Essen. . Nach dem PIP-Skandal klagen die ersten deutschen Frauen gegen ihre Ärzte, gegen die Kliniken, die Firma Brenntag und den TÜV Rheinland. Cornelia Freitag ist eine von ihnen.
Sie heißt Inge H., ist 40 Jahre alt und die erste Frau, die vor Gericht geht, weil ihr die gefährlichen Brustimplantate der französischen Firma PIP eingesetzt worden sind. 80- bis 100 000 Euro fordert sie als Schmerzensgeld und als Ausgleich für das, was ihr noch bevorsteht: eine weitere Operation, bei der die Silikon-Kissen entfernt werden, und die ewige Sorge, bleibende Schäden davonzutragen. „Ihr Fall ist eklatant, weil der Arzt ihr vor der Operation gesagt hatte, die Implantate könnten gar nicht reißen“, sagt Michael Graf, ihr Münchener Anwalt.
Die Karlsruherin Inge H. ist jedoch nur eine von 20 Frauen, die der Patientenanwalt Graf vertritt. Während ihre Klage in diesen Tagen in Karlsruhe eingereicht wird, ist eine weitere vor dem Landgericht Essen in Vorbereitung. In diesem Fall geht es um eine Frau aus dem Ruhrgebiet, die 2002 nach einer Krebserkrankung im Marienhospital Marl die minderwertigen Implantate eingesetzt bekam.
In einem dritten Fall der Kanzlei geht es um Cornelia Freitag, die im St.-Josefs-Krankenhaus in Essen-Kupferdreh operiert wurde. Cornelia Freitag hatte 1997 eine Schwangerschaftsvergiftung und einem Notkaiserschnitt. 2003 habe sie die Implantate erhalten. Während der Schwangerschaft hatte sie 30 Kilo Wasser eingelagert, ihre Haut war dadurch in Bauch- und Brustbereich so geschädigt worden, dass sie sich zuerst für eine Bruststraffung, später für Implantate entschied. Dass es sich bei diesen Gel-Kissen um die durchaus gefährlichen der mit PIP-Implantaten handelnden Firma Rofil handelte, habe sie erst vor sechs Tagen erfahren.
Zwei Jahre zu spät informiert
Exakt am 14. Januar also habe das St.-Josefs-Krankenhaus sie per Brief informiert und ihr zu einer Nachuntersuchung geraten. Januar 2012, das ist beinahe zwei Jahre nachdem die Implantate in Deutschland vom Markt genommen wurden, nachdem das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vor ihnen warnte.
„In ihrem Fall werden wir nicht klagen, weil sie nicht rechtsschutzversichert ist, sondern uns um eine außergerichtliche Klärung bemühen. Das Schreiben an das Essener Krankenhaus geht in diesen Tagen raus“, erklärt Christian Zierhut aus der Münchener Kanzlei Patientenanwalt AG.
Graf und Zierhut richten die Haftungsklagen ihrer Mandantinnen gleichermaßen gegen die behandelnden Ärzte, die Kliniken, gegen den Mülheimer Chemikalienhändler Brenntag, der PIP das Industrie-Silikon lieferte und gegen den TÜV Rheinland, der die Implantate prüfte. „Wir sehen für unsere Klagen gute Erfolgschancen, besonders gegen die Ärzte und Brenntag“, erklärt Michael Graf.
Den Ärzten werfen die Anwälte vor, in fast allen Fällen die Frauen unzureichend über Risiken informiert zu haben. Zumeist hätten sie „verharmlost“ und zu wenig darüber aufgeklärt, dass die Implantate auch reißen könnten. Nicht zuletzt hätten viele Operateure die Billigimplantate als Luxusprodukte ausgegeben und die Patientinnen viel zu spät über die Warnung des BfArM in Kenntnis gesetzt.
Vorwürfe gegen Brenntag
„Bei Brenntag handelt es sich um ein Milliarden-Unternehmen, das Industrie-Silikon an einen Medizinprodukte-Hersteller lieferte. Wir meinen, die Firma hätte wissen müssen, dass die Silikone zweckentfremdet wurden“, sagt Graf.
Die Vorwürfe an den TÜV Rheinland bezeichnet der Münchener Anwalt als eher schwächer. Der TÜV hatte selbst bereits vor längerer Zeit gegen den Hersteller PIP geklagt, weil er sich von ihm getäuscht fühlt. Die Kanzlei prüfe jedoch, ob der TÜV nicht doch mithafte, da er „die Sorgfaltspflicht gehabt haben könnte, direkt in dem Betrieb Stichproben durchzuführen“, so Graf.
Auf die Vorwürfe angesprochen, berief sich das St.-Josef-Krankenhaus Essen-Kupferdreh gestern auf die ärztliche Schweigepflicht und darauf, dass „eine Produkthaftung (für vom TÜV getestete Produkte, wie im Schreiben betont wird) seitens des Krankenhauses nicht möglich ist“.