Hattingen/Siegen/Düsseldorf. Bei einer internationalen Großaktion gegen die ‘Ndrangheta gab es auch in NRW Durchsuchungen und Festnahmen. Der ‘Krimi’ begann in Belgien.
Die italienische Mafia ist in Nordrhein-Westfalen nach Angaben von Innenminister Herbert Reul (CDU) schon seit Jahrzehnten aktiv. „Das ist jahrzehntelang gewachsen, eine kriminelle Struktur, nur cleverer als die Clans und im Geheimen“, sagte Reul am Donnerstag in einem Interview des Nachrichten-Podcast „The Pioneer“.
„Die nutzen normale Wege, die kaufen Häuser, die kaufen Autos, die haben Eisdielen. Sie erwecken den Eindruck, dass da ein Riesen-Umsatz ist, in Wirklichkeit wird da Geld gewaschen.“ Deshalb sei es auch kein Wunder, dass die Mafia wirtschaftlich starke Gebiete wie NRW als Rückzugsraum nutze.
Am Mittwoch hatten Ermittler bei einem europaweiten Einsatz gegen die kalabrische Mafia große Mengen Kokain und Bargeld beschlagnahmt und zahlreiche Verdächtige festgenommen. In Deutschland war NRW ein Schwerpunkt der Razzia.
Internationale Aktion der Polizei gegen ‘Ndrangheta: Weltweit gab es 132 Festnahmen
Oliver Huth drückt auf einen Knopf und in dem für den Drogenschmuggel umgebauten VW Touareg klappt der Kasten unter der schon entfernten Rücksitzbank auf, lautlos und ohne Rucken. Dort ist Platz für einen Zylinder mit 46 Kilo Kokain, mehrfach vakuumverpackt überdies. Oliver Huth nimmt den Namen seiner Ermittlungskommission ernst: EK Eureka – das kann man frei übersetzen mit „Ich habe es gesehen.“ Die Ermittler wollen nach der Mammutrazzia am Mittwoch in zehn Ländern mit 132 Festnahmen weltweit und 18 in NRW zeigen, was im Verborgenen bleibt: die Autotüfteleien der Mafia ebenso wie ihr Firmengeflecht, ihre Schlägertrupps, das was hinter der Fassade aus Eisdielen und Angler-Paradiesen stattfindet. Eureka – den Namen haben sie sich von Kollegen in Belgien geliehen.
Lesen Sie hier, was bei der Razzia geschah
Denn hier, in Gent, spielt die erste Szene dieses Krimis, den Huth und Staatsanwalt Julius Sterzel für die ZeOS NRW (Zentral- und Ansprechstelle für die Verfolgung Organisierter Straftaten) so erzählen: Die belgischen Ermittler haben zwei Verdächtige identifiziert, die kolumbianisches Kokain tonnenweise umschlagen. Auftritt italienischer Geschäftsmann. Er bringt Geld aus San Luca, der Heimat der ‘Ndrangheta-Familien, mit dem die Reisen des Kokains quer über den europäischen Kontinent finanziert werden soll. Schnitt.
Derselbe Italiener muss kurz vor Weihnachten 2019 bei einer Autopanne helfen. Zwei Damen mit Wuppertaler Kennzeichen sind mit einem der umgebauten Wagen, die wir schon kennengelernt haben, liegengeblieben, in Lamezia Terme, schon in Kalabrien, kurz vor ihrem Ziel. Die Belgier haben längst die italienischen Kollegen informiert, und diese hören mit, als der Mann den beiden Kurierinnen aus seinem Leben erzählt. Nebenbei erwähnt er, dass er eine Eisdiele in Siegen besitzt. Er lässt den Wagen abschleppen, besorgt den Damen Rückflüge – aber auch die beiden werden von nun an observiert, in ihren Wohnungen, wenn sie Aufträge an ihren Kryptohandys entgegennehmen.
Ein weißer BMW mit drei Albanern
Auch interessant
Wir haben von nun an zwei Handlungsstränge, denn es wird klar: Sie werden „besteuert“ von einem 62-Jährigen aus dem Raum Hattingen, sie gehören zu seinem Netzwerk aus professionellen Kurieren, die mal für die ‚Ndrangheta, dann für die Albaner schmuggeln. Mindestens 1250 Euro verdienen sie pro Fahrt. Aber je nach Menge gibt es üppige Boni. So professionell läuft das Geschäft, dass jeder Wagen vor jeder Fahrt auf Wanzen und GPS-Sender untersucht wird. Trotzdem verfolgt die EK Eureka 58 Schmuggelfahrten in wechselnder Besetzung, bei denen ein gutes Dutzend Kuriere mindestens 900 Kilo Kokain von den Häfen Rotterdam und Antwerpen nach Italien bringen.
Der Hattinger selbst, das wird im Laufe der Ermittlungen klar, hat selbst eine Karriere als Kurier hinter sich. In den Jahren 2008 und 2009 soll er selbst mindestens eine Tonne Kokain nach Italien geschmuggelt haben. 2012 fiel an einer Grenze ein weißer BMW auf, der ihm gehörte, darin saßen drei Albaner. Er soll ein Angelparadies in Ennepetal „als bargeldintensives Geschäft“ zur Geldwäsche aufgebaut haben, erklärt Huth. Ebenso ein Inkassounternehmen, das als Kulisse für eine Schlägertruppe diente, die Mafia-Gelder eintreiben und Mitwisser zum Schweigen bringen sollte. Tatsächlich hat bislang keiner der festgenommenen Kuriere, darunter die beiden Damen, ausgesagt. Es gebe Hinweise auf Einschüchterung, sagt Huth. Für seine kriminellen Dienstleistungen warb der Mann demnach mit dem Spruch: „Nicht anfassen, nur gucken.“
>>Lesen Sie auch: Razzia: Polizei geht mit Großeinsatz gegen Mafia vor
In Siegen wiederum verlief der Alltag der beiden Brüder, die auf Geheiß unseres italienischen Bekannten das Eiscafé führten, erstaunlich normal zwischen Eiskugeln, Waffeln und Espressi. Wie nebenbei stellten die Brüder Kuriere und Strohleute mit italienischer Staatsbürgerschaft an, ließen Luxusfahrzeuge in Siegen zu, die später in San Luca gesichtet wurden, und zahlten einen Teil der Einnahmen aus dem Eisverkauf auf bislang nicht bekanntem Weg an die im Hintergrund agierenden Mitglieder der ‘Ndrangheta, die „Investoren“. Einer ist unser Bekannter aus Gent, laut Ermittlern ein „führender verantwortlicher im internationalen Kokainhandel“, der mindestens 400.000 seiner Erlöse hier investiert haben soll.
Nicht zuletzt aber diente der „Logistikstützpunkt auch als Rückzugsort für Mafiosi auf der Flucht und als Ausbildungsstätte für den kriminellen Nachwuchs aus San Luca, zum Teil noch Minderjährige. Was können sie hier gelernt haben? „Internationale Erfahrung ist wichtig für die ‚Ndrangheta“, sagt Oliver Huth. Ein Verdächtiger sagte ihm mal: „Wir können nicht nur kalabrisch sprechen. Wir müssen englisch, deutsch, französisch, spanisch beherrschen, die Sprachen der Welt, damit wir für die ‘Ndrangheta eingesetzt werden können.“
Das Geschäft vermiesen
Die Geschäftsführer der Eisdielen in Siegen und Bedburg jedenfalls dürften nicht mehr einsetzbar sein, denn die Behörden verfolgten den gleichen Ansatz wie beim Kampf gegen Rocker. Die lokalen Behörden suchten und fanden und schlossen die Cafés. Den Betreibern wurde die Gewerbe- und Gaststättenerlaubnis entzogen; sie dürfen die nächsten 80 Jahre lang kein Alkohol mehr ausschenken.
Lesen Sie auch: Die Vendetta von Duisburg: Sechs Leichen vor „Da Bruno“
Die Strafen die die mehr als 50 Verdächtigen im Fall einer Verurteilung erwarten, wiegen natürlich schwerer: Rauschgifthandel: bis zu zehn Jahre. Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung: bis zu fünf Jahre. Neben rund 800.000 Euro haben die Behörden auch Grundstücke und Fahrzeuge beschlagnahmt, darunter einen Kettenbagger und einen Foodtruck für 300.000 Euro.
Um diese Ergebnisse zu erzielen, gingen die Behörden bilaterale Verträge miteinander ein, die es ihnen ermöglichten, Beweise und Informationen direkt auszutauschen. Ein „Joint Investigation Team“, vergleichbar mit einem „Joint Venture“, wie Julius Sterzel erklärt. Die „vertrauensvolle internationale Zusammenarbeit“, die am Mittwoch so oft beschworen wird, scheint ein Schlüssel zu sein, im Kampf gegen die Mafia. Man solle sich nicht vertun, sagt sagt Ingo Wünsch, Leiter des Landeskriminalamtes. „Es geht weiter eine Bedrohung von dieser einflussreichen und gefährlichen Organisation aus.“