Düsseldorf. Der Flugzeugabsturz in den Alpen mit 150 Toten jährte sich am Sonntag zum neunten Mal. Wo Annika Sondenheimer und ihre Kinder Trost fanden.

Neun Jahre liegt der Absturz des Germanwings-Flugs 4U9525 am 24. März zurück, viele Geschichten sind seither erzählt worden. Geschichten von Menschen, die starben, als die Maschine in den französischen Alpen zerschellte, Geschichten von Schmerz und von Trauer. Jene von Annika Sondenheimer aber ist privat geblieben; die Witwe des Flugkapitäns, der noch versucht hatte, die Katastrophe aufzuhalten, wollte nie öffentlich sein. Dass sie nach neun Jahren spricht, liegt an einem Preis: Die 45-Jährige aus Düsseldorf hat vor wenigen Wochen den Verdienstorden des Landes NRW erhalten – weil sie längst anderen beim Trauern hilft. Trauerbegleitung, sagt sie, sei wichtig, „um einen Verlust anzunehmen und damit leben zu lernen“.

Annika Sondenheimer hat sich selbst dafür ausbilden lassen, sie engagiert sich im Namen ihres Mannes. Der Stiftungsfonds, den sie mit Geld gegründet hat, das Kollegen für ihre beiden Kinder (heute 12 und 14 Jahre alt) spendeten, heißt nach Patrick Sondenheimer. Dem damals 34-jährigen Piloten, den seine Kumpels „Sonde“ nannten. Der den Airbus A320 an jenem frühen Dienstagmorgen 2015 von Düsseldorf nach Barcelona geflogen hatte und nun auf dem Rückweg war, unter anderen mit einer Gruppe Spanisch-Schüler aus Haltern an Bord. Von dem man erst seit den Ermittlungen genau weiß, dass er um halb zehn das Cockpit verließ. Auf Tonaufnahmen ist zu hören, wie der erfahrene Kapitän mit bis dahin 6763 Flugstunden nur vier Minuten später versuchte, die Tür wieder zu öffnen, den Summer betätigte, um Einlass bat, verzweifelt gegen die Tür schlug...

Frisch geehrt: Annika Sondenheimer mit ihrer Auszeichnung an der Jacke nach der Verleihung des Landesverdienstordens in der Staatskanzlei.
Frisch geehrt: Annika Sondenheimer mit ihrer Auszeichnung an der Jacke nach der Verleihung des Landesverdienstordens in der Staatskanzlei. © dpa | Rolf Vennenbernd

Vergebens. Copilot Andreas Lubitz, 27, brauchte nicht einmal 30 Sekunden, um Flughöhe und Geschwindigkeit zu verändern, und keine elf Minuten, bis die Maschine in den Bergen aufschlug. Im Untersuchungsbericht der französischen Ermittler steht nüchtern der Satz: „Die Besatzung und die Passagiere erlitten tödliche Verletzungen, das Flugzeug wurde zerstört.“

Die Kinder des Flugkapitäns waren erst drei und fünf Jahre alt

Annika Sondenheimer hat an die Tage im März 2015 bruchstückhafte Erinnerungen. Sie weiß noch, wie sie ihren Kindern sagte – der Sohn war drei, die Tochter fünf Jahre alt –, dass ein Flugzeug abgestürzt sei. Dass sie davon ausgehen müssten, „dass dem Papa etwas passiert ist“. Und als sie Gewissheit hatte: „Dass Papa gestorben ist.“ Von den Fragen, die andere stellten, die teils ihr Haus belagerten, hat sie ihnen nichts gesagt.

Es dauerte schließlich damals, bis klar war: Der psychisch kranke Copilot, kurz zuvor noch wegen Depressionen krankgeschrieben, hatte die Maschine zum Absturz gebracht. Er wollte sich selbst töten und riss 149 Menschen mit in den Tod. Verurteilt hat Familie Sondenheimer ihn dafür nie. Annika Sondenheimer sagte ihren Kindern, „dass es Krankheiten gibt und dass wir darüber nicht urteilen können“. Auch Wut habe sie nie empfunden: „Es bringt uns im Leben nicht weiter, auf bestimmte Personen wütend zu sein.“

Ein privates Foto von Patrick Sondenheimer: Es ist eines der wenigen Bilder, die vom Flugkapitän öffentlich geworden sind.
Ein privates Foto von Patrick Sondenheimer: Es ist eines der wenigen Bilder, die vom Flugkapitän öffentlich geworden sind. © privat | Sondenheimer

Dass sie das heute im Gespräch mit dieser Zeitung so erzählen kann, hat auch die Trauerbegleitung möglich gemacht, die sie damals erfuhr. Es war die Kindergärtnerin, die sich zuerst kümmerte, um die Kleinen und dann auch um ihre Mutter. „Eine Erfahrung“, sagt Annika Sondenheimer, „die wir gemeinsam machen durften.“ Die junge Witwe, die nicht nur den eigenen Schock verarbeiten, sondern sich auch um ihre Kinder kümmern musste, hatte Menschen um sich, die ihr Ratschläge geben konnten: „Was erzähle ich meinen Kindern, was nicht?“

Heute weiß sie, dass man „authentisch bleiben“ sollte: „Spiegeln, wenn man selbst traurig ist. Zugeben, wenn man auf gewisse Fragen keine Antwort hat.“ Annika Sondenheimer nahm die Kinder mit zur Beerdigung des Papas, ließ sie helfen bei der Vorbereitung, sagte ihnen: „Du darfst weinen und traurig sein, das ist völlig in Ordnung.“

Trauer um die Absturz-Opfer

Sie lernte, dass Trauer ein lebenslanger Prozess ist, dass der Kummer immer wieder „aufploppen“ kann, dass Kinder „in die Trauer hineinspringen wie in eine Pfütze und im nächsten Moment auch wieder heraus“. Auch, um das besser zu verstehen, machte sie selbst die Ausbildung zur Trauerbegleiterin. Wie funktioniert eigentlich Trauer, was macht sie mit uns, wie wird man resilient? „Als Juristin habe ich es immer gern, wenn ich etwas näher weiß.“ Dieses Wissen wollte sie weitergeben, auch aus Dankbarkeit für die Unterstützung gründete sie den Stiftungsfonds.

Von den Kindern Sondenheimers gebastelt: ein „Familienbild“.
Von den Kindern Sondenheimers gebastelt: ein „Familienbild“. © privat | Sondenheimer

Hilfe für Trauernde, die sich nicht selbst um eine Begleitung kümmern können

Der vermittelt und finanziert Trauerbegleitung für Familien, die ähnlich hart getroffen werden, die sich „aufgrund eines Verlustes nicht selbst kümmern“ oder nach einem Todesfall die Kosten für professionelle Hilfe nicht stemmen können. Dabei sei eine niedrigschwellige Unterstützung, die noch keine Therapie ist, „wichtig für die Seele“ – wird aber von den Krankenkassen nicht bezahlt. Annika Sondenheimer sucht persönlich aus, wer in der Region Mittel aus ihrer Stiftung bekommt. Sie selbst arbeitet besonders mit jungen Erwachsenen, die ihre Eltern oder einen Partner verloren haben und „deren Umfeld andere Themen hat als Trauer“.

Sie selbst war ja gerade Mitte 30, als ihr Mann starb. Mit Tod und Trauer hatte sie sich bis dahin „noch nie auseinandergesetzt“. Bis heute, sagt die 45-Jährige, sei die Situation „nicht immer leicht“, öffentlich darüber zu sprechen, hat sie bislang möglichst vermieden: „Wir haben privat einen Menschen verloren, ein Mitglied unserer Familie. Und das soll in unserer Familie bleiben.“ Den Orden des Landes möchte sie nutzen, um auf ihre Stiftung aufmerksam zu machen, auch wenn das „emotional anstrengend“ sei: „An unserer Geschichte ändert sich nichts. Aber ich nutze die Möglichkeit gern, um weitere Spenden zu sammeln.“

Der Absturzort in den Bergen von Le Vernet, Frankreich: An dem abgelegenen Ort ist eine Gedenkstätte entstanden.
Der Absturzort in den Bergen von Le Vernet, Frankreich: An dem abgelegenen Ort ist eine Gedenkstätte entstanden. © picture alliance/dpa | Christian Böhmer

Absturzstelle in den französischen Bergen: Ein Ort, um zur Ruhe zu kommen

Dass sie Geld, das für ihre Kinder gedacht war, für gemeinnützige Zwecke verwendet, hatte sich Annika Sondenheimer in Absprache mit den Spendern von Anfang an vorbehalten: Von einem Fonds für die Ausbildung der betroffenen Kinder, den die Lufthansa als Konzernmutter von Germanwings 2015 auflegte, profitierten auch ihre Kinder. Ohnehin hegt die Pilotenwitwe keinen Groll gegen die Luftfahrtgesellschaft, wie es viele andere Hinterbliebene tun, die bis heute prozessieren. Die Lufthansa tue viel, auch für das Gedenken: Mit ihren Kindern ist die 45-Jährige mehrfach am Absturzort bei Le Vernet gewesen, wo ein Ort der Erinnerung entstanden ist. „Ein guter, ein besonderer Ort, um zur Ruhe zu kommen“, sagt Annika Sondenheimer. In der Abgeschiedenheit der Berge fühle es sich an, „als ob die Welt dort aufhört“.

Mehr zum Rechtsstreit um Germanwings

Die Ehrung, die Ministerpräsident Hendrik Wüst ihr und 15 anderen im Februar überreicht hat, nehme sie „in Demut“ an, sagte sie vorab: Viele Menschen würden dort ausgezeichnet, die „wahnsinnige Projekte stemmen und viel Zeit investieren“. Annika Sondenheimer, die mit ihren Kindern da war, bleibt bescheiden. Familie und Beruf ließen ihr nur begrenzte Möglichkeiten, sich um ihr eigenes Ehrenamt zu kümmern. Wenn sie aber für die Stiftung arbeite, sei Ehemann Patrick präsent: „Ich habe immer das Gefühl, dass er mich gut begleitet. Und manchmal auch ein bisschen stoppt.“

DER PATRICK SONDENHEIMER STIFTUNGSFONDS
Der Patrick Sondenheimer Stiftungsfonds besteht unter dem Dach der Bürgerstiftung Gerricus in Düsseldorf. Trauernde, die Hilfe benötigen, oder Menschen, die Hilfe vermitteln wollen, erreichen die Stiftung unter der Postadresse Gerricusstraße 9, 40625 Düsseldorf. Mail: mail@sonde-stiftungsfonds.de. Internet: sonde-stiftungsfonds.de

Wenn Sie spenden wollen: Stadtsparkasse Düsseldorf
IBAN: DE96 3005 0110 1005 2257 82
Kontoinhaber: Bürgerstiftung Gerricus
Verwendungszweck (wichtig): Patrick Sondenheimer Stiftungsfonds