Essen. Fünf Jahre nach dem Absturz der Germanwings-Maschine verklagen 18 Angehörige die Lufthansa. Das Landgericht vertagte den Prozess nun auf Juli.
Fünf Jahre ist es her, dass ein Flugzeug der Germanwings auf seinem Weg von Barcelona nach Düsseldorf abstürzte; 150 Menschen kamen ums Leben. Am Mittwoch hat vor dem Essener Landgericht der erste Zivilprozess begonnen: Hinterbliebene fordern mehr Schmerzensgeld – tatsächlich aber wollen sie wissen, wer verantwortlich ist für den Tod ihrer Kinder.
Im Essener Landgericht gelten am Mittwochmittag besondere Corona-Bedingungen: Wo sonst Platz für 100 Menschen wäre, sind nur 18 Angehörige als Zuschauer zugelassen. Vor der Tür warteten sie schon seit den Morgenstunden: eine Mülheimerin, die ihre Schwester verlor, eine Frau aus Krefeld, die Bruder und Nichte betrauert, die Eltern eines damals 27-Jährigen aus Bad Bentheim. Die meisten haben nicht geschlafen, viele möchten nicht reden: „zu emotional“.
Lufthansa und Flugschule Aviation Training sind die Beklagten
Beklagte sind die Lufthansa als Muttergesellschaft der Germanwings sowie die zum Konzern gehörende Flugschule Aviation Training in den USA: Dort wurde der Co-Pilot des Unglücksjets ausgebildet. Andreas Lubitz (27) soll nach allen Ergebnissen der Ermittlungen an Depressionen gelitten und die Maschine absichtlich ins Bergmassiv bei Le Vernet geflogen haben, um sich selbst das Leben zu nehmen. Am Unglückstag selbst war er sogar krankgeschrieben.
Klaus Radner aus Düsseldorf, der Tochter Maria, Schwiegersohn und Enkel verlor, sagt: „Mir würde es reichen, wenn die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen würden. Der Co-Pilot mit seinen Vorerkrankungen hätte nie im Cockpit sitzen und fliegen dürfen.“ Später sitzt er konzentriert im Saal, man sieht ihm an, was er vor dem Gerichtsgebäude gesagt hat: „Ich denke jeden Tag daran.“
„Das nimmt man mit ins Grab“, sagt auch die Tante aus Krefeld: „Wir sind hier, weil wir Gerechtigkeit wollen. Die Schuldigen sollen geradestehen: die Lufthansa, die Flugschule, die Eltern, die Lebensgefährtin. Sie können doch nicht erzählen, dass sie nichts gemerkt hätten. Da ist eine unheimliche Wut, das kann man nicht verzeihen. Große Erwartungen habe ich nicht.“
16 Schüler und zwei Lehrerinnen aus Haltern unter den Toten
Flug 4U9525 zerschellte am 24. März 2015 im Bergmassiv von Le Vernet. Unter den toten Passagieren und fünf weiteren Besatzungsmitgliedern, darunter 72 Deutsche und drei Babys, waren auch 16 Schülerinnen und Schüler eines Spanisch-Kurses vom Joseph-König-Gymnasium in Haltern am See. Sie waren auf dem Rückweg von einem Austausch mit einer Schule in Barcelona. Die Eltern der beiden Pädagoginnen sind ebenso Kläger wie die dreier Schülerinnen. Für acht hat das Gericht Stühle bereitgestellt; nur Klaus Radner und eine Mutter aus Haltern muten sich diese Situation zu. Letztere kämpft über eineinhalb Stunden mit den Tränen. „Nach außen“, hat sie zuvor gesagt, „lebt man damit, nach innen ist alles kaputt.“
Die insgesamt 184 Hinterbliebenen aus rund 40 Familien im Gerichtsbezirk Essen werfen der Flugschule und der Lufthansa Versäumnisse vor und fordern höhere Schmerzensgeldzahlungen als von der Lufthansa bereits geleistet. Dabei geht es den Wenigsten ums Geld: „Kein Geld der Welt“, hat etwa Josef Cercek, Vater der Lehrerin Sonja, im Vorfeld oft gesagt, „gibt mir mein Kind wieder.“ Vielmehr wollen sie juristisch geklärt haben, wer Schuld hat. Die Lufthansa, finden sie, weil sie einen psychisch Kranken ans Steuer eines Flugzeugs ließ.
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Die Fluggesellschaft indes hat bereits im August vergangenen Jahres abgewunken: Der Flug sei „unauffällig“ gewesen, erklärte sie in ihrer Klageerwiderung, vom Sinkflug habe man an Bord nichts mitbekommen. Die Passagiere hätten, anders als die Angehörigen befürchten, keine Todesangst gehabt. Die Lufthansa beruft sich bei ihrer Einschätzung auf den Abschlussbericht der Untersuchungsbehörden.
Hinterbliebene werfen Lufthansa „Verhöhnung“ vor
Eine „Verhöhnung“ werfen die Hinterbliebenen dem Unternehmen nun vor. Für den Berliner Rechtsanwalt und Luftfahrt-Experten Prof. Elmar Giemulla ist die Frage nach der Todesangst wichtig; er begründet die Klage unter anderem damit. Er erinnert daran, was im Bericht der Ermittler auch steht: dass der ausgesperrte Pilot mehrfach an die Cockpittür schlug und lautstark Einlass verlangte, dass der Sinkflug mit rund 90 Stundenkilometern „mehr als dreimal so schnell wie üblich“ gewesen sei.
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Die Lufthansa wies im Sommer 2019 gegenüber dieser Zeitung darauf hin, bereits insgesamt 35.000 Euro pro Opfer und für nahe Angehörige gezahlt und sich „mit einer Vielzahl von Hinterbliebenen“ über weitere Zahlungen geeinigt zu haben. Auch seien je 50.000 Euro Soforthilfe geflossen. „Zu wenig für den erlittenen Schmerz“, findet Elmar Giemulla. Er fordert für seine Mandanten weitere 55.000 Euro. In einem ähnlichen Prozess vor dem Landgericht Düsseldorf hatte sich die Lufthansa schon 2018 mit fünf Familien verglichen.
Ist die Lufthansa überhaupt der richtige Adressat der Klage?
Vernünftige Aufklärung will der Vater aus Bad Bentheim, der nicht klagt. Zu sagen, die Insassen seien nur zum falschen Zeit am falschen Ort gewesen, hätten diese nicht verdient. „Wenn keine Fehler passiert wären, wären sie alle normal in Düsseldorf gelandet“, sagt er. Er will wissen, wo und wann Fehler gemacht wurden: „Dass alles eine Katastrophe war, ist klar, das braucht man uns nicht immer wieder zu sagen.“
Das Gericht indes ist gar nicht sicher, dass die Klage bei der Lufthansa an der richtigen Adresse ist. Die medizinische Überwachungspflicht des Co-Piloten könnte vielmehr eine staatliche Aufgabe denn eine der Konzernmutter gewesen sein, dann wäre das Luftfahrtbundesamt in der Verantwortung. Entsprechend beantragt der Anwalt der Lufthansa, die Klage abzuweisen: „Dass so etwas passiert, war in keiner Weise absehbar. Die Klage wird keine Aussicht auf Erfolg haben.“
Am Mittwoch fällt noch keine Entscheidung: „Keine Einigung“, sagt eine Frau enttäuscht in ihr Telefon. Keine anderthalb Stunden nach Beginn wird der Prozess zunächst auf Juli vertagt.