Hagen/Duisburg. Hundert Jahre hat sich keine Wildkatze sehen lassen. Nun beschnuppert sie das Ruhrgebiet – eine Erfolgsgeschichte des Umweltschutzes.
Die Europäische Wildkatze beschnuppert das Revier. Ein Kater hat sich nach rund hundert Jahren wieder hergetraut. Vier Jahre lang trieb er sich in den Wäldern von Hagen und in Breckerfeld herum, bis er Ende 2022 verschwand. „Vielleicht ist er gestorben oder auf der Suche nach einem Weibchen abgewandert“, sagt Britta Kunz, Leiterin der Biologischen Station im Ennepe-Ruhr-Kreis. Sie geht aber davon aus, dass andere Wildkatzen kommen werden, um zu bleiben.
In NRW hat nur eine kleine Population in der Eifel die Verfolgung und die Forstwirtschaft überlebt. Von hier aus hat sie sich ausgebreitet ins Sieger- und Sauerland. Vom Märkischen Kreis dringt sie nun nach Norden ins Ruhrgebiet vor. Sogar im Aachener Wald ist sie vor kurzem wieder heimisch geworden. Die städtischen Wälder im Kernruhrgebiet sind jedoch zu klein und werden zu eng genutzt, sagen alle Experten. An den Rändern des Reviers aber dürfte die Wildkatze inzwischen gute Chancen haben.
Unser Themenpaket zur „Wiederauferstehung der Natur“
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Die Kätzchen im Wald lassen
Wie der Luchs lebt sie im Wald und ist nicht so leicht von Hauskatzen zu unterscheiden, erklärt Christine Thiel-Bender, Artenschutzreferentin des BUND NRW. Immer wieder komme es vor, dass Wanderer eine junge Katze im Wald finden und ins Tierheim bringen. Selbst beim Tierarzt werde dann oft nicht erkannt, dass es sich um eine Wildkatze handelt. Erst wenn die Katze wächst und ihr Verhalten Probleme bereitet, fällt der Fehler auf, dann ist es für die Katze meist zu spät.
Etwa hundertmal im Jahr komme es zu solchen Verwechslungen, sagt Thiel-Bender, bei einer bundesweiten Population von bis zu 8000 Tieren. „Die meisten Menschen, die Katzen aussetzen, bringen sie nicht in den Wald. Man sollte immer davon ausgehen, dass es sich dort um eine Wildkatze handelt“, sagt Thiel-Bender. Weiteres Merkmal: „Ihr Schwanz ist sehr bauschig, mit schwarzen Ringen.“
Im Zoo Duisburg kann man sich Wildkatzen anschauen. In Kooperation mit dem BUND klärt er auf über ihre Lebensweise und war Ende der Neunziger beteiligt an einer großen Auswilderungsaktion. Über 550 Zuchttiere aus ganz Europa wurden damals an die Natur gewöhnt und in den bayerischen Wäldern freigelassen, die meisten im Spessart. Die Aktion habe dazu beigetragen, dass die Wildkatze wieder in Freiheit vorkomme, so der BUND in Bayern.
Mike Kirschner war damals dabei und ist als Revierleiter weiterhin für die Wildkatzen im Zoo Duisburg verantwortlich. Auch er weiß: „Der entscheidende Punkt ist: Sie brauchen alte und große Wälder mit viel Wurzelwerk, wo Totholz liegen bleibt. Unsere bewirtschafteten Forste sind zu aufgeräumt, dort gibt es zu viel Unruhe.“
Weg von der Monokultur
Eine Voraussetzung für die Erholung der Bestände war ein Umdenken in der Forstwirtschaft. Langsam werden die Wälder wieder wohnlicher für die Wildkatze – und damit für viele weitere Arten. Diese Arbeit ist weiterhin die Bedingung für das Comeback der Wildkatze: Der BUND zum Beispiel schaut, wie man einzeln liegende Waldstücke verbinden kann und spricht Landbesitzer an, um sie dazu zu bewegen, „Korridore“ zu pflanzen in Form von Waldstreifen oder Hecken. Die Fichten-Monokulturen sind auf dem Rückzug, nicht nur, weil die Klimaerwärmung und der Borkenkäfer dem Baum zusetzt, sondern auch weil Waldbesitzer umdenken.
In den letzten 50 Jahren sind 75 „Naturwaldzellen“ im Land entstanden, hinzu kommen mehr als hundert Wildnisentwicklungsgebiete. Der Wald wird hier nicht mehr bewirtschaftet, Bäume dürfen altern und totes Holz bleibt liegen. Viele Insekten und Vögel brauchen solche verrottenden Stämme als Unterschlupf und Lebensraum. Das hilft auch Mäusen und anderen Kleintieren – von denen sich wiederum die Wildkatze ernährt. Sie versteckt auch ihren Nachwuchs im alten Holz.
Mehr Totholz heißt mehr Leben
Insgesamt wird auf etwa 14.000 Hektar in NRW kein Holz mehr geschlagen, das sind mehr als zehn Prozent des landeseigenen Waldes. Auch im restlichen Forst will der Landesbetrieb „Wald & Holz“ künftig gezielt „Biotop-Bäume“ verrotten lassen – er nennt das: Projekt „Xylobius“. Allerdings ist etwa mehr als die Hälfte des Waldes in NRW in Privatbesitz. Das Konzept wird zum Beispiel in der Wildnisstudie des Nabu als zu kleinteilig kritisiert, denn die einzelnen Flächen seien, abgesehen vom Kern des Nationalparks Eifel, so klein, dass viele Arten sich weiterhin gestört fühlen und sich „eine natürliche Dynamik so nicht entwickeln kann“.
Der Klimawandel könnte der Wildkatze sogar helfen. „Sie kann womöglich auch im Herbst Jungtiere bekommen und durch den milderen Winter bringen“, sagt Thiel-Bender. Allerdings könnte das Insektensterben dazu führen, dass es auch weniger Mäuse und somit weniger Nahrung gebe. Die Teilung der Wälder bleibt das wohl größte Problem: „Jede zehnte Wildkatze stirbt auf der Straße“, sagt Thiel-Bender. Wenn sie sich etwas wünschen könnte, dann: Dass auch private Waldbesitzer größere Anstrengungen unternehmen, Biodiversität zu fördern.