Haltern. . Am Joseph-König-Gymnasium in Haltern begannen die Schüler am Mittwoch mit der Trauerarbeit. Mit Seelsorgern sprachen sie über die, die sie vermissen. Die Stadt ist nach dem Absturz wie gedämpft .
Es gibt ein Foto aus Spanien, gemacht am Tag vor der Rückreise: 13 Schülerinnen, drei Schüler aus Haltern am See, inmitten ihrer neuen Freunde in Llinars del Vallès. Ein fröhliches Gruppenfoto, alle lachen. Zwei Tage später, in der Heimat, lacht niemand mehr. Denn als an diesem Morgen am Joseph-König-Gymnasium die Schule beginnt, sind die 16 nicht mehr dabei.
Haltern trauert um die Opfer
Eine schmerzhafte Stille hat sich über die Stadt gelegt
Über 1000 sind sie, die hier jeden Tag herkommen, ihre Räder abstellen, was für ein Hallo muss das sonst sein – nun ist es still. Eine schmerzhafte Stille. In die der Aufschrei einer Elfjährigen schallt: „Was! Die mit den kurzen Haaren?“ Stumm senkt die Freundin den Blick, zückt das Telefon, zeigt ein Bild. „Wir wollten ja zusammen in Urlaub fahren. Aber jetzt, glaube ich, fahren ihre Eltern nicht mehr mit.“
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So ist das in Haltern am Tag nach dem Absturz: „Gehen Sie davon aus“, sagt Bürgermeister Bodo Klimpel später, „dass in dieser kleinen Stadt jeder irgendjemanden kannte, der . . .“ Und an der Schule ist es schlimmer. „Ich kannte die jetzt nicht so gut“, sagen Kinder in die Kameras, aber doch: Sie erkennen die Opfer auf Fotos, sie waren mit ihnen im Schwimmverein, beim Spielmannszug, sie sind die Schwester der Freundin. Ein Junge sagt, er sei „geschockt“ und ist dabei völlig ausdruckslos. Zwei waren „meine Nachbarinnen. Dass die jetzt nicht mehr wiederkommen. . .“
1283 Schüler waren sie - "Minus 16"
Sie sind so hilflos, dass ihnen nichts einfällt als Sätze wie diese: „Das haben die alle nicht verdient.“ 1283 Schüler waren sie auf dem Joseph-König, Schulleiter Ulrich Wessel hat es am Dienstag noch gesagt – und musste sich unter Tränen korrigieren. „Minus 16.“ 1267 also, die einander jetzt „halten müssen, weil man durch das Gleiche geht“, sagt Jonas, der 15-Jährige. Auf einer hölzernen Tafel steht: „Gestern waren wir viele, heute sind wir allein.“
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Aber das sind sie nicht, sie machen zwar keinen Unterricht, aber Trauerarbeit. Die Schüler zieht es geradezu ins Gebäude, sie wollen „darüber reden“. Aber dann reden sie nicht, wird später die Seelsorgerin Beate Seemann aus Gelsenkirchen erzählen. „Die Sprachlosigkeit war kaum auszuhalten.“ Bis sie anfangen, sich zu erinnern, wie ihre Freunde waren, sie lachen sogar über ihre Macken, „eine erste Verarbeitung“ sieht Seemann.
"Die Sprachlosigkeit war kaum auszuhalten"
Gemeinsam überlegt die Stufe 11, wie Trauer geht, entscheidet, dass auch der, der ein Bier trinken will, und der, der bloß die Taschentücher reicht, traurig ist. Sie beraten, wie sie den leeren Platz im Musical füllen, wo ein Mädchen nun nicht mehr tanzt. Wie man Briefe schreibt an Freunde und Familien: Sie werden Fotos schicken und erzählen, „ich war zuletzt mit ihr beim Friseur“ oder „wir waren heute Abend verabredet“. Bei der anschließenden Trauerfeier ist auch der Ehemann einer der beiden Lehrerinnen unter ihnen. Sie waren nicht einmal ein halbes Jahr verheiratet.
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Draußen auf dem Schulhof ist es immer noch still, nur die Vögel singen noch. Auch die Fahrräder, kreuz und quer auf dem Schulhof geparkt, passen nicht zu den Kerzen, die immer mehr werden. Von den breiten Stufen vor dem Eingang wächst der Teppich aus Grablichtern, Briefen, Blumen auf das Absperrband zu, hinter dem die Journalisten stehen. Die sehen, wie die Schüler nun nach und nach, Kurs für Klasse, wieder nach draußen kommen. Schweigend. Viele weinen, vor allem Mädchen nehmen einander in den Arm. Die Älteren unter ihnen bleiben bis zu einer halben Stunde lang so stehen. Lehrer helfen beim Anzünden der Kerzen, Seelsorger sind in der Nähe.
Auch Geschäfte tragen Trauer
Mit Schulministerin Sylvia Löhrmann, einen Strauß weißer Rosen im Arm, tritt Schulleiter Wessel vor die Tür, er weint, gibt Schülern ein wenig hilflos die Hand, über ihm drücken sich Kindergesichter an die Fensterscheiben. Erste Angehörige kommen in Schwarz, sie bleiben lange; der Zug der Trauernden, Sträuße und Kerzen in der Hand, will nicht enden. Auch die Fußgängerzone trägt Trauer: „Möge Gott sie mit offenen Armen empfangen“, steht im Fenster des Stoffladens, vor einer Boutique brennt eine Kerze auf schwarzem Band, der Fleischer plakatiert: „Es ist schwer, die richtigen Worte zu finden.“
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Aber Haltern bemüht sich, diese Stadt, in der alles gedämpft ist, als hätte jemand den Ton leise gedreht. Ministerin Löhrmann hat gesagt, „keine Macht der Welt kann denen, die jemanden verloren haben, den Schmerz nehmen“. Man könne nur teilen. Sie suchen nach Worten, Schulleiter Wessel steht dafür wie ein Symbol: dieser große Mann, gebrochen, erstarrt, verweint. „Fassunglos und wortlos“ sei er, er hatte doch die Kinder „auf eine fröhliche Fahrt geschickt“ – und dann war er es, der den Eltern sagen musste, „dass keine Hoffnung besteht, dass das Flugzeug zerschellt ist, dass es keine Überlebenden gibt“. Der seine schluchzenden Schüler trösten musste, die in Frankreich auch ihre Klassenlehrerin verloren haben.
„In dem Augenblick zerbrach eine Welt.“