Hamm. Sechs Jahre nach dem Germanwings-Absturz mit 150 Toten kämpfen Angehörige weiter um mehr Schmerzensgeld. Im Juni geht es in die Berufung.

Sechs Jahre ist es her, dass beim Absturz einer Germanwings-Maschine 150 Menschen ums Leben kamen, darunter 16 Schülerinnen und Schüler aus Haltern, ihre Lehrerinnen und weitere Passagiere, auch Kinder, aus Düsseldorf und dem Ruhrgebiet. Eine erste Klage von Angehörigen gegen die Konzernmutter Lufthansa auf mehr Schmerzensgeld hatte das Landgericht Essen im Juli 2020 abgewiesen. Nun geht das Verfahren in die zweite Instanz: Das Oberlandesgericht Hamm will am 1. Juni über die Berufung verhandeln.

Acht von 184 Hinterbliebenen hatten geklagt, Klaus Radner aus Düsseldorf kam vor knapp einem Jahr mit großen Erwartungen nach Essen und ging mit einer „schweren Enttäuschung“: Eine Zivilkammer des Landgerichts wies die Klage ab, die Angehörigen der Opfer sollten nicht mehr Schmerzensgeld bekommen. Schon gar nicht von der Lufthansa: Die halten die Kläger nach wie vor für ansprechbar, weil sie das Unternehmen und dessen Flugschule in den USA für mitverantwortlich halten am Tod ihrer Kinder.

Depressiver Co-Pilot wollte sich selbst umbringen

Rechtsanwalt Elmar Giemulla beim Zivilprozess in Essen. Gegen die Entscheidung legte er Berufung ein.
Rechtsanwalt Elmar Giemulla beim Zivilprozess in Essen. Gegen die Entscheidung legte er Berufung ein. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Niemand dort habe den Copiloten aufgehalten, gar für berufsunfähig erklärt, so die Argumentation. Nach allen Erkenntnissen der Ermittler hatte der an Depressionen erkrankte Andreas Lubitz die Germanwings-Maschine auf Flug 4U9525 von Barcelona nach Düsseldorf am 25. März 2015 absichtlich ins französische Bergmassiv bei Le Vernet gesteuert – weil er sterben wollte, fanden 149 weitere Menschen den Tod.

Angehörige wollen Aufklärung

Die Lufthansa hätte das verhindern müssen, finden die Hinterbliebenen, die Krankheit ihres Angestellten sei bekannt, er selbst am Unglückstag krankgeschrieben gewesen. „Der Copilot hat drei meiner Liebsten umgebracht“, sagte Klaus Radner, damals 65, vor Gericht: seine Tochter, sein Enkelkind, seinen Schwiegersohn. „Kein Geld der Welt“ zwar würde ihnen ihre Kinder wiedergeben, hatten die Familien immer wieder betont. Trotzdem klagten sie und klagen sie weiter, nicht, weil es ihnen ums Geld gehe, sondern weil sie Aufklärung wollten, erklären sie ihre Motivation. Neben Radner ließen sich auch Eltern der Opfer aus Haltern von dem renommierten Anwalt und Luftfahrt-Experten Prof. Elmar Giemulla vertreten.

Richter in Essen: „Zivilprozess ist kein Untersuchungsausschuss“

Klage abgewiesen: Richter Lars Theissen beim ersten Prozess in Essen.
Klage abgewiesen: Richter Lars Theissen beim ersten Prozess in Essen. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Das Gericht jedoch wies das Ansinnen im Sommer klar zurück: Ein Zivilprozess sei „kein Untersuchungsausschuss“, der Unglückshergang sei hinreichend geklärt. „Andreas Lubitz hat den Absturz verursacht und ist verantwortlich,“ sagte Richter Lars Theissen. Die Lufthansa sei es nicht, sie sei weder der direkte Arbeitgeber gewesen noch habe sie einen früher erkrankten Piloten auf Lebenszeit suspendieren können. Die medizinische Überwachungspflicht sei Aufgabe des Staates, zuständig das Luftfahrtbundesamt. Die Fluggesellschaft jedenfalls sei nicht haftbar zu machen.

Trotzdem hatte die Lufthansa nach dem Absturz bereits Zahlungen geleistet. Nach früheren Angaben der Fluggesellschaft erhielten nächste Angehörige pro Person 10.000 Euro Schmerzensgeld, für jedes Todesopfer sollen außerdem 25.000 Euro als sogenanntes vererbbares Schmerzensgeld gezahlt worden sein. Die Hinterbliebenen klagen nun auf Zahlung von weiteren 30.000 Euro für die Angehörigen und auf eine Verdoppelung des vererbbaren Schmerzensgeldes.

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Klaus Radner erklärte die Haltung des Essener Gerichts sofort für „nicht nachvollziehbar“, alles daran sei „falsch“. Rechtsanwalt Giemulla hatte schon 2018 angekündigt, man lasse „die Lufthansa nicht vom Haken“. Er beharrt auf seiner Rechtsauffassung, legte Berufung ein. Verhandelt wird in Hamm nun am 1. Juni, einem Dienstag. Ob die Berufungsrichter noch am selben Tag zu einer Entscheidung kommen, ist ungewiss.