Essen. . Tausende Frauen in Deutschland haben gefährliche Brustimplantate im Körper. Sie gelten als krebserrgend und sollen schnell reißen. Ulla Meier ist eine der betroffenen Frauen.

Ulla Meier erfuhr es ausgerechnet am Tag vor Heiligabend. Ihr Mann hatte von den gefährlichen Brustimplantaten im Radio gehört und brachte die schlechte Nachricht mit nach Hause. „Guck bitte sofort in Deinen Implantat-Ausweis ...“, bat er sie, und da lasen sie das Unabänderliche: PIP, Chargen-Nummer IMGHC-TX. Seitdem lebt Ulla Meier mit dem Gefühl, in sich eine tickende Zeitbombe zu tragen. „Die Dinger sollen raus!“ sagt sie und: „Die Kosten müssen von der Krankenkasse übernommen werden.“

Ulla Meier ist eine von vermutlich Tausenden Frauen in Deutschland, die in den vergangenen zehn Jahren Brustimplantate der französischen Firma PIP eingesetzt bekommen haben. Brustimplantate, die sich lange schon als gefährlich erwiesen haben. Statt mit medizinischem Kunststoff füllte die französische Firma Poly Implant Prothese (PIP) sie mit industrieller Dichtungsmasse wie sie auch in Badezimmern oder für Matratzen verwendet wird. In Frankreich wurden, wie berichtet, acht Fälle von Krebserkrankungen bei Frauen bekannt, deren Einlagen rissen und bei denen sich das Gel im Körper verbreitete. Ohnehin sollen PIP-Implantate schneller reißen und dadurch Entzündungen auslösen.

Behörden empfehlen Herausnahme

Die französischen Behörden empfehlen den 30.000 betroffenen Frauen, die Implantate herausnehmen zu lassen. Die Kosten werden von den Krankenkassen übernommen. 2000 Frauen haben sich dort entschlossen, gegen PIP zu klagen. Es besteht der Verdacht, dass die inzwischen in Konkurs gegangene Firma mit minderwertigem Material bei der Herstellung sparen wollte.

In Deutschland warnt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ebenfalls seit 2010 vor diesen Implantaten, die damals vom Markt genommen wurden. Das Institut riet den Ärzten, die betroffenen Patientinnen zu informieren. „Die Gesundheitsministerien der Länder sind von uns umgehend unterrichtet worden“, erklärt Maik Pommer vom Bundesamt.

Die Patientinnen, die sich in der Essener Uniklinik operieren lassen hatten, erfuhren jedoch erst ein Jahr später von ihren Risiken. Und das, obwohl ihnen seitdem zu einer halbjährlichen Kontrolle der Implantate geraten wird. Auch die Bochumerin Renate Behrens* erhielt im April 2011 das Schreiben der Uniklinik. 1987 hatte sie sich wegen eines Krebsverdachts an beiden Brüsten operieren und sofort Implantate einsetzen lassen.

Patientinnen wollen Sammelklage

„Ich hatte damals ein zweijähriges Kind, wollte es hinter mich bringen“, sagt sie. 2004 jedoch war das erste Implantat porös, wurde durch ein neues der niederländischen Firma Rofil ersetzt, die ihre Produkte von PIP bezog. Bislang, das ergaben die Kontrollen, sind Behrens’ Implantate intakt. Dennoch ist die 54-Jährige, wie sie sagt, „stinkwütend“. „Mir steht es zu, dass die Implantate sofort entfernt werden“, sagt sie. Sie würde sich am liebsten einer Sammelklage anschließen.

Warum die Klinik nach eigenen Angaben 506 Patientinnen erst mit einem Jahr Verzögerung auf die Gefahren hinwies und zu Kontrolluntersuchungen einlud, ist ungeklärt. Professor Rainer Kimmig, der Direktor der Klinik für Frauenheilkunde an der Uniklinik Essen, erklärte gestern dieser Zeitung, es sei ihm peinlich, er recherchiere das noch. Doch: „Ich behaupte, das wäre nicht durchgegangen, wenn bei uns eine Warnung vor den Implantaten angekommen wäre.“

Schwerste kriminelle Energie

Der Sprecher der Bezirksregierung Düsseldorf, Bernd Hamacher, erklärt dazu: „Wir haben sämtliche Kliniken informiert, bis auf jene, die bereits vom Vertreiber, der Rofil GmbH Düsseldorf, angeschrieben worden waren. Das Schreiben an die Uniklinik ist am ersten April 2010 von Rofil an die Uniklinik Essen verschickt worden.“

Wie viele Frauen in Deutschland PIP-Implantate eingesetzt bekommen haben, nach Krebserkrankungen oder bei Schönheitsoperationen, ist unklar. „Es gibt kein Zentralregister. Dieser in der Medizingeschichte wohl einmalige Fall zeigt jedoch, dass es dringend nötig ist“, sagt Kerstin van Ark von der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgie. „Mit solchen Auswüchsen schwerster krimineller Energie hat wohl niemand gerechnet.“

Schon das dritte Brustimplantat

Ulla Meier, die Frau, die bis heute nicht von der Uniklinik benachrichtigt wurde, bemüht sich nun intensiv um Termine bei ihrem Frauenarzt, im Klinikum selbst. „Weihnachten“, sagt ihr Ehemann, „das war für uns gelaufen.“ Meier hat ohnehin eine „lange Leidensgeschichte“ hinter sich.

1997 wurde sie wegen schmerzhafter Zysten und Krebsverdachts operiert. Das erste Implantat, ein mit Soja gefülltes, wurde vom Hersteller zurückgerufen. Das zweite verrutschte, war so schmerzhaft, dass es entfernt werden musste. Im Januar 2010 erhielt sie die Gelkissen von PIP. Drei Monate später sollten die als gefährlich verboten werden.
* Name von der Red. geändert