Ruhrgebiet. Umweltgifte und Klimawandel setzen vielen Tieren zu. Doch die Natur zeigt ihre Fähigkeit zur Anpassung. Einige Arten erholen sich.

Seeadler fliegen über dem Rhein. Die Wildkatze inspiziert die Wälder der Metropole. Und Wildlachse im Baldeneysee sollen ab 2030 keine verrückte Vision mehr sein. Einige Tierarten, die im Ruhrgebiet und weit darüber hinaus ausgerottet waren, feiern nun ihr Comeback. Der Erfolg einzelner Arten soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Gesamtbild nicht gut aussieht. Das Landesumweltministerium gebraucht das Wort „Biodiversitätskrise“. Rund 45 Prozent aller berücksichtigten Tier- und Pflanzenarten in NRW stehen auf der Roten Liste, sind also in unterschiedlichem Maße gefährdet oder bereits verschollen.

Unser Themenpaket zur „Wiederauferstehung der Natur“

Diese Quote der gefährdeten Arten ist in den Zehner-Jahren zwar leicht zurückgegangen, allerdings ist zugleich der Anteil der ausgestorbenen Arten gestiegen. Fast jede zehnte Art ist verschwunden. Für die letzten 13 Jahre ist ein einfacher Vergleich nicht möglich, da die einzelnen Roten Listen aus diesem Zeitraum noch nicht zusammengefasst wurden. Für die Vögel liegen allerdings Daten von 2021 vor, zudem werden ausgewählte Arten vom Landesumweltamt ständig beobachtet. Die Bilanz der Roten Liste Brutvögel fällt „überwiegend negativ aus, da bei vielen Arten keine Trendumkehr erreicht wurde“. Das Dokument zeigt allerdings auch gegenläufige Trends.

Wald gut, Kulturland schlecht

Vögel, die an Feldern, in der Heide oder anderen offenen Landschaften leben, haben gelitten. Dazu zählen Turteltaube, Kiebitz und der Steinschmätzer, der durch sein Vorkommen am Flughafen Essen-Mülheim dereinst ein Konzert von Ed Sheeran verhindert hatte. Im Wald und in den Städten zeigt sich ein gemischtes Bild mit Siegern und Verlierern. An den Flüssen und Seen entwickeln sich die Bestände sogar ordentlich.

Das spiegelt das Bild, welches der „Biodiversitätsindikator“ des Landesumweltamtes (Lanuv) zeigt. Er beruht auf den Bestandsdaten von 61 Brutvogelarten, die jedes Jahr aktualisiert werden. Die Vögel gelten als Indikator für die Qualität eines Lebensraumes für alle Arten. Seit Mitte der Zehner-Jahre schlussfolgert das Lanuv daraus einen insgesamt leicht positiven Trend.

Das große Insektensterben

„Der Natur geht es zunehmend schlechter“, sagt allerdings Holger Sticht, Landesvorsitzender des Naturschutzvereins BUND. „Vermeintliche Allerweltsarten wie die Feldlerche und der Feldsperling haben in NRW ihrer Lebensräume geräumt. Der Haussperling steht auf der Vorwarnliste. Früher hat man gesagt: Der Star wird uns alle überdauern. Nun ist er bundesweit gefährdet. Diese Rückgänge sind in den allermeisten Fällen auf das Insektensterben zurückzuführen.“ Es gebe dramatisch weniger Biomasse, von welcher der Fortpflanzungserfolg der Vögel abhänge.

Das Insektensterben der letzten Jahre macht viele Erfolge des Umweltschutzes zunichte. Die Gründe sind noch nicht vollständig belegt. Im Verdacht stehen Pestizide aus der Landwirtschaft und Chemikalien wie Perfluorierte Chemikalien (PFC), die zum Beispiel in Textilien, Verpackungen und in Löschschäumen stecken. „Pestizide werden in hohem Maße verdriftet und belasten Wasser und Boden“, erklärt Sticht. „Sie sind allgegenwärtig.“ Auch Stickstoffe gelangen über Verbrennungsprozesse in die Atmosphäre und regnen dann nieder. „Auf 40 Prozent aller Flächen werden die Grenzwerte überschritten“, sagt Sticht. „Für Lebensräume wie den Sandtrockenrasen ist das schädlich, denn er wächst schneller zu. Die Arten, die hier leben, finden keine geeigneten Bedingungen mehr vor.“

Biber in der Emscher

Noch in den 80er-Jahren war die Emscher der dreckigste Fluss Europas. Nun leben hier wieder Biber. Wenige Tage vor Ostern konnte die Emschergenossenschaft bekanntgeben, dass das anspruchsvolle Tier ausgerechnet an die Emscher zurückgekehrt ist. (Wohin genau, wird noch nicht verraten, damit Biber-Touristen die Tiere nicht stören.) An der Ruhr in Mülheim gibt es bereits eine kleine Kolonie. Der Fund zeigt: Die Renaturierung der Emscher und ihrer Bäche bringt die Natur zurück auch in die Mitte des Ballungsraums.

Waren an der Emscher 1990 nur 170 Arten heimisch, wurden jüngst an der Mündung 820 Arten gezählt: darunter der Eisvogel, die Gebirgsstelze und die Blauflügelige Prachtlibelle, eine „Flaggschiffart“: Wo es ihr gefällt, da fühlen sich auch mittlerweile fast hundert Schmetterlingsarten wohl. Von der Emscher-Groppe ist bekannt, dass dieses Fischchen in einem sauberen Stück der Boye die Industrialisierung überlebte und sich nun wieder ausbreitet. Aber auch invasive Arten drängen nun in die Emscher: die Schwarzmeer-Grundel etwa hat im Rhein ein ökologisches Desaster angerichtet. Sie frisst die Eier anderer Fische und hat selbst kaum Feinde.

Einige wilde Tiere wie Fuchs, Waschbär zieht es in die Städte oder an ihre Ränder, weil hier nicht geschossen wird und weil sie in Abfällen Nahrung finden. Selbst im dicht besiedelten Gladbeck werden manchmal Wildschweine gesichtet. Aber auch Turmfalke oder Uhu passen sich offenbar an. Ab 2017 galt ein brütendes Uhu-Paar auf einem alten Schachtturm der Zeche Ewald in Herten als Sensation.

Auch Sticht sieht aber „eine gewisse Erholung“ im Wald. „In NRW sind mittlerweile große Teile FSC-zertifiziert. Das bedeutet unter anderem, dass zehn Prozent des Waldes von der Nutzung ausgenommen werden.“ Das wirke sich nun nach Jahren positiv aus.

Wir sind gut beraten, den Klimawandel nicht wegen der biologischen Vielfalt bremsen zu wollen, sondern für uns. Klimaschutz ist vorrangig Menschenschutz.
Holger Sticht - Landesvorsitzender des BUND

Die Klimaveränderung wird von vielen Experten als einer der Gründe für das Fichtensterben ausgemacht. Lange Dürrephasen und wärmeliebende Borkenkäfer haben ganze Hänge entwaldet, vornehmlich dort, wo Monokultur herrschte. Dennoch: Der Klimawandel spiele „bei der Verschlechterung der Lebensbedingungen“ eine noch untergeordnete Rolle, glaubt Sticht. „Zum Beispiel trocknen schon heute Bäche und kleine Gewässer schneller aus. Dadurch werden manche Artengemeinschaften gefährdet. Es gibt aber auch einen großen Anteil an Arten, der profitiert, wenn es weniger regnet oder wärmer wird.“

„Es gibt natürlich auch einzelne Arten, die zulegen“, sagt Holger Sticht. „Einige Libellenarten werden sich als Gewinner des Klimawandels wahrscheinlich besser entwickelt haben und konnten die genannten negativen Effekte kompensieren.“ Bei den Vögeln könne man jedoch sehen, dass die Fortschritte bei einzelnen Arten nicht den Artenrückgang insgesamt aufwiegen könne. „Wir sind gut beraten, den Klimawandel nicht wegen der biologischen Vielfalt bremsen zu wollen, sondern für uns. Klimaschutz ist vorrangig Menschenschutz.“