Xanten. Er war fast ausgerottet, nun kreist er wieder über dem Rhein. Diese Schritte waren nötig, damit der Seeadler zurückkehren konnte.
Zweihundert Jahre lang war die Region lebensfeindlich für Deutschlands Wappentier. Bis der erste Seeadler über die Bislicher Insel am Rand des Ruhrgebiets flog und dachte: Hier könnte ich es versuchen. Seit 2018 gibt es nun regelmäßig Nachwuchs in Xanten. Die Seeadler finden hier Ruhe, weil niemand ihrem Horst zu nahe treten darf. Stört man sie beim Brüten, flüchten sie schnell für immer. Andererseits sind sie natürlich tierische Stars. Man braucht eben ein starkes Fernglas oder Objektiv – und Glück. Von der letzten Beobachtungshütte des einzigen Weges ist der Horst in der Ferne sichtbar.
Unser Themenpaket zur „Wiederauferstehung der Natur“
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- Bedrohte Art: Wie der Seeadler wieder ins Ruhrgebiet kam
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Liebeswirren und Dramen
Fans sind auch die Liebesverwicklungen bekannt, die Ilka Weidig vom Natur-Forum des Regionalverbandes Ruhr wie eine Vorabend-Serie beschreiben kann: „Vor zwei Jahren hat ein neues Weibchen das ursprüngliche Seeadler-Pärchen vertrieben. Es tötete dabei die Jungtiere. Der Mann kehrte aber zurück und lebte ein Jahr mit dem neuen Weibchen. Dann starb das Männchen und ein neues kam hinzu.“ In den letzten Märztagen nun ein Drama anderer Natur: Das neue Seeadler-Männchen wurde tot auf einem Acker gefunden. Vermutlich starb er im Kampf mit einem anderen Tier. Helfer retteten ein Küken und ein Ei aus dem Horst. All dies zeigt zwei Dinge: Seeadler leben weiterhin gefährlich in Deutschland. Aber der Niederrhein ist so eine attraktive Lage, dass sich die Seeadler darum streiten – und sie werden wohl zurückkehren.
Dabei war der Seeadler in den 80er-Jahren fast ausgerottet in Westdeutschland. Nur vier Paare hatten die intensive Jagd und die schleichende Vergiftung ihrer Umwelt überlebt. Das Insektizid DDT hatte sich über Jahre angereichert in der Nahrungskette. „Es hat alle Greifvögel in Europa bedroht“, erklärt Weidig. „Denn es macht die Eierschalen brüchig. Sie haben ihre Eier zerdatscht, wenn sie brüten wollten.“ Im Jahr 1972 wurde DDT verboten, „aber es dauert Jahrzehnte, bis sich das niederschlägt.“
Auch die Jagd auf Seeadler ist bereits vor Jahrzehnten verboten worden, das ist der zweite wichtige Punkt. Doch weiterhin starben Tiere indirekt daran. Sie fraßen liegengelassene erschossene Tieren und damit Bleimuntion. Sie erstickten oder vergifteten sich. Erst seit 2023 ist der Einsatz von Bleischrot in Feuchtgebieten durch EU-Recht untersagt. Seeadler brauchen aber auch saubere Gewässer. „Wo ich keine Fische habe, habe ich keine Fischfresser“, erklärt Ilka Weidig. „Die Fortschritte bei den Kläranlagen machen sich nun auch bemerkbar.“
Was gut ist für den Adler ...
Das Naturschutzgebiet Bislicher Insel wird durch einen Altarm des Rheins definiert. In der Schlaufe haben sich Seen gebildet. Bei Hochwasser kann es überflutet werden. „Wäre der Rhein nicht einigermaßen sauber, würde das alle Tiere beeinträchtigen“, sagt Weidig. Ein weiterer Pluspunkt sei, dass die Felder drumherum nur extensiv genutzt würden. So gelangen keine Düngemittel und Pestizide in die Gewässer. Entscheidend aber war die Anlage von flachen Uferstreifen in den ansonsten steil abfallenden Kiesabbauseen in der Region. Die wenigsten Vögel können so tief tauchen wie der Kormoran. Und wie immer gilt: Alles, was dem Seeadler hilft, ist auch für viele andere Arten gut – für Löffler, Kiebitze oder Feldlerche zum Beispiel.
Nach Zahlen des WWF leben wieder fast 1000 Paare in Deutschland. Tendenz steigend. Der Siedlungsdruck nimmt also zu. An die Ruhr, etwa an den Kemnader See, werden sich Adler auf Wohnungssuche kaum verirren, sagt Weidig. „Zu touristisch. Unsere Adler meiden auch die Xantener Nord- und Südsee.“ Am Niederrhein aber sollen bereits ein oder zwei weitere Paare gesichtet worden sein. Mal schauen, ob sie sich niederlassen.