Dorsten. Ein Vater aus Dorsten ist empört: Mit zwei Jahren auf Bewährung kam der Nachbar davon, der seine siebenjährige Tochter missbrauchte. Viel zu wenig, meint der Vater. Und will eine Demo organisieren. Auch die Deutsche Kinderhilfe beklagt: Räuber werden härter bestraft als Kinderschänder.
Es ist vor allem der Gedanke daran, dass der Täter weiter frei umherläuft. Dieser Gedanke ist für Sascha H. fast unerträglich. Zwei Jahre auf Bewährung hat der Mann bekommen, der seine siebenjährige Tochter sexuell missbrauchte. „Nach der Verhandlung wäre ich ihm am liebsten an den Hals gegangen. Aber ich habe an meine Familie gedacht“, sagt der Vater aus Dorsten. Er selbst kann das Urteil nicht anfechten. Doch seine Wut fand einen anderen Weg: Am 27. Juni will H. eine Demonstration organisieren. Eine Demo gegen alle Kinderschänder in Dorsten soll es werden. Ein Protestzug quer durch die Innenstadt, vorbei am Haus, in dem der Täter jetzt wohnt. Der Antrag liegt schon bei der Kreispolizei in Recklinghausen. „Irgendeiner muss sich doch wehren“, sagt H.
Sexueller Missbrauch von Kindern müsse härter bestraft werden, fordert auch die Deutsche Kinderhilfe. „Unser Rechtssystem ist in eine Schieflage geraten“, sagt Kinderhilfe-Vorsitzender Georg Ehrmann. „In Deutschland bekommt ein Tankstellenräuber eine härtere Strafe als ein Kinderschänder.“ Der Grund: Raub, Steuerhinterziehung oder sexuelle Gewalt gegen Frauen gelten grundsätzlich als Verbrechen. Die meisten Fälle von Kindesmissbrauch würden dagegen nur als Vergehen eingestuft. Die Mindeststrafe für Kinderschänder beträgt demnach sechs Monate. Das Verfahren kann zudem eingestellt werden. Für Verbrechen liegt die Mindeststrafe dagegen bei einem Jahr. „Kinder werden zu Opfern zweiter Klasse degradiert“, sagt Ehrmann.
Mit Hundewelpen in die Wohnung gelockt
Dass Kindesmissbrauch von Juristen oftmals unterbewertet wird, stellte im vergangenen Jahr, mitten im Wahlkampf, auch Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) fest. Kurz darauf entdeckte Sachsen-Anhalts Justizministerin Angela Kolb (SPD) das Thema für sich. Beide plädierten dafür, Kindesmissbrauch endlich grundsätzlich zum Verbrechen zu erklären. Merk kündigte eine Bundesratsinitiative zur Gesetzesverschärfung an. „Bis jetzt haben wir davon nichts mehr gehört“, klagt Ehrmann. Kein Wunder: Die Antrag wurde zwar auf den Weg gebracht, liegt aber derzeit im Rechtsausschuss des Bundesrates auf Eis. In dieser Legislaturperiode passiert wohl nichts mehr, sagt der Sprecher der bayerischen Ministerin.
Für den Dorstener Fall kommt die Initiative ohnehin zu spät. Der Täter hatte das Mädchen aus der Nachbarschaft im Januar diesen Jahres in seine Wohnung gelockt. Er wolle ihr Hundewelpen zeigen, versprach er dem Kind. Stattdessen missbrauchte er die Siebenjährige. Dabei wurde er von seinem Stiefsohn überrascht. Zur Tatzeit soll der Mann rund zwei Promille Alkohol im Blut gehabt haben.
Vor Gericht war der 49-Jährige geständig. Damit ersparte er seinem sprach- und lernbehinderten Opfer die Aussage und bescherte sich selbst eine geringere Strafe. Ein Deal, von dem Opfer und Täter scheinbar gleichermaßen profitierten. Georg Ehrmann spricht jedoch von einer Unsitte, die in solchen Prozessen immer häufiger zu beobachten sei. „Die Straftäter kommen bei einem Geständnis mit einem milderen Urteil davon, weil das Kind nicht mehr aussagen muss“, sagt Ehrmann. Das Problem sei aber, dass die Opfer im Vorfeld oft nicht fachgerecht vernommen würden. Die Folge: Die Aussagen könnten vor Gericht nicht verwendet werden. „Bei fachgerechter Vernehmung müsste das Kind ohnehin nicht mehr vor Gericht aussagen. Absprachen mit dem Täter wären dann nicht nötig“, sagt Ehrmann.
Staatsanwältin will Urteil anfechten
Entscheidend für ein milderes Urteil war für das Landgericht Essen im Dorstener Fall auch, dass der Täter sich nicht mehr im sozialen Umfeld der betroffenen Familie befinde. Der Mann wohnte zur Tatzeit im selben Haus. „Doch auch jetzt lebt er nur zwei Kilometer Luftlinie von uns entfernt“, klagt H. Sein Nachbar war nicht vorbestraft und ist laut Gutachten nicht pädophil. „Eine schwere Tat, aber nicht der schwerste denkbare Fall“, urteilte die Richterin.
Doch auch die zuständige Staatsanwältin Yvonne Rothe ist offenbar anderer Meinung. Die Staatsanwaltschaft Essen hatte vier Jahre Haft für die Tat beantragt. Rothe plädiert dafür, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. Bis Freitag wolle man darüber entscheiden, teilte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft mit.