. Aber: „Jeder Kronzeuge in Italien kann auch für uns eine interessante Person sein. Von daher werden wir zu gebotener Zeit versuchen, an ihn heranzukommen.“
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Mafia-Credo: Immer schön unauffällig bleiben
„Die Gefährlichkeit der italienischen Mafia erschließt sich nicht so schnell. Sie setzt auf eine Strategie der Unsichtbarkeit. Sie enthält sich weitgehend der Gewalt. Sie provoziert auch nicht. Das macht sie nicht weniger gefährlich.“ Sandro Mattioli hat das gesagt, der Vorsitzende von „Mafianeindanke“. Auch Jungbluth spricht von dieser „Unscheinbarkeit“ – das Gegenteil von dem, was der Kriminaldirektor von Rockern oder arabischen Clans kennt, mit denen er sonst zu tun hat. „In Italien beispielsweise leben selbst Mafia-Größen scheinbar in eher bescheidenen Verhältnissen. So können auch die Betreiber oder Angestellte kleinerer oder größerer Gaststätten oder Pizzerien Mitglieder von IOK-Gruppen sein. Wichtig ist, unauffällig zu bleiben.“
Das kann auch ein Problem für die deutschen Ermittler sein. Der Abteilungsleiter sieht die vorsichtig gehaltenen Daten, die ihm zu den Mafia-Recherchen im Bundesland vorliegen. Sie steigen, wie auch im Bund, seit Jahren an, ein kontinuierlicher Zuwachs, wie Jungbluth feststellt. Lebten und arbeiteten hier 2015 gerade 101 mutmaßliche Mafiosi, waren es 2018 schon 117. Personell zugelegt hat besonders die ‘Ndrangheta. Operierten 2015 in NRW 50 bekannte kalabrische Mafiaangehörige, taten das 2018 bereits 67. Die Dunkelziffer? Sie zu bestimmen „ist sehr schwierig“, sie könnte doppelt so hoch sein, sagt der LKA-Mann. Man weiß zudem wenig über die Belastbarkeit von Hinweisen aus Italien, dass die ‘Ndranghetisti in Deutschland eine „Crimine di Germania“ eingerichtet haben, ein hochrangiges Führungs- und Schlichtungsgremium. Das etwa – ausgerechnet – mit zentralem Sitz in Duisburg? „Das bleibt aktuell noch Spekulation“, sagen sie im Landeskriminalamt. „Dass in Duisburg 2007 eine Taufzeremonie stattgefunden haben soll, zeigt aber die Bedeutung dieser Stadt.“
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Was macht die ‘Ndrangheta in Nordrhein-Westfalen? Der Aufsehen erregende Duisburger Mord, da sind sich alle Experten einig, war ein Ausrutscher, eine Art Betriebsunfall. Solche Gewalt mögen die Mafiosi nicht. Es stört sie bei ihren Geschäften. Über deren aktuellen Umfang und Zielrichtung gibt eine neue Bundestags-Drucksache Auskunft: Es geht zuallererst um den Kokainhandel. Der Kokainverkauf explodiert derzeit geradezu. In der Antwort 19/27309 auf Fragen der Grünen teilt die Bundesregierung mit, dass „die ‘Ndrangheta nach Angaben der italienischen Behörden für bis zu 80 Prozent der Kokainimporte nach Europa verantwortlich“ sei. Die Ware kommt aus Südamerika. Die zentralen Einfallstore dafür sind die Häfen von Rotterdam und Antwerpen mit Sicherstellungen von zusammen 70 Tonnen dieser Droge 2018 und bereits 100 Tonnen nur ein Jahr später. Das ist das Zehnfache der in ganz Deutschland sichergestellten Menge.
NRW als Transitland
Doch NRW mit seinen Grenzen zu den Niederlanden und Belgien wird so zum Transitraum, zum Flur, durch den die Ware weitergeleitet wird.
Von den Benelux-Häfen aus werde die heiße Fracht in Schmuggelfahrzeugen portioniert im ein- bis dreistelligen Kilobereich „nach beziehungsweise in Deutschland verteilt“, heißt es im Regierungspapier. Antwerpen liegt 220 Kilometer von Köln entfernt, Rotterdam 200 Kilometer von Duisburg. Fahrzeit: Jeweils kaum mehr als zwei Stunden. Trickreich sind die Transporte schon auf den Schiffen versteckt. In Containern, die angeblich Bananen enthalten oder in den Bilgen tief unten im Rumpf, den Wassersammelräumen. Drogen werden manchmal „spin off“ von Bord gebracht, also zwischen harmloser Fracht verstaut, oder auch „drop off“ noch auf See durch Schnellboote. All das managt die ‘Ndrangheta. Albanische Gruppen könnten für den anschließenden Landweg eingespannt sein, glaubt man im Bundesinnenministerium. Für Jungbluth vom NRW-LKA ist das auch eine Ermittlungshypothese: „Eine Nähe zwischen Italienern und Albanern ist alleine durch die geografische Nachbarschaft gegeben.“
Mafia-Prozess in Düsseldorf
Ein blauer Container mit den Nummer RRSU2110970 war es im Dezember 2018, der die Drogenspürhunde der niederländischen Polizei im Hafen von Rotterdam zu einem der bisher größten Rauschgiftfunde lockte – der Start der Operationen „Pollino“ und „Guayana“. Zwischen Holz aus Guayana, für eine Firma in Düsseldorf verstaut, lagerte in Kartons und Reisetaschen hochreines Kokain. Nach Durchsuchung von bundesweit 64 weiteren Objekten, darunter das Duisburger Eiscafé im City Palais, und zahlreichen Verhaftungen sind heute vor dem Duisburger Landgericht 14 Männer der ‘Ndrangheta angeklagt. Verhandelt wird in der Landeshauptstadt. Die mutmaßlichen Drogenhändler kommen aus Duisburg, Mönchengladbach, Düsseldorf, Solingen, Wesseling und Neuss und der Hauptverdächtige aus dem Kölner Raum. Der Prozess gestaltet sich so umfangreich, dass ein Urteil kaum vor dem Jahresende 2021 fallen wird.
Für Jungbluth ist das aufwändige Verfahren nicht nur wegen der 680 Kilo des sichergestellten Kokains und der Zahl der Angeklagten erfolgreich. Er lobt vor allem, dass erstmals wegen „der Zugehörigkeit zu einer internationalen kriminellen Vereinigung“ angeklagt wurde. Paragraph 129 b Strafgesetzbuch. „Das hat es vor einigen Jahren noch nicht gegeben. Das finde ich bemerkenswert.“ Es ist der Schlüssel, der Mafia als Struktur näher auf die Pelle rücken zu können. Darüber hinaus setzen die Düsseldorfer Ermittler für die Zukunft auf eine engere Zusammenarbeit mit den italienischen Kollegen, „wir wollen gemeinsame Ermittlungsteams mit den Italienern bilden“, und auf einen Kollegen mit sehr guten italienischen Sprachkenntnissen im eigenen Team. „Aber wir brauchen einen langen Atem.“ Vielleicht helfen auch Aussagen weiter, die „der Professor“ Nicolino Grande Aracri aus Kalabrien im Mailänder Gefängnis macht.
Kampf mit der kolumbianischen Mafia
Dass es noch einmal gefährlicher werden kann, noch einmal fast so gewalttätig wie damals vor vierzehn Jahren nachts vor dem Duisburger Ristorante? Der „Mafianeindanke“-Vorsitzende Mattioli warnt vor einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen ‘Ndrangheta und kolumbianischen Banden, die auf den Europa-Markt drängen und sich etablieren wollen. In den Niederlanden sind sie schon aufgetaucht. Kriminaldirektor Thomas Jungbluth: „Auf den illegalen Märkten werden Konkurrenten ausgebootet. Es geht um Geschäftsinteressen. Mattiolis Warnung kann ich nachvollziehen. Belege dafür, dass es so kommen wird, haben wir zur Zeit nicht. Aber wir haben die Niederlande im Blick.“
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