Köln. . 1400 Menschen gedachten am Freitag im Kölner Dom der Opfer des Germanwings-Flugzeugabsturzes im März. Geistliche und Politiker sprechen Angehörigen Trost zu.
Vor dem Altar des Doms brennen 150 dicke, weiße Kerzen. Für jedes Opfer des Flugzeugabsturzes eine – auch für den, der ihn herbeigeführt hat. Zehnmal so viele Menschen nahmen am Freitag im Kölner Dom Abschied; dazu Ungezählte auf dem Vorplatz, vor den Fernsehern in aller Welt sahen zu bei einer der größten Trauerfeiern, die Deutschland erlebt hat.
Bundespräsident Gauck: "Es ist etwas zerstört worden"
„Es ist etwas zerstört worden“, sagte Bundespräsident Joachim Gauck, „das in dieser Welt nicht mehr geheilt werden kann.“ Deshalb versuchte der ökumenische Gottesdienst, zu dem mehrere Hundert Angehörige, Vertreter der Hilfsorganisationen, Kanzlerin Angela Merkel und weitere hochrangige Politiker auch aus Spanien und Frankreich gekommen waren, vor allem eines zu geben: Trost. „Dass wir alle hier sind“, so der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki, „das soll Ihnen Trost sein, dass Sie nicht allein sind in diesen Stunden der Einsamkeit.“
Man wolle, ja müsse „miteinander und füreinander weinen“, sagte auch die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus: „Nie sind wir mehr Mensch als dann, wenn wir weinen.“ In dem Trauerakt nach dem Gottesdienst wünschte sich Ministerpräsidentin Hannelore Kraft „so sehr, dass Sie unsere große Anteilnahme spüren“. Gauck sprach wie auch schon bei der spontanen Gedenkstunde vor drei Wochen in Haltern, das um 16 Schüler und zwei Lehrerinnen des örtlichen Gymnasiums trauert, von einem „Band des Mit-Leidens“.
Kleine Holzkreuze in Engelsform
Notfallseelsorger überreichten kleine Holzkreuze, die zugleich die Form eines Engels haben: an eine Angehörige zum Trost, an Ministerpräsidentin Kraft für die Einsatzkräfte, an Germanwings-Chef Thomas Winkelmann für die Mitarbeiter aller Fluggesellschaften.
Beim Absturz des Germanwings-Airbus’ von Barcelona nach Düsseldorf waren am 24. März alle 150 Menschen an Bord ums Leben gekommen. Der Co-Pilot hatte nach bisherigen Ermittlungen das Flugzeug absichtlich in den französischen Alpen zum Absturz gebracht.
Trauerfeier für Absturz-Opfer
Ein Versuch, die Traurigen zu trösten
Sie kommen durch die Seitentür in den Dom, eine nicht enden wollende Menge von Menschen, alte am Stock, kleine an der Hand, junge Arm in Arm – sie sind so viele. 150 Opfer haben so unendlich viel mehr Angehörige, die um sie weinen, es reicht nicht einmal das Mittelschiff dieser gewaltigen Kirche für die engsten. Wie nur soll man all diese Traurigen trösten?
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Das ist es, was dieser Gottesdienst versuchen will, den evangelische und katholische Kirche feiern, zu dem aber auch Juden kommen und Muslime: „Halt geben über Länder, Sprachen, Religionen hinweg“, sagt Domdechant Robert Kleine. Das ist es, was auch die wenigen Bürger wollen, die Platz finden ganz hinten, „man muss doch einfach da sein“, sagt eine Frau hilflos. Und das ist es, worum Reden, Predigten sich mühen an jenem Tag gut drei Wochen, nachdem das Flugzeug vom Himmel fiel und „in einem kurzen Augenblick“, so der Monsignore, „so viele Menschen von uns genommen hat“.
Alle sprechen über Trost
Und so reden sie alle über Trost, obwohl Rainer Maria Kardinal Woelki, Erzbischof von Köln, ganz am Anfang seiner Predigt sagt: „Bloße Worte sind zu schwach, Sie zu trösten.“ Aber „dass wir alle hier sind, dass soll Ihnen Trost sein, dass Sie nicht allein sind in diesen Stunden der Einsamkeit“. Woelki weiß, dass nicht jeder glaubt oder es nach dem 24. März nicht mehr kann, dennoch ist die christliche Antwort seine einzige: das ewige Leben, dass alles bleibt in Gottes Hand. „Ich möchte Sie einladen, sich tragen zu lassen von all denen, die für Sie und mit Ihnen für Ihre Lieben beten.“
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Man rücke zusammen „im Aushalten-Müssen und Begreifen-Wollen“, sagt auch die Präses der Evangelischen Kirche Westfalen, Annette Kurschus, die fast poetisch über die Würde des Weinens spricht. „Nie sind wir mehr Mensch, als dann, wenn wir weinen.“ Und es wird viel geweint im Kölner Dom, still meist und hinter dunklen Brillen, einmal aber sehen, hören es alle: als Sarah, eine junge Angehörige, eine Fürbitte vorliest. Für alle, „die ihre Lieben schmerzhaft vermissen: Trockne unsere Tränen, stärke die schönen Erinnerungen (...) Lieber Gott, gib unseren verunglückten Verwandten und Freunden ein neues Zuhause.“
Über den letzten Worten „pass immer auf sie auf“ bricht ihre Stimme, eine Frau nimmt sie in den Arm. Und überall in den Bänken schließen sich Finger fest um einen kleinen Engel: Die Holzfigur, die zugleich ein Kreuz darstellt, haben alle auf ihrem Platz gefunden. Seelsorger in violetten Jacken, der Farbe des Leids, übergeben sie Einzelnen symbolisch: Sarah für die Angehörigen, dem spanischen Innenminister für die Opfer aus seinem Land, dem französischen Verkehrsminister für die Helfer am Absturzort, Ministerpräsidentin Hannelore Kraft für die Einsatzkräfte.
„Verstörende Vernichtungstat“
Und Bundespräsident Joachim Gauck für alle Verwandten der Opfer aus anderen Ländern. „Berührende Zeichen der Freundschaft“ lobt er dann auch, Völker, „die in schweren Stunden erst recht zusammenstehen“. Aber Gauck spricht auch über den, dessen Namen hier nicht genannt wird, über seine „Tat“, für die Worte fehlen: „Dieser eine hat die vielen anderen mitgerissen in den Tod, den er für sich selber gesucht hat.“ Über die „Sinnlosigkeit des Geschehens“ redet der Bundespräsident, über eine „verstörende Vernichtungstat“ – über den Co-Piloten also, der die Maschine absichtlich in die französischen Berge gelenkt haben soll. Vom „Erschrecken über das Böse“ und „die Abgründe des Menschseins“. Mutig aber sagt er auch das: „Wir wissen, dass auch seine Angehörigen einen Menschen verloren haben, den sie geliebt haben und der eine Lücke hinterlässt.“
Draußen vor dem Dom, wo ein paar hundert Menschen die Trauerfeier auf einem Bildschirm verfolgen, welken in der Sonne Vergissmeinnicht. Auf einem kleinen, weißen Grablicht steht zwischen Herzchen: „Papa“.