Duisburg/Gelsenkirchen/Dortmund. Duisburg kämpft gegen Schrottimmobilien. Doch es entstehen immer neue Problemhäuser. Schuld sind auch Immobilienfonds mit ihren Spekulationen.

Man steht auf zertretenen Bierdosen, Prospekten, Verpackungen, dort ein Absperrgitter, ein verlorenes Paket Schinkenwurst liegt in den Boden getrampelt. Hier und da sind die Schindeln der Fassade abgetreten, die Dämmwolle schaut heraus, hinten Haufen mit Unrat. „Hier können wir eine Problemimmobilie im Entstehen beobachten“, sagt Claus Lindner, Bezirksvertreter für Duisburg-Hamborn, wozu auch Marxloh gehört. Als Kümmerer vor Ort spricht er auch die Bewohner von Problemimmobilien an, klärt über Rechte auf und über Pflichten. „Das sah hier früher wie geleckt aus. Alles Thyssenarbeiter.“

Die Stadt Duisburg führt den Wohnriegel vor der Kulisse des Stahlwerks nicht auf ihrer Liste mit Problemimmobilien, aber diese folge „einem dynamischen Prozess“, erklärt ein Sprecher. Problemimmobilien sind für Städte wie Duisburg, Gelsenkirchen, Dortmund, Essen und Hagen Daueraufgaben geworden: Die Verwahrlosung, der Müll, die Lautstärke ziehen Straßenzüge herunter und das Image ganzer Stadtteile.

Und so begann die Geschichte in Marxloh

Claus Lindner ist SPD-Bezirksvertreter für Duisburg-Hamborn, wozu auch Marxloh gehört – und Kümmerer vor Ort.
Claus Lindner ist SPD-Bezirksvertreter für Duisburg-Hamborn, wozu auch Marxloh gehört – und Kümmerer vor Ort. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Vor elf Jahren erreichte das Thema die öffentliche Wahrnehmung, als der Duisburger Wohnkomplex „In den Peschen“ europaweit in die Schlagzeilen geriet: Überbelegung, Verknüpfungen ins Rotlichtmilieu und bandenmäßiger Sozialbetrug. Als die 800 Bewohner die „Peschen“ in Rheinhausen verlassen mussten, wichen einige nach Marxloh aus, schliefen dort auf der Straße. Und so begann die Geschichte hier. Doch auch wenn das Problem weiter besteht, haben sich im Hintergrund einige Dinge verändert, berichtet Lindner. Immobilienfonds spielen eine größere Rolle.

„Hausmeister gibt’s nicht mehr“, erklärt Herr B. aus Bulgarien und winkt uns rein. „Bronchitis“, sagt er und hält sich die Nase zu. Auf der Couch sitzen zwei ältere Frauen und tun es ihm gleich, ein nacktes Kind kommt hinzu. Dann schiebt er den Fernsehschrank beiseite, dahinter klafft ein Loch in der Wand zum Badezimmer. Darin ein offenes Abflussrohr, notdürftig gestopft mit Textilien. Für die 67 Quadratmeter zahlt er 650 Euro warm.

Die Verwahrlosung setzt heute eher durch Vernachlässigung ein als durch kriminelle Umtriebe. Das alte Geschäftsmodell sah so aus: Eine Handvoll Eigentümer boten Familien aus Rumänien und Bulgarien, die nirgendwo sonst untergekommen wären, eine Bleibe – gegen Wucherpreise. „150, 200 Euro für eine Matratze“, sagt Lindner. „Das gab es um die Jahrhundertwende schon einmal, als die Polen eingewandert sind ... Ich kenne auch keinen, der die Kaution wiederbekommen hat.“ Bis zu 2000 Euro, ebenfalls komplett überzogen. „Das war das Geld, mit dem sie eingewandert sind.“

Schwarzarbeit, Rotlicht, Schlägertrupps

Fassaden wie auf diesem Archivbild sind mittlerweile die Ausnahme auch bei den Problemhäusern.
Fassaden wie auf diesem Archivbild sind mittlerweile die Ausnahme auch bei den Problemhäusern. © Reichwein | imago stock

Die „Patrons“ boten „Full Service“ an. Sie beantragten Hartz IV und Kindergeld für die Familien, vermittelten die Männer in Schwarzarbeit und Frauen in die Prostitution. Wer einen 450 Euro Job bekam, musste dennoch acht Stunden arbeiten. „Wir machen das alles für dich“, hieß es, erinnert sich Lindner an Gespräche mit Betroffenen. Das betraf auch die Kontoführung. Der SPD-Lokalpolitiker sah in dieser Zeit „gut gekleidete Managementfrauen, die am Zahltag mit zehn, fünfzehn EC-Karten vor den Geldautomaten standen“.

Als 2014 die volle EU-Freizügigkeit für rumänische und bulgarische Bürger in Kraft trat, wurde Kindergeld mit falschen Arbeitsverträgen beantragt. Konnte ein Mieter nicht mehr zahlen, schickten die Verwalter Schlägertrupps, „die schmissen die Möbel aus dem Fenster und setzten die Leute vor die Tür“, sagt Lindner. „Anschließend las man von vermüllten Hinterhöfen und wie die Rumänen ihre Wohnung hinterlassen.“

Dann hat die Stadt begonnen, Druck auszuüben. Mit einer „Task Force“ kontrolliert sie Problemimmobilien, wie es offiziell heißt, „zum Schutz von Mietern und Nachbarn vor möglichen Gefahren.“ Ist das Treppenhaus aus Holz, schließen die Türen nicht luftdicht, gibt es keinen Abzug, ist also der Brandschutz unzureichend, können die Mieter sofort vor die Tür gesetzt werden. Kritiker dieser Praxis merken an, dass nach diesen Kriterien halb Duisburg auf der Straße stehen müsste.

Eine Daueraufgabe

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130 Häuser hat die Task Force laut Stadt seit 2016 kontrolliert und 99 davon komplett geschlossen, vier weitere zum Teil. Ein Viertel der geräumten Häuser liegt in Marxloh. Erst zwölf Gebäude hat die Stadt nach einer Sanierung durch die Eigentümer wieder für die Nutzung freigegeben. Weitere 20 Gebäude werden aktuell renoviert. Sechs Gebäude hat die städtische Gebag erworben, einige werden abgerissen. Das Problem, erklärt die Stadt, bewege sich über die Jahre auf gleichbleibendem Niveau.

Es gibt strukturelle Gründe, warum immer neue Problemimmobilien entstehen – allen voran der hohe Leerstand. 2007 wurden in Marxloh die Pläne für einen Grüngürtel vorgestellt, sie sahen einen großangelegten Abriss vor. Die Leute zogen fort, die Immobilienpreise fielen. Niemand investierte mehr. Der Abriss kam dann nur in einer Minivariante. Aber vor allem türkischstämmige Bürger hatten in Betongold angelegt und kamen unter Druck, weil es keine Rücklagen gab, erklärt Lindner. Also begannen einige, das System der „Patrons“ zu kopieren. Sie vermieteten mit Überbelegung und zu erhöhten Preisen. Für 10 bis 12 Euro pro Quadratmeter, trotz bisweilen defekter Heizung. Da es auch keine Nebenkostenabrechnungen gab, sagt Lindner, „war jede fehlende Mülltonne ein Gewinn“.

Der Blick nach Gelsenkirchen

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Auch in Gelsenkirchen sind hohe Leerstände die Wurzel des Übels. Über Jahrzehnte ist die Stadt geschrumpft, hat ein Drittel ihrer Einwohner verloren. „Rund 9300 Wohnungen stehen derzeit leer“, erklärt Mario Hofmann, Teamleiter der Städtebaulichen Sanierung. „Bei einer Leerstandsquote von sechseinhalb Prozent ist ein Punkt erreicht, wo der Wohnungsmarkt hängt. Da kann es auch betriebswirtschaftlich sinnvoll sein, nichts zu investieren.“ Der Neubau stagniert ebenfalls. Gutverdiener verlassen die Stadt, vielleicht auch weil sie keine gute Wohnung finden.

Das Interventionsteam der Stadt findet gefährliche Stromkonstruktionen, bei denen der Zähler umgangen wird, mit drei Herden an einem Verlängerungskabel. Wasserschäden, die nicht repariert werden, Fallleitungen, aus denen Fäkalien in den Keller fließen, einige Buden haben keine Heizung mehr, sind total verschimmelt. Es trifft auf bewohnte Ruinen, aus deren Dächern Bäume wachsen. Etwa hundert der 500 gelisteten Problemimmobilien sind „von außen massiv auffällig.“ Und da immer neue Problemimmobilien auftauchen, ist ihre Kontrolle zu einer Daueraufgabe geworden.

So sah es 2019 an der Emil-Zimmermann-Allee in Gelsenkirchen-Buer aus.
So sah es 2019 an der Emil-Zimmermann-Allee in Gelsenkirchen-Buer aus. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

„Ein Fehler in der Gesetzeskonstruktion“

Unter den Vermietern der Problemimmobilien, weiß Hofmann, gibt es Leute, „die jede Gesetzeslücke kennen“, es gibt „die kleinen Gauner“, und auch Opfer: den Handwerksmeister, der sinkende Mieten und Immobilienpreise nicht hat kommen sehen. Und es gibt die Gesellschaften, die Pakete von hunderten Immobilien hin und herschieben. Wenn Hofmann und sein Team dort anrufen, treffen sie auf „nette, freundliche Leute, die sitzen in der Schweiz oder in Berlin und haben das Haus nie gesehen.“ Er hat schon mehrfach gehört: „Das ist Beifang.“ Meist versprechen die freundlichen Menschen, einen Mitarbeiter rauszuschicken. „Im Zweifel ziehen sie das Haus leer und lassen es liegen.“

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Wenn eine Immobilie sofort stillgelegt wird, dann wegen „Gefahr im Verzug“, das Wohnungsaufsichtsgesetz von 2014 erlaubt aber auch bei Überbelegung oder Gesundheitsgefahren Räumungen oder Teilräumungen. Das Bundesrecht gewährt der Gemeinde bei städtebaulichen Missständen oder solchen der einzelnen Immobilie ein Vorkaufsrecht (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB) – ein wichtiges Instrument für Mario Hofmann. Allerdings greift es nicht bei Zwangsversteigerungen, Eigentumswohnungen oder „Share Deals“. Bei diesen werden Anteile von Unternehmen verkauft, denen die Häuser gehören – solche Konstruktionen gibt es selbst für einzelne Häuser. Diese Ausnahmen hält Hofmann für einen „Fehler in der Gesetzeskonstruktion“.

So hat Gelsenkirchen zum Beispiel 2022 per Vorkaufsrecht vier Häuser in Rotthausen von einem Fonds gekauft. Sie werden nun abgerissen, die Grundstücke vermarktet. Ein Gewinngeschäft ist das nicht, denn die Stadt steigt generell nur ein, wo es für Private nicht wirtschaftlich wäre. „Es funktioniert nur über Förderung“, erklärt Hofmann. Allerdings kauft sie nicht zu jedem Preis, verantwortungslose Eigentümer dürften nicht noch belohnen, sagt Hofmann. „Es ist ein zähes Geschäft.“

Mit viel Geld gegen die Problemhäuser

Bereits 2017 hatte das Land NRW mit dem Bund das „Modellvorhaben Problemimmobilien“ ins Leben gerufen, mit dem elf Städte fünf Jahre lang unterstützt wurden, neben Gelsenkirchen auch Essen, Dortmund, Duisburg und Herne. Als Nachfolger soll die Zukunftspartnerschaft mit dem Land den Durchbruch für die Stadtentwicklung in Gelsenkirchen bringen. Ziel ist es, innerhalb von zehn Jahren, 3000 Wohneinheiten vom Markt zu nehmen. Dafür gibt das Land bis zu hundert Millionen Euro. Koordiniert wird das Ganze auch mit dem Programm für die Klimaanpassung. Daneben unterstützt die Stadt private Investoren, die problematische Mehrfamilienhäuser sanieren, pauschal mit 25.000 Euro. Dafür gibt sie eine Million Euro auf vier Jahre.

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In Dortmund, wo sich die Problemimmobilien in der Nordstadt konzentrieren, hat man ein Stufenmodell entwickelt. Ziel ist es, Eigentümer einzubinden, wo es geht: mit Beratung und Förderung. Um Zwangsmaßnahmen kommt die Stadt aber auch nicht herum. Eine Task Force gibt es bereits seit 2008, intensiv und strategisch gehe die Stadt das Thema seit 2016 an, erklärt ein Stadtsprecher. Offenbar mit relativem Erfolg. Während in Duisburg erst ein knappes Drittel der beanstandeten Gebäude saniert ist oder wird, sind es in Dortmund bereits zwei Drittel der ursprünglich erfassten 122 Problemhäuser. (Weitere Möglichkeiten der Städte im Umgang mit Problemimmobilien zeigt dieser Leitfaden des Landes).

Die Wohnverhältnisse haben sich gebessert

Das Zimmer einer Wohnung, welche für über 400 Euro im Monat vermietet wurde.
Das Zimmer einer Wohnung, welche für über 400 Euro im Monat vermietet wurde. © FUNKE Foto Services | Lukas Schulze

An der Hagedornstraße oder der Rolfstraße in Duisburg-Marxloh sieht es aus wie eh und je. Aber in den Wohnungen sei es „menschlicher geworden“, weiß der Lokalpolitiker Claus Lindner. „Die Hausbesitzer haben angefangen, sich an Gesetze zu halten. Die Mieten sind nicht mehr ganz so überhöht. Diese horrenden Matratzenlager gibt es nicht mehr und Rausschmisse über Nacht nur noch in Einzelfällen. Auch die Jobcenter gucken nun auf die Mietverträge.“ Aber die Wohnungen seien immer noch viel zu klein und schlecht in Schuss.

Immobilienfonds sind als weitere Akteure hinzugekommen. Häuser werden im Paket gekauft; dass ein gewisser Anteil schwieriger Lagen dabei ist, nimmt man in Kauf, denn spekuliert wird auf Wertsteigerungen, nicht des einzelnen Hauses, sondern des Pakets. Und während die Preise steigen oder eben nicht, tut man nur das allernötigste. Wir haben versucht die Hausverwaltung des Hauses zu sprechen, in dem Herr B. mit dem Gestank aus der Abwasserleitung lebt. Ein Call Center war prompt zu erreichen, ein Rückruf erfolgte nicht. Auf schriftliche Anfrage kam nach Wochenfrist keine Stellungnahme. Ob es den Mietern ähnlich ergeht?